Hey Leute, ihr habts geschafft! Gerufen und Tausende sind gekommen. Tausende, die ihr Unverständnis, ihre Wut und Wunschzettel zu handgemalten oder farbgedruckten Bannern gemacht haben. Kleine Auswahl: We are so angry, we made a sign! – Grow solidarity, not economy – Power to the People – Diese Person möchte keine Banken retten – …Lobbyistennutten… – Schämt euch! – Jump you fuckers – Bad banks for bad boys – Ihr spekuliert mit unserem Leben! – Wozu Banken überfallen? Die Schlauen gründen eine Bank! – Revolution – Eat the rich! – wir sind die 99 % – Ich bin 99 % – Empört euch! – Wir sind alle Griechen – Europa den Europäern – Das Spiel ist aus! ……
Und alle zusammen: „Hoch! die! Internationale Solidarität!“ Den Takt gaben Trommeln, Pfeifen und Ratschen. Seifenblasen steigen zwischen den Leuten auf. Die Abluftgitter der U-Bahn dienten als Flugblattspucker – man sah die kleinen Blätter von weitem wie Konfetti über der Szenerie umherwirbeln.
Ihr habt noch was geschafft: die bunteste Mischung von Leuten zusammen getrommelt, die sich je in Frankfurt getroffen hat. Sie kamen zu zweit, zu dritt – in Gruppen, die sich sonst woanders gegen was anderes treffen. Die Aschaffenburger Friedenstrommler, die Mainzer Montags-gegen-Atomkraftdemo-Macher oder die Ordensleute für den Frieden – Leute, die seit 21 Jahren jeden ersten Donnerstag vor der deutschen Bank eine Mahnwache abhalten – „bis der Kapitalismus abgeschafft ist“. Gregor Böckermann gehört dazu. Wir haben mal über seine Aktionen eine Reportage gemacht und ich habe ihn in den letzten Jahren oft mit zwei anderen Wackeren bei Wind und Wetter vor der Bank stehen sehen, umschwirrt von geschäftigen Bänkern. Wie haben seine Augen heute geleuchtet. Ihr habt einen alten Mann – der schon als zorniger alter Mann bezeichnet wurde, weil er gegen Golfkrieg, Irakkrieg demonstrierend Zäune durchschnitt und überkletterte – glücklich gemacht. Heute endlich durfte er in einem Meer von Gleichgesinnten baden.
Irgendwo pfeift jemand „Bella ciao“… In meinem Kopf läuft „First we take Manhatten“ und los geht’s, Richtung Banken, Richtung EZB. Die Fotografen wuseln herum, schöner kann man die Banken heute nicht kriegen. Ich warte, warte, gucke. Die beiden da vorne mit den Goldohrringen und den Kostümen – dahinter die leicht gammelig aussehenden Freaks mit den Schildern „Gratis-Umarmung“. Und wupp kreuzt eine Gruppe mit „Die Linke“-Fahne von rechts: „Ich wäre lieber hinten gegangen“, mault eine, der Fahnenträger grinst, dann wären wir ja mal wieder das Letzte gewesen…“
Stopp Commerzbank. Auf den samstäglich leeren Stufen läuft heute eine Jamsession mit Tanzeinlage. „Stimmung gegen die Banken“ ruft der Musiker. Wir erobern die Straße, wir Träumer im goldenen Herbstlicht. Wir nehmen die Mainzer Landstraße Richtung EZB und da stehen schon die Teams vom ZDF. Sie brauchen O-Töne, eine Frau, sie will nicht, wird festgehalten, reißt sich los. Nein heißt Nein, Kollegen. Als Nächster ist der Junge mit den Rastalocken dran. Er trägt eine Schilderstange, die wie ein Totem aussieht. Die erste und einzige Frage des Fernsehmanns an ihn: „Hast Du Panzertape oder Heringe mit?“
Dadrauf erst mal ne Pause in der Sonne. Vor mir Polizei, hinter mir Menschen und Menschen und Hunde. Und sieben Jungs und Mädels, die still stehen wie eine Truppe Schauspieler, jeder und jede mit einem Pappschild – zusammen bilden sie FREEDOM. Und aus dem Mikro weiter vorne tönt: „Bisher hat jede Krise zu immer mehr Sozialabbau geführt. Geht auf die Straße, ändert was!“ Wie viele sind es denn jetzt? Eine sagt 4000. Es müssen mehr sein. wie viele? Auf dem Weg zu den Polizisten treffe ich Jonas. Er hat eine Seifenblasenpistole – „vom Orgateam.“ Er grinst und weiß, dass die Schätzung der Polizei bei 5000 plus liegt. Auf der facebookseite von Occupy Frankfurt hatten sich zwar über 2000 angemeldet, aber niemand wusste, wie viele wirklich kommen würden. Wolfram Siener sagte später der ARD: Mit 1500 wäre er schon zufrieden gewesen, nach Schätzung der Polizei aber seien es jetzt 6000-8000 – „ich bin begeistert.“ Gefühlt waren 10.000 da – und zwar querbeet durch alle Alterstufen und Haarfarben.
Zum Beispiel Herbert. Ich nenn ihn mal so, ist Gebäudereinigungsmeister, steckt noch in der robusten Arbeitshose und kommt aus Heidelberg. Allein. Jetzt springt er zwischen den Leuten herum wie besoffen. Fotografiert mit seinem kleinen Fotopieps die Glatzköpfe mit dem Riesentransparent und ruft: „Genau! Jetzt ist endlich Schluss!“ Er rüttelt mir mit seiner Pranke die Schulter und muss unbedingt noch was loswerden: „Ich bin gerade 60 geworden und ich bin heute zum ersten Mal auf einer Demo. Früher war ich sogar in der FDP. Eigentlich sind wir ja alle kleine Kapitalisten. Jeder muss seine Brötchen verdienen. Aber.. Es hat seine Grenzen was da jetzt läuft … dieses Finanzsystem ist kriminell!“
Genau solche wie Herbert will Occupy erreichen. Leute, die die Arbeit machen. Dirk Müller sagte letzt bei Maybrit Illner, er wundere sich nicht, dass es jetzt diese Bewegung gibt, sondern nur, dass sie sich nicht schon „viel früher“ gegründet hat. Alles Ein-Prozent-Träumer? wie es rotzig-bissig bei Spiegel Online steht? Schade, dass man ihnen nicht zuhört. Jonas, einer mit Seifenblasenpistole und gefakten Zehnern sagte mir, dass er sich freut, wie viel Leute gekommen sind, und „Mir geht es um eine konstruktive Gegenkultur, eine die keinen neuen Hass schürt und auch nicht Despoten in die Hände spielt. Ohne Alternativen können wir nichts ändern.“ Er gehört zur Zeitgeistbewegung. Alternativen, Lösungen, Solidarität. Gilt das nicht? Auf SpOn steht im übrigen auch, dass nur 10 Zelte aufgebaut wurden. Zwischen den Zeilen lässt sich lesen, dass das total lächerlich ist. Es steht da nicht, dass das Ordnungsamt FFM höchstens zehn genehmigt hat, der Rest würde abgeräumt. Warum muss ich mich immer über meine „Kollegen“ ärgern? Warum sinkt wohl das Ansehen von Journalisten? Hölle. Höllepreis. Den Code of Fairness der Freischreiber möchte ich schon längst gern erweitert sehen um einen Code of Fairness gegenüber den Leuten, die die Storys liefern. Und – das ist die leidvolle Erfahrung von vielen Freien, die ich kenne mit: eine ganze Reihe Redakteure mögen nur Geschichten, wenn die These steil ist oder wenn’s brennt. Leise Geschichten, Böckermanns Mahnwache so was, sind fast unvermittelbar. Occupy Frankfurt sagt übrigens gerade: Occupy Medien. Also Kinners: Panzertape oder Heringe? Wie geht “saukrass“?
Klasse, wie ihr das in Wort und Bild festgehalten habt. Mehr davon. :-)
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