Monate: Juli 2012

doc 13: Zeit, die es braucht

Vier Menschen, 13×13 Kunstwerke (und noch ein paar mehr)… Es duftet nach Lindenblüten, als wir frühmorgens in den Zug nach Kassel steigen. Unser Ziel- und Startpunkt dort: Kulturbahnhof. Charmant niedergerockt. Unübersichtliches, dabei doch klar gegliedertes Gelände, dessen ungeschönte Präsenz uns bereits kunstsinnlich macht. Einen Tag lang stürzten wir uns in den „Tanz“ der documenta 13. So nämlich fasst die Kuratorin Carolyn Christov-Bakargiev (CCB) die Kunstschau unschlagbar in diesem Satz: „Der Tanz war sehr frenetisch, lebendig, rasselnd, scheppernd, walzend, gewunden in Schlangenlinien und dauerte eine lange Zeit.“ Natürlich auf Englisch. So wie hier fast alle Bildinfos, Videos und Filme, was ziemlich arrogant gegenüber den Gastgebern ist. Unser erster Knoten in der Kasseler Tanzlinie war die Taschenabgabe an einem weißen Container. Ein immer wieder kehrenden Ritual, das uns fortan Knotenpunkt um Knotenpunkt begleitet. Die Containerfrauen tragen Seidenschals in petrol mit rötlichen Streifen. Daran soll man alle documenta-13-Helfer erkennen. Ticketverkäufer, Ticketprüfer, Eckensteher, Publikumszähler, Mahner und Aufseher tragen sie um den Hals, im Haar, um Hüften oder Handgelenke gewunden. Schlicht schön. Wenn ich dagegen an die Jugendkirchentagsspaghetti in grün …

Das Porträt: „Guck ma, noch so`n Bunter!“

  Hab ich da eben richtig gesehen? Kleine bunte Bärchen auf den Oberarmen unserer Tierarzthelferin Anna Maria Weber? Tatsächlich, auch auf den zweiten Blick tummelt sich das Fantasievolk auf ihrer Haut. Tattoo-Tiere in Comicstil, die mich angrinsen, als wollten sie mir gleich die Zunge rausstrecken, ein Häschen sogar mit Spritze im Bobbes… Dass Anna ihre Haarfarbe variiert, gern auch mit knallbunten Strähnen, bin ich gewohnt.. aber.. Tätowierungen? Ist mir neu. Sonst trägt sie auch nichts Ärmelloses.. aber.. heute ist’s brülleheiß – und ich klebe mit meinem Blick an ihr. Ihr Chef steht daneben und grinst. „Jaja, die Anna. Die hat noch mehr in petto…“ Was denn? „Sie tanzt und tritt auch auf und zwar mit zwei verschiedenen Michael Jackson-Gruppen.“ Weil gerade Zeit ist, winkt mich unser Tierdoktor zum Laptop und startet das Youtube Video vom letzten Gig in Österreich. Michael Jackson ist nun nicht so mein Geschmack, aber ich bin neugierig geworden – bisher kenne ich Anna nur als besonnene Bezwingerin unserer Kater. Wenn die nämlich zum Tierarzt müssen, verwandeln sie sich in Knäuel messerscharfer …

Andy Goldsworthy: Die Schönheit vor dem Kollaps

  Das sollen tolle Bilder sein? Ich bin enttäuscht. Sind extra nach Rüsselsheim zur Austellung gefahren – Goldsworthy zum ersten Mal in Deutschland!! – und jetzt? Stehe ich vor großformatigen Fotos, die zusammengefügt wie ein Puzzle oder Mosaik einen Baumstamm zeigen, zu dessen Füßen ein kreisförmiges, schwarzes Loch gähnt. Hm. „Das ist aber kein Bild! Nur ein Beweisfoto“, würde Pat zu mir sagen, hätte ich es gemacht. Aber dann funktioniert es doch, treffen sich mit Mal Ausstellungskonzept und Landartfoto. Im nächsten Raum geht es endlich auf, das Goldsworthy-Fenster. Saugt uns in eine Welt, weit und atemlos. Berührt uns mit Bildern wie das hier: See mit filigraner Installation aus Schilf. Drumherum eine traumverlorene, unberührte urlandschaft. Oder dieses, auf dem ein spitz zulaufender grauer Stein im Morgenlicht zu sehen ist, darauf balancierend ein anderer Stein, rund, mitten auf der Spitze. Hält gerade so auf diesem Foto, man glaubt ihn taumeln zu sehen kurz bervor er ins nächste Bild fällt. Im Fallen eine Möwe, die sich fortschwingt. Auf den nächsten Bildern Kreisbögen aus Schneeplatten. Und Licht. Am Südpol. …

Entrée: Lebensräume – Flugrouten

  Noch nicht da gewesen? Hier ein paar Bilder und Texte unserer Ausstellung: Früh Zum See. Frühmorgens, wenn die Stadt noch schmale Augen hat. Die Ufer gesäumt von Suchenden. Die am Wasser sitzen, Gedanken schwimmen lassen, austreiben, auswuchern, passen. Ich wusste doch nicht, dass Städte sich verkleiden, sie drauf angewiesen sind, ihre Plätze tauschen manchmal und sich wild und heimlich ausschütten vor Lachen. Dass es so einfach wäre, Du zu sagen. Doch die Schwäne. Heben sich und tragen mich fort.   Unterm Rad Wie es formt, das tägliche Schaffen von Zukunft! Den Stein ein wenig weiter schieben dürfen. So ein Glück, ihn herabrumpeln zu sehn. Sich einspieln, hochziehn – immer rasanter hinab, geschickter die Züge hinauf. Kette und Schuss, 40 mal 45 – zähl nach. Die Welt ein Lachen im Kompass, bis die Nadel springt. In einer Sekunde nur alles gewendet, gestoppt, auf Null.   Nachtflug Ein Leuchten im Lidschlag des Monds eine Lichtspange rafft All und Rinne des Zufall. Ein Aufglühn: Verheißung, Gral, Sirius’ Sehnen. Gebannt von undeutbaren Zeichen, gebrannt vom Atem der Hoffnung. …