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Das Porträt: „Guck ma, noch so`n Bunter!“



 
Hab ich da eben richtig gesehen? Kleine bunte Bärchen auf den Oberarmen unserer Tierarzthelferin Anna Maria Weber? Tatsächlich, auch auf den zweiten Blick tummelt sich das Fantasievolk auf ihrer Haut. Tattoo-Tiere in Comicstil, die mich angrinsen, als wollten sie mir gleich die Zunge rausstrecken, ein Häschen sogar mit Spritze im Bobbes… Dass Anna ihre Haarfarbe variiert, gern auch mit knallbunten Strähnen, bin ich gewohnt.. aber.. Tätowierungen? Ist mir neu. Sonst trägt sie auch nichts Ärmelloses.. aber.. heute ist’s brülleheiß – und ich klebe mit meinem Blick an ihr. Ihr Chef steht daneben und grinst. „Jaja, die Anna. Die hat noch mehr in petto…“ Was denn? „Sie tanzt und tritt auch auf und zwar mit zwei verschiedenen Michael Jackson-Gruppen.“ Weil gerade Zeit ist, winkt mich unser Tierdoktor zum Laptop und startet das Youtube Video vom letzten Gig in Österreich.

Michael Jackson ist nun nicht so mein Geschmack, aber ich bin neugierig geworden – bisher kenne ich Anna nur als besonnene Bezwingerin unserer Kater. Wenn die nämlich zum Tierarzt müssen, verwandeln sie sich in Knäuel messerscharfer Hakenkrallen. Und da wir dummerweise einen Transport-Korb haben, in dem kater sich bombenfest einhaken kann, braucht es mindestens drei unerschrockene Dompteure, um unsere hasenfüßigen Kerls da rauszuzerren…

Die Idee zu Porträts jener Menschen, die uns im Alltag begegnen, haben wir schon länger – und ab sofort stand Anna mit auf der Liste. „Das kenn ich, dass Leute erst durch meine Tattoos auf mich aufmerksam werden“, erwischt sie mich. Madame ist auf Zack, das wusste ich ja schon. Aber – warum eigentlich ist sie Tierarzthelferin? Warum nimmt man so einen typischen Mädchenberuf, der doch irgendwie eine Sackgasse ist? „Ja, ich kenn die Vorurteile. Viele denken: Tierarzthelferin ist Kuscheln. Dass ich den ganzen Tag nur mit Tieren kuscheln kann.“ Und? „Na, hauptsächlich geht es darum, die Tiere am Tisch zu bändigen. Telefondienst, Bestellungen machen, Büroarbeiten, Operationsassistenz…“ Die Highlights? „OPs.“ Ihr Chef nickt, eigentlich hätte er gern, dass sie Tiermedizin studiert, aber das Theoretische ist leider nicht ihr Ding. Mit Tieren beruflich zu tun haben, wollte sie immer. Als Kind hatte sie Streifenhörnchen, Hamster, Ratten und war damals schon Stammgast beim Tierarzt – als Helferin. „Mit neun hab’ ich meiner Mutter mal an einer Gewürzgurke das Kastrieren von Katzen demonstriert – das fand sie aber nicht so lustig.“ Anna muss lachen.

 

Auf immer Tierarzthelferin? Eigentlich nicht.. aber.. Wer weiß, was das Leben noch so bringt. Vielleicht landet sie mal in Kanada? Würde ihr gefallen, sie hat sogar Verwandtschaft da. Vorerst jedoch ist der Chef so folgsam, dass die Arbeit flutscht, und das Tanzen ihre kreative Kraftquelle. Letzten Samstag ist sie mit Gruppe eins im Frankfurter Club das Bett aufgetreten. Sieben, acht Mädels und ein Junge, die sich spontan nach Michel Jacksons Tod bei einem Tanz-Flashmob gefunden haben. Anna macht die Choreographien, sucht die Musik aus und schneidet sie auf die Tanzschritte zu. Ziemlich aufregend die Auftritte, auch nach knapp zweieinhalb Jahren noch. Die andere Truppe, vier Mädels und ein Frontmann wird von Martin gemanagt, einem Michael-Jackson-Impersonator. Hier befolgt sie nur Anweisungen – zur Entspannung sei das gut, aber die andere Variante bringt ihr kreative Herausforderung. Im Video sieht sie gar nicht mehr wie Anna aus, trotzdem findet sie. „Je mehr ich mich verkleide, desto besser kann ich aus mir herausgehen.“ Geübt wird übrigens regelmäßig in der Tierarztpraxis, nach Dienstschluss.

Okay: Tiere, Tanzen – und wieso Tattoos? „Ich find’s schön. Andere lassen sich piercen, tragen Ohrringe, kaufen sich neue Klamotten…“ Ihr Motto: Nicht immer gleich aussehen, wandelbar bleiben. Mutet schon paradox an. Denn: die Tätowierungen selbst sind ja nicht mehr wandelbar. „Durch sie sehe ich aber immer weniger aus wie jemand anderes.“ Und wenn sie mal alt ist – „und meine Haut runzlig? Das hat meine Mutter auch gefragt – ich hab ihr geantwortet: dass ich dann doch lieber runzlige bunte Haut habe.“ Letzt war sie wieder mit Muttern unterwegs, als die plötzlich ganz beglückt ausrief „Guck ma, noch so’n Bunter“. Anna rollt die Augen, „Mann, war das peinlich.“

Aber auch lustig. Was sie dagegen gar nicht leiden kann: Wenn jemand heimlich glotzt – und schnell wegguckt, sobald er/sie Annas Blick bemerkt, auch blöde Fragen wie „Stehst du auf Schmerzen?“ kommen bei ihr nicht gut, oder gar Kommentare wie „Das geht aber nicht wieder weg.“ Hat mal einer im Supermarkt gesagt. Ganz übel findet sie Tattoo-Ideenklau. „Erst mal gehört es sich schon nicht, dass ich einen Tätowierer auffordere, das Tattoo eines anderen nachzumachen – und zweitens ist’s nicht okay, dass der Tätowierer es dann auch noch macht.“ Stichwort Urheberrechtverletzung – das kennen wir gut, hätte ich jetzt in dem Bereich allerdings nicht erwartet – und natürlich ist es auch hier geleitet vom Krämerseelenprinzip, etwas supergeiles supersamstagbilliger kriegen zu wollen. Also: Finger weg von den Tattoobildern der Neu-Isenburger Künstlerin Melanie und Artist Jesse Smith (und unseren Fotos)!

Ihre Tattoos nennt Anna „Projekte“ – bisher neun. Darunter ein Tiger auf dem Schulterblatt, eine Blumenranke auf der Leiste – übrigens die Blume ihres Geburtsjahrs: die Wildtulpe – teilweise skelettierte Hände auf den Rippen. Niemals aber würde sie sich Allerweltstattoos stechen lassen, so was wie Sternchen, Ornamente oder ein Arschgeweih. Nie. „Es muss schon etwas mit mir zu tun haben.“

 

Bestes Beispiel dafür ist ihr „inneres Kind“, das den rechten Unterschenkel bedeckt. Sieht ziemlich cool aus und sie ist auch verdammt stolz drauf. Sie saß dafür bei Jesse Smith aus Virginia – einem Star der Tattoo-Szene. Er hat Kunst studiert und früher Graffitis gesprüht, man sieht’s an seinem Stil – und der Tiefe der Bilder. „Wenn Jesse nach Europa kommt, dann nur um zu tätowieren. Die Nachfrage ist so groß, dass er sich seine Kunden aussuchen kann.“ Per Email hat sie sich beworben, und dabei die obligatorischen Fragen – wie viel Zeit, wie viel Geld willst du investieren, für was und wohin? – beantwortet. Einen Taui würde sie berappen und zur Tattoo-Idee schrieb sie: “Inspired by Peter Pan, Charlie and the Chocolate Factory, and Alice in Wonderland, I imagine the tattoo as a sort of childrens’ dream world that is threatened by reality. I would like to express how difficult it is to preserve our inner child in everyday life.“ Volltreffer. Jesse geangelt.

Erst war er schon ausgebucht, dann sprang einer ab und sie sollte drei Stunden kriegen. Fasziniert von der Idee fing er wohl er zuhause an zu zeichnen, und reservierte schließlich einen ganzen Tag nur für sie. Normal seien anderthalb Jahre Wartezeit, „wenn’s ein guter Tätowierer ist“. Die Zeit – sechs Stunden – reichte für die Hälfte des Bildes: ein Mädchen, das es faustdick hinter den Ohren hat, und ihre Katze so fest gepackt, dass der die Augen überquellen. Vom Termin hat sie vor allem die Farben in Erinnerung: „Die Tätowierer, bei denen ich sonst war, haben vielleicht zehn Farbtöpfchen da stehen – Jesse aber hat immer mehr ausgepackt, es waren mindestens 30. Ständig hat er Farben gemischt, Wahnsinn.“ Den Rest – die Realität, die das Kind mit glubschäugigen Tentakeln bedroht – wird er drumherum tätowieren, sobald er wieder in Deutschland ist. Wahrscheinlich nächstes Jahr.

Jetzt fühlt sich das quietschbunte Hautbild glatt an – direkt nach der Mammutsitzung von sechs Stunden aber war ihr Bein zwei bis drei Zentimeter dicker als sonst. Das sei normal, die Haut reagiert auf die Farbe mit Abwehr. „Danach fühlt man sich richtig fiebrig. Aber am nächsten Tag ist die Schwellung weg. Es dauert etwa 10 Tage, bis es verheilt ist. Dann brennt es erst und die Haut pellt sich wie bei einem Sonnenbrand.“ Tut es nicht auch beim Stechen gemein weh? „Ja, aber ich bin da nicht so empfindlich. Wenn Fettgewebe unter der Stelle liegt, ist es nicht so schlimm wie auf einem Knochen. Auf der Leiste, das war die Hölle – und auf dem Schienbein wird’s auch wieder weh tun.“ Was sie keineswegs abschreckt. Okay. Aber, dass sie nicht nach den Inhaltsstoffen der Farben fragt. Hm. Autolack womöglich – das wär nix für mich.

Der rote Faden in Annas Leben sind die drei T – Tiere, Tanzen und Tattoos. Der rote Faden bei ihren Tattoos ist die Überraschung. Es gefällt ihr gut, wenn sie ihre Mitmenschen zum Stutzen bringt. Natürlich fällt Anna auf, wenn sie im Top durch die Straße läuft (auch so ne Bunte). Da muss man stabil sein, sonst erträgt man das nicht. „Ein Freund hat mal gesagt, ‚Hätte ich dich auf der Straße gesehen ohne dich zu kennen, hätte ich gedacht, was ist das denn für ne Asoziale.’ Oder andersrum: die Leute denken, ich bin so eine kleine Süße, und wenn ich die Jacke ausziehe, kriegen sie große Augen.“

Mit Vorurteilen kennt sie sich aus und es macht ihr Spaß, sie auszuhebeln. Die Bilder auf ihrer Haut spiegeln ihr Lebensgefühl und ihren Wortwitz: Ein Würmchen etwa mit Glühbirne im Po, ein Kartoffelkäfer mit Pommesfühlern, und als neuestes der „Fußpilz“. Ein halbes Hähnchen und ein Rollmops können noch kommen – sowas fällt mir Sonntagmorgens beim Aufsteh’n ein. Spontaneität ist ihr wichtig. Political correct muss es dabei nicht zugeh’n. Prinzipiell ist ihr ziemlich egal, was die Leute von ihr denken und das soll auch so bleiben: „Ich will mir das bewahren, ein bisschen verrückt sein. Ich leb doch nur einmal.“ Aber manchmal, so im Alltag, geht selbst ihr dieses Feeling verloren. Und? „Da guck ich jetzt einfach auf mein Bein.“

Fußpilz

 

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  1. Super Story und schöne Fotos eines wahren Tattoo-Künstlers. Danke für die Einblicke (was die Terminfindung bei Jesse Smith angeht) und die Trägerin seiner Werke.

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