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Dinner with a View

Mit Ingolf Grabow, dem Schutzpatron der Frankfurter Wanderfalken und Mauersegler auf dem Henningerturm. Und – Fraßspuren gefunden! Erstmals seit der Sanierung. Bin gespannt, ob unser Sachsenhäuser Falkenpaar den von Ingolf montierten Brutkasten nächstes Jahr nutzt.

Was siehst du?

Nah, ganz nah oder weit weg – sie haben dich längst wahrgenommen. Hasen und Hirsche haben Gejagtenaugen mit Rundumblick, müssen nicht mal blinzeln beim Gucken, denn sie haben wie Gänse, Katzen und Milane ein drittes, durchsichtiges Lid. Die “Nickhaut” für Schutz und Befeuchtung. Die Jäger der Luft besitzen Fernglasaugen, tausendmal mehr Farbsehzellen, eingebauten Sonnenschutz und eine irre neuronale Verarbeitungsgeschwindigkeit von Nah- und Fernreizen. Turmfalken können ultraviolettes Licht sehen – und weil Mäusepinkel in diesem Farbspektrum leuchtet, suchen sie nur da wo es leuchtet, nicht am andern Ende der Wiese… Aber was sehen sie?

Ich weiß nicht mal was Pat sieht, wenn ich neben ihm steh. Tagesform, Erfahrung, Gelerntes und Emotionen machen das Bild in meinem Kopf. Wir lernen Sehen in einem kleinen Zeitfenster unserer Entwicklung. Von Katzen etwa weiß man, dass sie blind bleiben, wenn sie zwischen der entscheidenden Phase zwischen der 4. Lebenswoche und dem 4. Lebensmonat keine Gelegenheit haben, Formen zu sehen.

Was ich sehe, ist meine Realität. Wie die Worte meinen Horizont einrahmen, so kleidet meine visuelle Wahrnehmung ihn aus. Hasen nehmen wahrscheinlich nur einen Teil des Farbspektrums wahr – sah er mich dunkelgrün vor hellblau? Psst!





Kein Blatt vor den Krieg:
Yevgeniy Breyger und Elisabeth Raffauf

Er liest den Deutschen die Leviten. Sie hilft, die Hand halten. Rein äußerlich haben die beiden Bücher auf meinem Schreibtisch nichts gemein: Das großformatige Kinderbuch „Wann ist endlich Frieden?“ von Elisabeth Raffauf, mit zurückgenommenen Farben schön illustriert von Günther Jakobs – und der Lyrikband, „Frieden ohne Krieg“ von Yevgeniy Breyger, bisschen größer als A5, Hardcover mit Leinenoptik, der Vorsatz neonorange. Dasselbe Thema. Krieg, weltweit und hier, nicht so weit, 1000 km von meinem Schreibtisch, in der Ukraine.

Geboren ist der Lyriker in Charkiw – 21 Tage nach unserem Sohn – und ist derzeit in Frankfurt zuhause. Lese ich „Charkiw“ höre ich die Stimme der Reporterin, die von den Menschen unterm Krieg berichtet. Er startet mit seiner Stadt, sie ist oder war viel größer als Frankfurt. Und gleich diese Grausamkeit, dieser Hass auf die Frauen, dieses Kriegsbenzin, das auch in den Bildern und Gräueln aus Israel so entsetzt. Tagesgedichte. Rückblick und voraus, Handkamera, schnell zu lesen, wie live. Stadt- und Landgedichte, Krieg im Jetzt-Gedichte. Dicht, hart, deutlich. Lustig manchmal auch und zart. Nageln einen fest: Was denkst du? Bin sofort drin. Nur die kyrillisch geschriebenen Namen, an denen bleibe ich hängen. Da stehn sie. Stolpersteine, Kleber, Bremsklötze: So leicht kommst du hier nicht durch. Wie im Traum, man möchte reden, aber kann nicht. Man stammelt, die Gummizunge hält nichts. Nur „Maksim“ erlese ich sofort. An diesem Namen, an seinen Buchstaben hangele ich mich vor. Was natürlich nicht reicht, um „Schura“, „Liza“ oder „Mina“ zu entziffern. Frauennamen aus der Gedicht-Familie. Will ich aber lesen können. Dafür packe ich mir das kyrillische Alphabet aufs Handy. Hab leider nicht wie meine Cousine Birgit richtig Russisch gelernt. Nur bisschen Volkshochschulkurs. Nicht mehr viel übrig: Ja, Haus, schnell sprechen – Maksim. Wo man hingeboren wird. Ich jedenfalls auf der anderen Seite des Vorhangs.

Breyger spricht zwei Sprachen, „deutsch, russisch, einmal die, die meine leute massengemordet, einmal die, die in deren fußstapfen treten wollen und meine andren leute umbringen.“ Das Buch sei schon fertig gewesen steht im Gedicht „statt erklärung“, als er merkte, dass darin der Krieg fehlte. Also, “bis oktober neuschreiben”.
Etwa „schäm dich“. Dadrin stehen sie, die Leviten, es ist wohl April 2022:

“neulich wieder offener brief nummer 1000 von irgendwelchen deutschen
die sich ernsthaft „intellektuelle“ nennen (haha, wie kann man sich so bezeichnen, bescheuert)
ukraine solle sich ergeben. danke danke. die alten deutsche tugend, moralisch bodenlos usw.

kein wort von müttern, die vergewaltigt werden vor den augen der kinder
Der krieg sei entstanden, weil europa russland missversteht”

Die Texte glühen ins jetzt, in alle Kriege ohne Friedensaussicht. Die unter der Hirnschale brennen, mich mich schämen machen für so vieles. Und sprachlos. Breyger feuert Worte, findet Sprache. Am besten gefallen mir die Tagebuchgedichte „Streuobst im Auge des Betrachters“, die mit dem Zusatz -buch spielen und nirgends verspielt sind: liebes nachtbuch, morgen- und abendbuch, kriegsbuch, asbestbuch, dampfschwadenbuch über panzerkarossen. Alles drin.

Zwischen den grellen Vorsatzblättern rüttelt und rast, was das Kinder-Erwachsenenbuch von Elisabeth Raffauf antreibt. Sie hat wieder ein Aufklärungsbuch geschrieben. Nicht für den Umgang mit Sexualität, sondern den mit Gefühlen und Angst rund um Krieg. Einen Vorlese- und Mitleseanker für Eltern und Erzieherinnen in dieser krassen Zeit, mit Antworten auf echte Kinderfragen. Definitionen von Begriffen wie NATO oder was Flucht heißt. Ideen, was man tun kann um Geflüchteten zu helfen. Und nicht zuletzt dem Aufruf an Erwachsene, bloß nicht zu sagen, es sei alles gut und bloß nicht vor den Kindern zu schweigen, aus Sorge, sie zu verängstigen. Das mache noch mehr Angst. Sie merkten doch, das was nicht stimmt.

Wir waren bei ihr, als sie schon an dem Buch arbeitete – das Making-of hätte ich gern als Buch. Ein bisschen davon finde ich in Breygers Gedichten. Die Familien, die alles ins Überleben stecken, wie die, die eine Zeit bei Raffauf gelebt hat. Verstreut sind und nach Halt suchen, die einander besuchen und wieder verlassen oder durch Gewalt, Bomben, Zerstörung ganz und gar verlieren. Durch Krieg.

Wann ist endlich Frieden ohne Krieg? Der Gedichtband endet mit einem großartigen Langgedicht – großartig für mich, wo ich es entziffern kann. Ein Drittel etwa ist auf russisch, da streikt Gummizunge und google spuckt eh nur Murks aus. Aber auch das ist Krieg, man versteht nicht. Im Kinderbuch fragt die 10jährige Nastja: „Was wird das Ergebnis dieses Kriegs sein? Wann kann ich ohne Angst schlafen? Wann wird der Krieg zu Ende sein? Wann werde ich den Krieg vergessen? Wann werde ich nach Hause zurückkehren?“ Schäme mich, was wir den Kindern zumuten, ihrer Welt. Lebe trotzdem. Lese, schreibe über zwei Bücher mit Worten gegen Krieg für Frieden.

Yevgeniy Breyer: Frieden ohne Krieg, kookbooks, Berlin 2023
Elisabeth Raffauf/Günther Jakobs: Wann ist endlich Frieden, Fischer/Sauerländer, Frankfurt 2023

Kuhler Mönchbruch

Letztes Jahr fuhr ich zum zweiten Mal raus, Hirschbrunft gucken. Wieder die falsche Stelle, trotzdem wunderbar. Einen Damhirsch immerhin sah ich. Aufgeregt hin- und herrennend, eher rülpsend als röhrend, ich warf mich platt auf den Bauch, ihn nicht zu stören. An Fotos war aus dem Grasdickicht heraus natürlich nicht zu denken.

Diesmal hatte ich Brunftguides und saß wo wirklich der Punk abging. Letzten Monat im Taunus bei den Rothirschen. Brüllten sich die Seele aus dem Leib, die aufgereget rumhopsenden Mädels, auf jägerdeutsch Kahlwild, um sich geschart. An Fotos war aufgrund der Dunkelheit nicht zu denken. Aber, hey allein das Röhrenhören war schon der Hit. Wermut ins Hirn tropfte allein die überraschende Erkenntnis: Du bist nie allein. Menschenmassen drängen zur Brunft. Schon seit August sehe ich Anzeigen für den “Höhepunkt im Jahr”, man müsse nach Dänemark, auf den Darß, nach… Brunftourismus.




Bei uns in der Gegend war da noch nix los, viel zu warm. Aber dann ging’s doch los. Mit dem Auto cruisten die Leute ums Carree, fielen mit Kind und in kurzer Hose für sieben Minuten raus ihrem Kokon, die Gesichter kuhl im blauen Handylicht. Ohja, Alter. Hirschbrunft.

Damhirsche brunften später, bei unsren neuwarmen Temperaturen noch später. Die Fans von Brunftfotos trafen sich mit ihren Riesentüten schon seit Tagen auf der Arena. Letzten Sonntag etwa waren 15 “Fotografen” da und drei Hirsche. Das Kahlwild hätte da lieber andere Jungs und bleibt fern. Mehr Luft, Leute, mehr Respekt!
Gestern wars gut: unter 13 Grad, leichter Regen. Nur eine handvoll Jäger und vorsichtige Naturgucker am Rand. Über uns Kraniche. So ein Glück.

Hörst du?

Die blanke Schwedenmünze rollt noch in meinem Kopf hin und her. Die See, jetzt so tobend, vor Wochen noch ruhiger, sehe noch die Abdrücke meiner Barfüße auf Stein. Sonne, Regen, Menschen und nasser Sand. Schöner Abschied von einer Reise. Bin noch dort. Liege im Wald. Kann nur erzählen, was vor- und nachher, was immer geschah. Von den Überlagerungen aus diesem viel zu langen Sommer, diesem Ausgangswinter und dem Leuchten des Frühherbsts.

Am Arm der Schatten erspäh ich Wegkreuzungen, die sich übereinanderschieben. Doppelt, dreifach beleuchtet. Tun sie seit Jahren. Da ist es das Lebensmosaik, ganz ohne Scherben nur mit handelsüblichen Brüchen. Durchschimpft von Amseln, Kehlchen und Sylvias. Da war ich. Nein dorther, nee dorthin gekommen und habe das, ach nein, es war doch jenes, ich habs gesehen, weißt du. Also, ich selbst wahr, wahrhaftig war dort und wann? Wird sich so leicht versä’n wie Münchner Bergminze.

Auch Tränen lecke ich selbst, das Einhorn ist noch am Südsee in Schweden. Mag es die Dachse filmen, wie sie über die Wege huschen, und die Hirsche, die trefflichen Hirsche. Auch bitte den weißen, aber ich schweife. Schweige ab.

Schwelge in Augenseen, wohin ich denk. Der Garten meines Geists überall. In den Furten, die ich hochspritzend durchfahr. Während ich lausche und mich feueratmend ausbreite. Während ich hier so achtsam den Eulenblick übe, überfahre ich dort die Eidechse. Nur ruhig, sie entkommt. Ihr Schwanz mich ablenkend, vor mir auf dem Asphalt zuckt und springt. Ich Idiotin. Drauf mein Handy stürzt und ich verliere es, wie alle Wege und Notizen an mich selbst, alle Hin und Zufahrten. Meine Liebe, Freunde und Feindesfreunde, meine geschundenen Adern, diese Lakritzfäden, meine Schlangen. Granatrote Tintenfischkrone, ich schlürfe dein Ei, bin dein Haar.

Dein Blitz: mit Archeris Kraft, mit dem Gleitschirm ersegle ich die Balkons der Dünen, sieben Möwen über mir. Spüre die Hitze, die Wasserlöcher unter den Straßen und weine um totgefahrene Igel. Niemals würde ich ihnen die Stacheln ausreißen oder Federn. Sie deshalb dann Lehrer heißen. Niemals. Lieber träume ich in den Sitzecken der Spree. Spüre auf den Sanden des Tagbaus nach Marderhund, Oothek, Heidelerche. Bebe, wenn der Hirschlöwe brüllt. Schrecke, wenn hinter mir das Reh bellt. It‘s Vollmond, Baby, und lache über die Tollkirsche zu seinen Füßen. Riechst du‘s? So viel aufzunehmen, anzulegen, so gebt, um Erdenswillen, gebt den Seelen, dem Frieden mehr Luft, hört ihr!?

NaturFoto 10/23: Wer? Welcher Fuß?

Freuen uns sehr, dass die NaturFoto in der aktuellen Ausgabe die Tracking-Fotoserie bringt. Auch dass eine Frage als Titel steht, mit der man sich als Fährtenleserin ziemlich oft beschäftigt. Worum es geht? Um die Ästhetik von Tierspuren, das Angerührtsein beim Anblick von Tierzehenabdrücken und – die Kunst des Fährtenlesens. Mehr? Unbedingt eine kaufen, es lohnt sich in jeder Hinsicht…

Aktionstag Schömberg

Zur Eröffnung der Ausstellung, zur Ballade des Wassers mit Bahn und Rad. Das war Pats Plan – und so haben wirs gemacht. Zum ersten Mal ohne Auto. Läuft!

Also, ab Bad Liebenzell im Schwarzwald nach Schömberg. Zehn Kilometer, 400 Höhenmeter, nur bergauf. Pat immer voran. Ich verbarg mein Ächzen im Moos. Aber: Goldener Oktober! Ankommen mitten im Schömberger Herbst-Trubel war mega. Vorbei an Kurhaus, Kinderspielen, Menschenmassen, die zum verkaufsoffenen Sonntag pilgern. Zu Fuß dann durch den gut gefüllten Bauernmarkt, und hinein in die menschenleeren Ausstellungen.
Im Rathaus gefiel uns “SubReal! von Andreas Helweg, im Haus Bühler klatschten unsre Bilder willkommen und heulten, sie hingen bisschen schepp.
Danach Kaffee und Kuchen von der Waldräuber-Kita, Käse vom Bauernmarkt und Tschüssle ihr vielen. Zurück, zum Glück, immer bergab.
Die Bahnerlebnisse wollen noch verarbeitet werden. Erst quetschten wir uns zu den Oktoberfestlern, paar Stunden später die Eintracht-Fans zu uns. Menschen, Menschen, Menschen.

Ach Schömberg. Pat hat schon die nächste Idee – we’ll be back!