Monate: Oktober 2011

Nach dem Flughafenausbau: Anfluch von Denkfaulheit

Jetzt wachen sie auf. Viertel vor sechs, wenn der Flieger mitten durchs Schlafzimmer fliegt. Jetzt, wo der Wald abgeholzt, die Nordwest-Landebahn Rhein-Main gebaut ist, treffen sie sich zur Menschenkette in Offenbach mit viertausend Leuten (fünf Wochen vor der Eröffnung), gehen sie in Mainz zu zehntausend auf die Straße (zwei Tage nach der Eröffnung) und sind empört. Verdammt spät. Wo waren diese ganzen Empörten, als die Bürgerinitiativen mit drei bis vierhundert, wenn’s hoch kam 1500 Leuten vorm Flughafen Rabatz machten, im Wald demonstrierten und in Wiesbaden ihr Recht auf Lebensqualität einforderten. Wo? Während sich die Befürworter der Lebensqualität einer Region abgearbeitet haben, und die hessische Wirtschaft und Politik vorsichtig um die Ecke lunste, ob da auch wirklich nicht mehr passiert. Während die Mediation von Anfang an nur das eine Ziel hatte: dafür zu sorgen, dass die Landebahn ohne viel Bürgerkrach gebaut werden kann. Während Exministerpräsident Koch mit dem Nachtflugverbot lockte, das für die Lufthansa von Anfang an indiskutabel war. Vorausschauend Denken und sich für alles interessieren sollen Kinder und Jugendliche immer. Und die Erwachsenen? Beispiel Offenbach. …

Gedicht der Woche: unplugged

unplugged stäubts unter stellwänden geschredderten glücks brockts bunt, flockt, hartzt zu die ausgekommenen, ausgesiebten leeren blicks die dahocken, farblos gezaust, aschpink und plastik süchtig nach billigglimmer, overdrive gierend ohne grund immer nur: mehr,mehr dabei fehlt’s passwort mehr gibt’s nur für die drin geherzt vom druck: come on the pressure line nicht auffallen, auffragen nur einkommen zeitlos verbraust, züchtig bis ins workout und zikadesk: mehr,mehr und? schreischauwem gekappt alles bilder, süchte, blüten colours run dry die zukunft ein reisbrei politisch korrekt passwort? 1,2,3 und ab: schreischau selbst

Terminal Zero: Zeichen im Wald

Der Flusskrebs im Mönchhofweiher wird unbeeindruckt seine Pflanzenkost schlürfen, wenn Angela Merkel aus dem Flieger steigt und – wahrscheinlich – ein Bändchen zerschneidet. Spätestens dann ist es mit dem relativ geruhsamen Leben vorbei am klaren Wohnsee des Flusskrebses, der bis vor einem Jahr mitten im Kelsterbacher Wald lag. Heute: Erste Reihe an der neuen Nordwestbahn. Die Badenden haben bald unverstellten Blick auf Landeanflüge. Vor allem aber ist es mit der Ruhe in den umliegenden Städten und Orten vorbei, ein paar Kelsterbacher brauchen nur, wie der Flusskrebs, mal den Kopf heben. Die rotweißen Lampen der Einflugschneise sind dann nicht zu übersehen. Die Verträglichkeit des Tag- und Nacht-Lärmpegels werden alle Anlieger von 21. bis 30.10. testen, wenn der vorläufige Betrieb auf dem Rhein-Main-Flughafen Fraport eröffnet wird. Danach sind, nach dem Entscheid des Landesgerichts, (vorerst) nur Tagflüge erlaubt. Fraport und Lufthansa ärgern sich über dieses Urteil so kurz vor der Eröffnung, und rufen „Weihnachten fällt aus!“ „Die Post liegt lahm!“ Das Schreckensszenario der Fraport- Presseabteilung heißt: keine Päckchen (mit Hightech-Unterhaltung) unterm Weihnachtsbaum. Doch keine Angst Weihnachtsmänner, das letzte …

Occupy Tag zwei: Yes we camp

Kleiner Nachschlag: Es sind mehr als zwanzig Zelte (das Ordnungsamt hat also nicht ab zehn geräumt. Und das Camp ist vorerst genehmigt bis Mittwoch. In einer open space-Sitzung haben die Akteure heute Mittag einen Plan für das Vorgehen der nächsten Tage erstellt. Die Handzeichen – das Wirbeln der Hände noch oben steht für Zustimmung, nach unten für Ablehnung die Hände drehen für Rednerwechsel – heben weder den Lärmpegel, noch stören sie die Redner. Genial ausgedacht von den occupy wallstreet-Leuten. Redner auswechseln, das wurde gestern einem Linken bedeutet, der von seiner Partei sprach – heute nachdem sich ein Render von attac gemeldet hatte, wurde ihm direkt geantwortet: „Dein Redebeitrag ist willkommen, wenn du dich als Person meldest, nicht als Vertreter einer Organisation.“ Die Bundeszentrale von attac sei nicht weit weg, es wäre super, „wenn ihr sie öffnet und uns Schlafplätze oder anderes zur Verfügung stellt. Wir sind die Organsiation und wir wollen unsere Vielfalt erhalten, das ist unser Potenzial, aber wir wollen nicht, dass man uns in kleine Gruppen aufteilen kann.“ Wirbeln der Hände. Vielfalt, Kreativität …

Occupy Frankfurt: traumkrass

Hey Leute, ihr habts geschafft! Gerufen und Tausende sind gekommen. Tausende, die ihr Unverständnis, ihre Wut und Wunschzettel zu handgemalten oder farbgedruckten Bannern gemacht haben. Kleine Auswahl: We are so angry, we made a sign! – Grow solidarity, not economy – Power to the People – Diese Person möchte keine Banken retten – …Lobbyistennutten… – Schämt euch! – Jump you fuckers – Bad banks for bad boys – Ihr spekuliert mit unserem Leben! – Wozu Banken überfallen? Die Schlauen gründen eine Bank! – Revolution – Eat the rich! – wir sind die 99 % – Ich bin 99 % – Empört euch! – Wir sind alle Griechen – Europa den Europäern – Das Spiel ist aus! …… Und alle zusammen: „Hoch! die! Internationale Solidarität!“ Den Takt gaben Trommeln, Pfeifen und Ratschen. Seifenblasen steigen zwischen den Leuten auf. Die Abluftgitter der U-Bahn dienten als Flugblattspucker – man sah die kleinen Blätter von weitem wie Konfetti über der Szenerie umherwirbeln. Ihr habt noch was geschafft: die bunteste Mischung von Leuten zusammen getrommelt, die sich je in Frankfurt …

Occupy: first we take Mainhatten

Chapeau, Wolfram Siener! Der Sprecher von Occupy Frankfurt war gestern Abend ein Zusatzgast bei Maybrit Illner. Thema des Talks: Griechenland und aktuelle Bankenkrise. Dass Wolfram Siener anfangs genau neben dem Chef der Rating-Agentur Standard and Poor’s saß, hatte schon was. Der Kameramann zeigte die beiden Gesichter nebeneinander in Großaufnahme, das allein sprach Bände. Gefragt, ob er mit dem Mann ein Problem hätte, antwortete Wolfram diplomatisch: nicht mit ihm persönlich, aber … wohl aber mit dem, was er tue. Medienstrategisch goldrichtig. Doch in Wirklichkeit geht das „ich mag dich als Mensch, aber…“ nicht. Wir sind, was wir tun. Bei Wolfram heißt das: Handeln. Jetzt. Zusammen. Gegen ein System, das uns und unsere Lebenswelt kaputt macht. Wer nicht genau weiß, worums geht: die lyrics des Cohen-Songs „First we take Manhatten“ bringen’s auf den Punkt. Der Song ist zum Leitmotiv der US-Demonstranten geworden. Kleiner Rückblick: nach den Al-Kaida Anschlägen in den USA stand er monatelang auf dem Index der Radiomoderatoren. Fondsblogger Gerd Bennewitz warnt seine Kunden jedenfalls schon mal (hier) vor dem bankenfreien Samstag in FFM, der Besetzung …

Mein Blog, mein (Denk-)Zeichen!

Was wünschst du dir von mir? Fragte ich vor ein paar Monaten eine neue Rhein-Main-Freischreiberin. Da ich die Regionalgruppe hier gegründet hab und leite, denke ich mir regelmäßig Veranstaltungen aus, die uns Freien den Austausch ermöglichen und uns weiterbringen mögen. Denn: Heulen, Jammern und Zähneklappern über Medien-, Schulden- oder sonstwelche Krisen ist out. Selbst ist der Mensch. Sie wünschte sich dann einen Abend zu: „Wie werden meine Texte internetfähig?“ Also dachte ich an Vollprofis, an Blogger. Antje Schrupp angefragt und Lars Fischer und – gestern waren sie da und haben uns Freischreibern und anderen Interessierten im Frankfurter Club Voltaire ein paar Blogbasics vermittelt: 1. Bloggen ist Lebensform Antje sammelt in einer Exceldatei die Arbeitszeit fürs Blog, nimmt die dafür aufgewendete Zeit aber eher so wahr, als mache sie sich einen Tee, rede mit den Nachbarn oder schaue mal eben aus dem Fenster. Ich blogge, also bin ich. 2. Bloggen ist Leidenschaft Blogge das, was dir richtig am Herzen liegt. Was? Eigentlich egal. Es dürfen auch Kochrezepte gemischt mit Soziologie sein. Lars schreibt am liebsten über …

Geschmacklos: Frankfurter Rundschau

„iTod“ lautet die unerträglich geschmacklose Titelzeile der heutigen Printausgabe der Frankfurter Rundschau. Der Redakteur, der sich die ausgedacht, der CvD, der sie abgenickt hat, haben offenbar den Kontakt zum Leben der realen Welt komplett aufgegeben. Der Tod, das unfassbare Ende ist für Angehörigen und Freunde immer entsetzlich und eignet sich nicht als Pointenmarketing eines selbstverliebten Medienzirkus. Respektlos. Würdelos. Unsozial. Die Titel-Schlagzeile muss knallen okay. Aber wenn das angemessene Vokabular fehlt, platzt nur ein Rohrkrepierer.

Die BildGeschichte: Der Wald zwischen Mythos und Bauland – Wildwechsel

Die Augenwasser des Himmels, streifen Lichtungen, durchströmen Wege über Wurzeln und Steine, bis ans Ende der gangbaren Spur. Wo Spinne euklidische Träume zu Netzen webt, Schwarzspecht ruft, Erdkröte schläft. Seele tauch ein. Wie ein Lot tief in die Kraftquelle, und dann, wie Odysseus aufs Laubbett sinken. Zuflucht, Ruhe, Wiedergeburt. Ewige Wiederkehr des immer Neuen: sicher sprießen Bärlauch und Pfeilwurz im Frühjahr durchs orangene Laub, sicher kommen die Kröten, Frösche und Molche zum See, sicher finden die Hirsche das erste, das saftige Buchengrün und sicher ist jeden Tag das Staunen. Was? Vor mir ein Mann. Still. Lauschend mit jeder Anzugfaser. Sein Rücken sagt: Bitte nicht stören! Was ist da? Der Mann blickweist vor: Damhirsche. Äsend und sichernd, die Ohren zum V. Mit einem Mal wischen sie davon, stolz, erhobenen Geweihs. Voraus voraus! Mein Einschaufler mittendrin. Ich möchte auch so laufen, möchte diese Synästhetikerin sein, die das Grün singen hört: die hell perlenden Buchen, lachenden Birken, feingliedrigen Lärchen, die Eschen, die Weiden, die Erlen und die Eichen… Brennnesseln auch, Farne, Pfeilwurz und Fingerhut… Wem die Zunge nicht …