Medienkritik
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Mein Blog, mein (Denk-)Zeichen!

Was wünschst du dir von mir?
Fragte ich vor ein paar Monaten eine neue Rhein-Main-Freischreiberin. Da ich die Regionalgruppe hier gegründet hab und leite, denke ich mir regelmäßig Veranstaltungen aus, die uns Freien den Austausch ermöglichen und uns weiterbringen mögen. Denn: Heulen, Jammern und Zähneklappern über Medien-, Schulden- oder sonstwelche Krisen ist out. Selbst ist der Mensch. Sie wünschte sich dann einen Abend zu: „Wie werden meine Texte internetfähig?“ Also dachte ich an Vollprofis, an Blogger. Antje Schrupp angefragt und Lars Fischer und – gestern waren sie da und haben uns Freischreibern und anderen Interessierten im Frankfurter Club Voltaire ein paar Blogbasics vermittelt:

1. Bloggen ist Lebensform
Antje sammelt in einer Exceldatei die Arbeitszeit fürs Blog, nimmt die dafür aufgewendete Zeit aber eher so wahr, als mache sie sich einen Tee, rede mit den Nachbarn oder schaue mal eben aus dem Fenster. Ich blogge, also bin ich.

2. Bloggen ist Leidenschaft
Blogge das, was dir richtig am Herzen liegt. Was? Eigentlich egal. Es dürfen auch Kochrezepte gemischt mit Soziologie sein. Lars schreibt am liebsten über die Erdkruste und „scheußliche Krankheiten“ und immer vorm Nobelpreis tippt er, wer der Gewinner sein wird. Letztes Jahr hatte er den richtigen Riecher, diesmal lag er daneben… Antjes Leib und Magenthema ist „sexuelle Differenz“, die sie mit der Liebe zur Freiheit paart und der sie das Motto „das Gegenteil ist genauso falsch“ voranstellt. Das können Gedanken über die Entwicklung des Begehrens sein, oder über anschnallbare Bärte als Statussymbol – dieses Thema drängte sich ihr beim Anblick der Pyramiden und den zugehörigen Skulpturen auf, verbunden mit der Frage, wie sich Männer wohl mit anschnallbaren Brüsten fühlen würden.

3. Bloggen ist Lebenskraft
Je mehr man bloggt, desto mehr Spaß macht das Denken und Schreiben (wieder. Ja, wieder. Das ist meine Erfahrung, denn der Medienzirkus und das ständige Medienlesen müssen, um up to date zu sein und das ständige Themen verwursten und beschreiben müssen, um Geld zu verdienen, kann einem als Journalistin das Lesen, Schreiben und Denken schon mal vermiesen).


Journalisten stellen viele Fragen und Wirtschaftsjournalisten im Besonderen wollen ganz genau wissen, was hinterher rauskommt. Lars und Antje haben uns versichert, dass das Bloggen ihnen den Lebensunterhalt sichert, Bloggen als Basis ihrer Existenz. Wie das? Antje erklärte, dass sie nach Artikeln oder Vorträgen gefragt wird. Entweder so wie sie auf ihrem Blog stehen, oder umfangreicher. „Es gibt andere Leute, die das genauso gut können, vielleicht sogar besser“, aber auf einer Homepage, komme einfach nicht so gut rüber, wie jemand rangeht und was er dann sagen wird. Auf Antjes Blog kann man auch Podcasts hören und Videos anschauen, auf denen sie mehr über ihre Themen erzählt. Man kauft bei ihr also nicht die Referentenkatze im Sack.

Lars bloggt seitdem er sein Chemiestudium abgeschlossen und das Thema Uni hinter sich gelassen hat. Sein Wissenschaftsthemenpalette ist breit und seine Artikel widersprechen vom Prinzip her allem, was man sonst über leserverträgliche Beitragslängen und Inhalte liest. Es sind keine journalistischen Artikel, sondern Lars Fischers Version der Geschichten von diversen Dingen… Etwa vom „Großen Sterben“ vor 251 Millionen Jahren oder über „das Ende des Zeitalters der Antibiotika“. Die Texte basieren auf Studien, Papers – und seinen eigenen Analysen. Spectrum hat ihn sich als Redakteur geholt und die FAZ bestellt bei ihm Artikel, weil er ein ausgewiesener Experte für Geothemen ist. Am meisten wert aber ist ihm das, wofür er kein Geld bekommt, das Bloggen. Spectrum honoriert ihm nämlich das Wissenschaftsbloggen auf der Scilogs-Site nicht, „Sonst würd ich’s nicht machen.“ Sich fürs Bloggen bezahlen lassen, kommt für ihn nur höchst selten in Frage, denn: „das macht abhängig.“ Zum Schreiben im Blog müsse das Hirn frei sein.

„Aber… wie ist das, wenn meine Themen auf meinem Blog stehen? Dann kann sich doch jeder bedienen?!“ Zwischenfrage von Journalisten, für die Twitter, facebook und Co. unnütze Zeitverschwender zu sein schienen, und die fürchteten, beim Bloggen ihre Texte aus dem Fenster respektive direkt in den Internetmüllschlucker zu werfen.
Antje Schrupps Antwort: „Ist mir nie passiert. Im Gegenteil. Meine Aufträge generieren sich durch meine Blogtexte,“ Dasselbe berichtet übrigens auch immer wieder Ulrike Langer.
Und Lars Fischers Anwort: „Das könnt ihr ja mal versuchen, aus meinen Texten einen ordentlichen Artikel zusammenzubauen und der FAZ anzubieten.“ An dieser Stelle noch Lars’ wunderbare Recherchehilfe „13 Tipps für Blogger“.

„Aber… Wie macht man denn nun einen richtigen Blog und was unterscheidet ihn von einer Website?“ Die beiden sahen sich an, grinsten. Es gibt nicht den Blog und auch nicht das Thema und schon gar nicht den Weg es richtig zu machen. Kann dazu nur sagen, wer selber bloggt, lernt das ganz schnell: Mein Blog ist mein Blog ist mein Blog. Was ich sagen will und wie, muss ich mir – muss sich jeder selber klar machen. Die Denke „Wie verkaufe ich mich am besten? Wem verkaufe ich meine Geschichten am besten und was lässt sich am besten verkaufen?“ bringt einen dabei nicht weiter. Man muss immer irgendwo machen, was man gut findet, auch wenn das erst mal niemand zahlt – dafür gibt’s ja die Mischkalkulation. Aber.. Journalisten werden ja manchmal ganz gaga. Vor allem, wenn sie für Medien arbeiten, bei denen die Redakteure gut leben, aber nicht gut leben lassen wollen. Deswegen am Ende noch einen Exkurs zum Thema Himmel und Hölle und Diskussionen.

Diskussionen werden bei Antje und Lars immer moderiert. Lars löscht Gender-Kommentare sofort, Antje filtert Trolle aus – Leute die Unflätiges oder so Verstiegenes ablassen, dass es die erwünschte Diskussion sprengen würde. Eine unmoderierte Diskussion dagegen lässt sich von allen Kommentatoren auch strategisch nutzen. Man kann sogar manipulierend Einfluss nehmen, ohne wirklich mitzuschreiben, indem man über Abhängigkeiten Druck ausübt. Bei der Freischreiber Diskussion über die Vergabe des Hölle-Preises wurde mir mal wieder bewusst, wie das geht. Die für den Höllepreis nominierten Neon-Redakteure zeigten keine Größe in Sachen Kritikfähigkeit, sondern Droh- und Imponiergehabe sowohl vor wie hinter den Kulissen. Traurig ist dabei vor allem, dass die ursprünglich geplante – und auch vom Neon-Chef für richtig befundene – Diskussion über den Code of Fairness vollkommen an den Rand gedrängt wird. Es fehlt sowieso eine Debatte über die moderne und sozial unverträgliche Form der Auseinandersetzung, die wir ganz allgemein pflegen: eine Alphamännchenkultur, bei der man sich nicht mehr aufs Brusttrommeln beschränkt, sondern nach dem Rechtsanwalt schreit.

Vorher hätte ich mich beim Höllen-Kreuzchen vielleicht enthalten, jetzt wüsste ich genau, wo es hin gehört. Doch, ob die Wahl überhaupt statt findet oder wie, ist im Moment ungewiss. Vor allem aber bestätigt die Höllendiskussion das Prinzip Blog, wie Antje und Lars es uns vermittelt haben: je unabhängiger desto wertvoller. Oder vielleicht auch so: lieber Blogger sein, als Journalist mit Maulkorb?!

2 Kommentare

  1. Was ich noch ganz vergessen habe zu schreiben:
    Als Journalistin ist Bloggen natürlich schon deswegen eine ganz besondere Lust, weil mir kein noch so geschätzter Redakteur sagt, welche Denkrichtung mein Text haben soll und weil vor allem niemand hinterher kürzt, Fehler reinschreibt oder ändert. Redigieren und Gegenlesen ist eine feine Sache, wenn mans denn beherrscht. Und dabei auch transparent bleibt. Und das können nur wenige (https://www.freischreiber.de/himmel-und-hoelle-preis).

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