Gesellschaft
Schreibe einen Kommentar

Wir Schnäppchenreiter

 

„Fingerdick“, will ich gerade zeigen, als mich die junge Wurstverkäuferin unterbricht: „Die ist mit Schweineleber.“ Wie? Die Kalbsleberwurst? Nein, dann lieber noch vier Scheiben Leberkäse. „Mit oder ohne Leber?“ Wie? Wo ist der Unterschied? Sie kuckt professionell freundlich, nur die Augen dimmen merklich auf „Himmel ist die blöd“. Und es kommt, was kommen muss: „Na, entweder mit oder ohne Leber drin.“ Hm. Mit sieht irgendwie leberkäsiger aus – also mit. Jetzt kommt der Chef und erklärt: „Bayerischer ist ohne, hessischer mit. Weil, in Bayern ist mit Leber verboten, in Deu, äh, Hessen nicht.“ Aha. Und dass es natürlich auch Schweineleber ist. Aua. Also doch noch Schweineleber gekauft, wo ich Schwein eigentlich gar nicht esse, der alltäglich lebendig gesottenen Schweine wegen, deren Schreie mich verfolgen.

Im Monat des Pferds kriegt man nun aber auch alles beantwortet (was man sich nie gefragt hat). Wurst gibt’s bei uns eher selten, denn eine Lage Salami oder Schinken liegt wochenlang – und die letzte Scheibe landet dann eh in einem Katerbauch. Aber gestern war doch mal wieder eine Runde fällig. Vielleicht auch nur, weil Markttag war, und dort immer der gute Vogelsberger Dorfmetzger steht. Jetzt verfolgt mich diese Leber. Im Leben noch nicht drüber nachgedacht. Und ein Freund sagt dann auch noch, aber Schweineleber ist doch grau? Bahh! Jetzt mal genauer – Inhalt checken, sollte man ja eh immer machen, nicht nur bei Tiefkühllasagne, die wir nun wirklich im Leben nicht kaufen würden, mit oder ohne.

Also, Leberwurst. Hier der Kürze wegen mal nur Wikipedia:
„Kalbsleberwurst enthält einen Anteil von mindestens 15 % Kalb- oder entsehntem Jungrindfleisch. Seit Anfang 2010 muss Kalbsleberwurst in Deutschland auch einen Anteil Kalbsleber enthalten. Enthält sie nur Schweineleber, lautet ihre Verkehrsbezeichnung Kalbfleisch-Leberwurst. Generell enthält die am Markt verfügbare Kalbsleberwurst einen erheblich höheren Anteil an Schweine- als an Kalbsrohstoffen. Dies steht in Übereinstimmung mit den lebensmittelrechtlichen Vorschriften in Deutschland.“ Damit das klar ist.

Und Lebberkäs? Muss, wie der Dorfmetzger schon sagte, „außerhalb Bayerns Leber enthalten“, es sei denn, er heißt „Bayerischer Leberkäs(e)“. Weil das ja klar ist, um mal einen berühmten Bayern zu zitieren. Unter „weitere Varianten“ kennt Wiki auch, Achtung: Pferdeleberkäse! „(etwas würziger, mit Pferdefleisch) … vor allem im Osten Österreichs.“ Okay, den gerade nicht, aber bayerischen Leberkäs kann man auch bei Amazon bestellen. „Gebraucht EUR 1,47.“ Häh? Kleiner Verleser, sorry. Nicht abgepackte Wurst zeigt die Abbildung, sondern „Das Original Bayerische Leberkäs-Kochbuch“ – und auch die Dose Leberkäs, 200 Gramm, gibt’s nur „neu“ und für 1,70. Ansonsten reichlich Landmetzgers Bayerischen für 11-16 Euro das Kilo. Was gibts sonst hier? Wies’n lass nach: Leberkäs-Semmel-Ohrringe! Ja mei!

Aber, darf ich das jetzt überhaupt bestellen? Also, nicht wegen den Zutaten. Da wird ja wohl kein böses P..-Fleisch drin sein, oder hoffentlich wenigstens kein britisches. Nein, darf ich noch den bösen A.._Händler nutzen? Darf ich A wie wie Amazon sagen, schreiben, dort überhaupt einen Account haben?
Schließlich haben schon mehr als 7000 Facebooker Amazon die Leviten gelesen. Bravo, Shitstormer. Aber, Hand aufs Pferdeherz, wer von uns Amazonbestellern oder Lovefilmguckern (gehört ja zusammen) hat sich jemals Gedanken gemacht, wie es sein kann, dass das alles so billig ist und so schnell geht? Manche schreiben gar, sie wollten ab sofort nur noch regional kaufen. Löblich. Nur wo? Mangels Kundschaft haben viele, gerade regional-ländlich-kleine Läden – wie übrigens auch der Dorfmetzger an seinem Heimatstandort – längst aufgeben müssen. Sein Geld verdient der schon lange nicht mehr auf dem Land sondern mit mobilen Verkaufsständen in der Großstadt. Also Leberkäs, Kopfhörer, Visitenkarten… wird alles online bestellt und gedruckt. Ist viel billiger. Grämt sich wirklich wer um die Dörfler?

 

Andererseits soll der große Shitstorm vor allem ein Konstrukt der Medien sein. Nach der Facebook-Werbe-Planer-Statistik hätten sich gar nicht so viele Kunden abgemeldet oder beschwert, schreibt jedenfalls Consulter Thomas Hutter in seinem Facebook- und Social Media-Marketing Blog. Wer sicher keine Statements übers Löschen eines Account abgibt, sind die 25 Prozent Kunden, die bei Online-Händlern von Amazon bis Zalando – nicht gerade den Leberkäse aber Klamotten und Schuhe in Transporthülle und Fülle bestellen. Allerdings nur, um diese nach einmal Anzieh’n zurückzuschicken. Hat leider nicht gepasst.

Superschlauis, die keinen Gedanken an die Kette der Beteiligten verschwenden. Sich nicht nur nie ernsthaft fragen, was wohl auf ihrer Lieblings-Pizza drauf ist, sondern auch nie, wie ein Versandhandel so was überlebt. Es gibt an der Bamberger Uni die Forschungsgruppe Retourenmanagement. Die Wissenschaftler haben 300 Online-Händler befragt, die Deutsche Verkehrs Zeitung betitelte den Bericht über das Ergebnis mit „Schrei vor Wut.“ Claudius Semmann schreibt da: „Besonders betroffen fühlen sich demnach Händler der Bereiche Konsumelektronik, Spielwaren und Tierbedarf. 25 von 100 Retouren seien hier als betrügerisch zu bezeichnen. Im Fashion-Segment treffe dies auf jede fünfte Rücksendung zu.“ Der Schaden hänge „vom tatsächlichen Anteil missbräuchlicher Retouren ab. Hier haben die Forscher zwei Szenarien berechnet. ‚Der reale Schaden wird sich mit hoher Wahrscheinlichkeit zwischen 193 Mio. EUR und 1,62 Mrd. EUR pro Jahr bewegen’.“ Es treffe vor allem die kleinren Händler.

Damit das mal klar ist: die machen dicht. Und die großen? Sparen am unteren Ende – wie wir alle. Essen ist pfertig!

 

Dazu sehenswert: Aufgetischt und Abgespeist, die Doku von Lourdes Picareta lief am 18. Februar 2013 auf 3sat.

Schreibe einen Kommentar