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doc 13: Zeit, die es braucht

Vier Menschen, 13×13 Kunstwerke (und noch ein paar mehr)… Es duftet nach Lindenblüten, als wir frühmorgens in den Zug nach Kassel steigen. Unser Ziel- und Startpunkt dort: Kulturbahnhof. Charmant niedergerockt. Unübersichtliches, dabei doch klar gegliedertes Gelände, dessen ungeschönte Präsenz uns bereits kunstsinnlich macht. Einen Tag lang stürzten wir uns in den „Tanz“ der documenta 13. So nämlich fasst die Kuratorin Carolyn Christov-Bakargiev (CCB) die Kunstschau unschlagbar in diesem Satz: „Der Tanz war sehr frenetisch, lebendig, rasselnd, scheppernd, walzend, gewunden in Schlangenlinien und dauerte eine lange Zeit.“ Natürlich auf Englisch. So wie hier fast alle Bildinfos, Videos und Filme, was ziemlich arrogant gegenüber den Gastgebern ist. Unser erster Knoten in der Kasseler Tanzlinie war die Taschenabgabe an einem weißen Container. Ein immer wieder kehrenden Ritual, das uns fortan Knotenpunkt um Knotenpunkt begleitet. Die Containerfrauen tragen Seidenschals in petrol mit rötlichen Streifen. Daran soll man alle documenta-13-Helfer erkennen. Ticketverkäufer, Ticketprüfer, Eckensteher, Publikumszähler, Mahner und Aufseher tragen sie um den Hals, im Haar, um Hüften oder Handgelenke gewunden. Schlicht schön. Wenn ich dagegen an die Jugendkirchentagsspaghetti in grün …

Andy Goldsworthy: Die Schönheit vor dem Kollaps

  Das sollen tolle Bilder sein? Ich bin enttäuscht. Sind extra nach Rüsselsheim zur Austellung gefahren – Goldsworthy zum ersten Mal in Deutschland!! – und jetzt? Stehe ich vor großformatigen Fotos, die zusammengefügt wie ein Puzzle oder Mosaik einen Baumstamm zeigen, zu dessen Füßen ein kreisförmiges, schwarzes Loch gähnt. Hm. „Das ist aber kein Bild! Nur ein Beweisfoto“, würde Pat zu mir sagen, hätte ich es gemacht. Aber dann funktioniert es doch, treffen sich mit Mal Ausstellungskonzept und Landartfoto. Im nächsten Raum geht es endlich auf, das Goldsworthy-Fenster. Saugt uns in eine Welt, weit und atemlos. Berührt uns mit Bildern wie das hier: See mit filigraner Installation aus Schilf. Drumherum eine traumverlorene, unberührte urlandschaft. Oder dieses, auf dem ein spitz zulaufender grauer Stein im Morgenlicht zu sehen ist, darauf balancierend ein anderer Stein, rund, mitten auf der Spitze. Hält gerade so auf diesem Foto, man glaubt ihn taumeln zu sehen kurz bervor er ins nächste Bild fällt. Im Fallen eine Möwe, die sich fortschwingt. Auf den nächsten Bildern Kreisbögen aus Schneeplatten. Und Licht. Am Südpol. …

Entrée: Lebensräume – Flugrouten

  Noch nicht da gewesen? Hier ein paar Bilder und Texte unserer Ausstellung: Früh Zum See. Frühmorgens, wenn die Stadt noch schmale Augen hat. Die Ufer gesäumt von Suchenden. Die am Wasser sitzen, Gedanken schwimmen lassen, austreiben, auswuchern, passen. Ich wusste doch nicht, dass Städte sich verkleiden, sie drauf angewiesen sind, ihre Plätze tauschen manchmal und sich wild und heimlich ausschütten vor Lachen. Dass es so einfach wäre, Du zu sagen. Doch die Schwäne. Heben sich und tragen mich fort.   Unterm Rad Wie es formt, das tägliche Schaffen von Zukunft! Den Stein ein wenig weiter schieben dürfen. So ein Glück, ihn herabrumpeln zu sehn. Sich einspieln, hochziehn – immer rasanter hinab, geschickter die Züge hinauf. Kette und Schuss, 40 mal 45 – zähl nach. Die Welt ein Lachen im Kompass, bis die Nadel springt. In einer Sekunde nur alles gewendet, gestoppt, auf Null.   Nachtflug Ein Leuchten im Lidschlag des Monds eine Lichtspange rafft All und Rinne des Zufall. Ein Aufglühn: Verheißung, Gral, Sirius’ Sehnen. Gebannt von undeutbaren Zeichen, gebrannt vom Atem der Hoffnung. …

In Strömen: Lebensräume – Flugrouten

  Freitag, 9:30 kühl aber sonnig „Hier riechts gar nicht nach Kirche“ – als wir Freitag die Bilder hängen, schnuppern die Ersten gleich rein. Tatsächlich, es riecht nach Druck, nach Farbe – aber – wie riecht Kirche? Die Sonne scheint, die Bilder hängen, die Knäuel für die Strickaktion liegen in Körben bereit und auch die gestrickten und gehäkelten Flugzeuge sind alle fertig, harren der Ausstellungseröffnung. Die wollenen Flieger werden symbolisch für die Flugbewegungen in der Region stehen und beim Strick-In einen ebenso symbolischen Deckel bekommen… So hatte ich’s mir vorgestellt: Wenn massenhaft aktionshungrige Menschen kommen, stricken wir erst den Deckel und dann der kleinen Kirche noch ein Lärmschutzband.   Sonntag: 15 Uhr Dauerregen Aber – der Mensch denkt, die windige Windsbraut lenkt, und dann kam Sonntag. Kam alles anders. Es tritschelte, tratschte, schüttete, goss und floss. Sturzbäche waren die Gassen… Der Himmel hörte nicht auf, die Erde zu wässern. Ging auf alle über, aber nicht über uns allen auf. Jammern? Mitheulen? Die Versuchung war da, aber, wer erst mal nass ist, den kann wohl nichts …

Die K-Frage: Zeit für Fritz?

„Ideen sind das Geld von Morgen“ – lautet der Text eines Werbe- Plakats, der mich nicht mehr loslässt:. Die Schrift war eine Montage aus Geldscheinen. In seiner Plattheit ist es ja kaum zu überbieten, dabei ist es Werbung für den Art Directors Club. Eigentlich nicht der Rede wert, und doch. Es ist eine Weile her, da hing an fast der selben Stelle ein anderes Plakat im Zentrum ein aalglatter Jüngling, schick aufgetakelt, breites Grinsen – und die Aussage war etwa die: „Geschissen auf die Werte – eigentlich wollen wir doch alle nur eins: viel Geld verdienen (egal wie) und gut leben (egal auf wessen Kosten). Und weil die neueste Plakatierung diese platten Werbebotschaften perfekt abrundet, beschreibe ich es auch gleich noch: „Pommes im Ofen, Zeit für Fritz.“ Der Junge, für den Mama jetzt Zeit hat, (weil sie zum ersten Mal in ihrem Leben die Pommes nicht selbst gemacht hat?) sitzt etwas unentspannt auf dem Tisch vor ihr. Ätzend. Das Weltbild, das Erziehungsbild, die Wortwahl. Viele sagen ja, der Journalismus sei tot (gespart) – die Werbung …

Ausstellung: Lebensräume – Flugrouten

  Eva strickt, läuft, redet gegen den Lärmteppich über Offenbach – und sie liebt, Zeichen zu setzen – Eva Reiß, Chefin der Evangelischen Kirche in Offenbach. Am liebsten sind ihr bekennende Zeichen mit Witz und Aussage und, ja, sie liest dieses Blog. Und weil es bei ihr gezündet hat – Ausstellungen sind Kinder von Begegnungen – zeigt sich die Offenbacher Stadtkirche in diesem Sommer mit unserem Blick auf Rhein-Main. Es ist ja hier ein bisschen wie im Ruhrpott: im Ballungsraum, denken viele, gibt’s eh keine intakte Natur, keine Ruhe mehr. Stimmt nicht. Frankfurt ist eine kleine, eine ländliche Großstadt. Eine Finanzmetropole mit feinen Kräuter- und Blumengärten zu Füßen. Und auch Offenbach, gern abgezoffte, kleine, kreative Stadtschwester, träumt sommers wie winters gern am Main. Wir haben alles! Museen, Erdbeeren, Apfelwickler, Häfen, Kulturheidelbeeren, Konzerte und Spargel, Pharmariesen, Global Youth Village, Filmfestivals und Zecken. Multikulti in jedweder Hinsicht und mit jedweder Verkehrsanbindung zu Wasser zu Lande und – in der Luft. Schwäne überfliegen Wasserstraßen, Kraniche trompeten über uns hinweg. Am lautesten, stetigsten und zahlreichsten im Luftraum aber sind …

Entree! Buch- und Ausstellungs-März

Schon draußen gewesen? Barfuß? Die Zehen im Sand, die Sohlen in taunasser Wiese, die Sommerwaden im Grasblütengekuschel… Draußen sein ist ein Lebensentwurf. Ist durchgepustet werden, ist die unberechenbar-köstliche Überraschung des Jetzt. Ob Urlaubstag, Waschtag, Marktag – alles Alltag, der nebenbei seine Stillleben zusammenwürfelt. Oft nur sichtbar in der Sekunde des Vorübergehns. Wenn die Kamera passen muss, übernimmt das innere Auge die Spur. … So fängts an. Unser Booklet. Das gerade gedruckt wird. Der Anlass – Tanztherapeutin Susanne Born will ihre Räume durch unsere Foto-Strick-Graffiti verwandelt haben. Am Sonntag den 25. März öffnet sie dann – für einen Tag für eine Ausstellung. Und weil wir den Besuchern auch was zum Blättern anbieten wollen, wird jetzt dieses Booklet gedruckt. Und dabei gleichmal blurb ausprobiert, den book-on-demand Publisher der Fotografen (das Wort blurb ist übrigens keine Neuschöpfung, ist kreatives Beiwerk, gibts seit 1907 sagt wiki: hier). Also blurb, denn: selbst ist der Mensch, vor allem der Autorenmensch, vor allem weil die Verlage nicht nur zicken, sondern buy-outen und Leistungsschutz irgendwie anders sehen als Autoren wie Freelenser und Freischreiber …