Alle Artikel in: Menschen

Knitta back! Bewegung überm Hotel H.

  Ja, es ist selbstgestrickt das Graffiti – und was die Fünferpäckchen, also das Zahlenrätsel darin betrifft, mache ich es wie alle andern. Erst ziehe ich eine Zahl aus dem Nichts, suche passende Daten dazu und interpretiere das Ganze nach Strich und Faden. Kann man auch Zahlenmystik nennen. Stricken ist Mathe, das habe ich hier schon mal erklärt – diesmal hab ich vierzehn Striche macht. 14? Googeln bringt das hier: Die „hebräische Bibel“ soll laut Wiki 14 schöne Frauen kennen, 14 Stationen von Jesus’ Kreuzweg gibt’s und 14 passende „Nothelfer“ werden für die katholischen Kirche erwähnt – die wird man da grade alle brauchen. Die rechtsextremistischen Nummer spare ich aus, aber Bach: Bach hat die Buchstaben seines Namens übers Alphabet numerisiert, addiert und – 14 herausbekommen. Unser 14er-Graffiti ist ein Flugzähler: Eine Stunde überm Hotel H’Inn.

Bring ma den Müll raus! Heldenmarkt in FFM

  Kronkorken, Sand, Glas… Wo jetzt, Stadtbar? Strandleben? Nein: Stand auf dem Heldenmarkt in Frankfurt. Das Zeug – Detailaufnahme – war mal Müll. Das sieht man dem Blickfänger des Stands von Beatrice Anlauff nicht mehr an. Ihr Couchtisch ist: eine große Glasscheibe auf einem mit Sand und Kronkorken gefüllten Fahrradreifen, auf einer Wäschetrommel aus einer alten Toplader-Maschine auf einer graugestrichenen Scheibe auf Rollen. Sie nennt es Verwandlungsdesign. Supergenial. Auch das Mäppchen aus einem Stück Fahrradreifen stammt aus ihrer Werkstatt. Cooles Teil – aber – Recycling? Gebrauchter Fahrradreifen sieht anders aus. Okay, okay. Erstma downcyceln, Langsam rundgucken. Wie wir’s immer machen, nämlich so wie früher Hilde Domin bei Lesungen. Sie las ihre Gedichte immer zweimal. Auf der Bühne beim ersten Rundgang ein Vegankoch, der 15 gerade zubereitete Portionen kostenlos verteilt, bei der zweiten ein Medienteam, das Zuschauer filmte. Interesse und Medieninteresse. Das Gefühl in den Gängen: retro. Die Pressemappe der Veranstalter: sechs zusammengeheftete Seiten – sieht nicht gut aus, aber es gibt ja ne Website mit allen Links. Die Stände bisschen wie Flohmarkt, Besucher und Aussteller …

Abschuss – von Krähen, Gärtnern und Journalisten

  Was? Die erschießen Krähen mit städtischer Erlaubnis? Und das schon seit drei Wochen und auch noch in unserem Revier?! Las ich heute morgen in einer Email. Ich wär vom Rad gefallen, hätte einer vor meinen Augen eine Krähe abgeschossen. Gebe mich hiermit als Vogelgucker und Krähenfan zu erkennen: Ich mag die schwarzen Kerls, die einen immer so genau anschauen und möglichst auf Abstand halten – außerdem habe ich gerade das Buch Krähen. Ein Porträt von Cord Riechelmann gelesen (eigentlich wollte ich heut das Buch vorstellen, mach ich noch – jetzt kommt erst die Krähenstory life). War mir bisher nicht bewusst, dass Krähen das Etikett Unglücksvogel haben. Oder dass manche Menschen glauben, Rabenvögel wie Elstern und Krähen dezimierten bösartig unsere Singvögel und fräßen Lämmer oder kleine Hunde. Schall und Mythen. Riechelmann erzählt das sehr eingängig. Erfüllt vom neuen Krähenwissen entsetzt mich das Geschieße gleich doppelt: Idioten, mitten in meiner Stadt! denke ich daher zuerst, als ich den Onlineartikel zum Krähenmord anklickte. Der Link kam von einem bisher als seriös eingestuften Absender, nur deshalb las ich …

Das Porträt: Der Beseeler

  Ein Derwisch am Schlagzeug: Fliegende Haare, verschwitzt und verschmitzt wirbelt Thomas Heidenreich die Stöcke, bis der Mörtel zwischen den Backsteinen bröselt, bis Raum und Leute rhythmisch wogen. Der Mann ist Energie pur. Mag der Blick noch so blau, das Arbeitshemd noch so brav kariert sein, Thomas kennt keine Rampenscheu. Vielleicht weil er nicht nur Schlagzeuger ist, sondern auch Schauspieler, Animateuer und Lehrer. Sogar aus dieser Foto- wird ruck-zuck eine Jam-Session für Kamera, Rettungsring und Trommel: klack-schlack-klack – Drrrrt, didi-did, drrrrt! Trommeln kann man überall. Thomas ist für jeden Blödsinn zu haben, und dabei allzeit ernsthaft aufnahmebereit. Letztes Jahr hörten wir ihn zum ersten Mal inmitten einer Show, bei der er für die Firedancer den Takt setzte – das Ganze im Rahmen eines Kirchen-PR-Projekts. In einer Pause gestand er uns, „die genialsten Konzerte“ habe er in Kirchen gehalten. Trommeln und Kirche? Das interessierte uns, denn wir waren gerade kurz vor der Eröffnung unserer Ausstellung in der Offenbacher Stadtkirche – und die Wettervorhersage stand auf Regenwald. Dabei hatten wir uns ausgemalt, dass Trommler Terry Keegan zur …

Wechselbilder – Trompe-l`ésprit

  Faszinierender Gedanke, dass der effektivste Zensor im eigenen Hirn sitzt. Alles, was an Reizen und Infos auch nur unseren äußersten Blickwinkel streift, wird permanent gescannt, mit vorhandenem Datenmaterial abgeglichen und auf Plausibilität geprüft. Bei Abweichung: Oha, was Neues oder Alarm! Gefahr. Wir bewegen uns in und mit Bildern. Wir denken von uns und von den anderen in Bildern. Seit je, um schnell handeln zu können. Damit der Oberstübchenalarm aber nur im Bedarfsfall schrillt, gibt’s Vorgefertigtes. Schablonen, Urteile , Schubladen. Hilfreiche Kategorien, mit denen sich die Lage ratz-fatz einschätzen lässt. Energiesparmaßnahme das. Verwirrend wird’s erst, wenn das Bild zum Wechselbild kippt. Das eigene Denken sich der Einstellungen bewusst wird… Einstellung eins – Stop Motion Im Wald herrscht Anarchie. Keine rote Ampel, keine weißen Streifen, Grün halt. Nur die nötigsten Regeln. Befreiend irgendwie, trotzdem muss man die Pfade teilen. Was tun als Radfahrer, wenn der Waldläufer mitten auf dem Weg träumt? Rechts vorbei? Links? Die offizielle Variante: Klingeln, damit der andre Platz macht. Waah! Schreit der Fußler erschreckt, torkelt genau vors Rad, hasserfüllt, knapp dem Infarkt …

Porträt: Die Theologin-Clownin

  Darf ich mal? Ich nehme eine von den Clownsnasen aus Gisela Matthiaes Requisitenkiste – und habe gleich das erste Aha-Erlebnis: so viele unterschiedliche Nasen?! Lang gezogene, kurze, runde, weniger runde… Dann die zweite verblüffende Erkenntnis, alle haben vorne unten zwei kleine Löcher. „Na klar!“, die schlanke Frau im Ringelpulli lacht, „sonst kriegt man ja keine Luft“. Ja, aber drittens stinkt diese Berufsuniform gehörig nach Gummi. Bah! Sie zuckt nur kurz mit den Augenbrauen. Clowninnenalltag, soll das wohl heißen.. Als wir sie für ein Porträt in Gelnhausen besuchen, ist das unsere erste Begegnung mit einer echten Clownin. Einer nachdenklichen dazu, die gerade noch die Erkenntnisse des letzten Wochenendes verarbeitet. Was sie so umgehauen hat? Sie atmet sich größer, schlüpft unmerklich in ihr Alter-Ego und legt los: „Oh! You look too intelectual! Could you please be a bit more of an idiot?“ Mit blitzenden Augen imitiert Gisela Matthiae den 70-jährigen Meisterclown Philippe Gaulier, an einem seiner Workshops hatte sie in Berlin teilgenommen. „Ich bin aber eine Intellektuelle!“ hätte sie am liebsten zurückgegeben. Doch schließlich war sie …

OoH: Identität-to-go

Zur Qualitätssicherung zeichnen wir vereinzelt Gespräche auf; wenn Sie damit einverstanden sind, antworten Sie bitte mit Ja. Nein. Vielen Dank. Die Wartezeit beträgt etwa 10 Minuten. Während ich meine über die letzten Wochen gesammelte To-do-Liste abarbeite, und staune, wie glatt die geschulten oder automatischen Stimmen durch meine Ohrschnecke trudeln, rieselt vor meinem inneren Auge plötzlich ein lila Weihnachtsbaum. OoH, was wollte ich sagen? Bitte halten Sie Ihre Kundennummer bereit! Entschuldigung, ich habe Sie nicht verstanden, bitte wiederholen Sie Ihr Anliegen. Rechnung. Einen Augenblick bitte… Bis letzte Woche stand er im Schaufenster – was gab es da eigentlich früher? Blumen? Ein Baum wie ein Pudel. Klappbar, aus lila Lametta und Plastik. Er hat mich… Hallo! Sie sind mit dem automatischen Anrufsystem verbunden. Wünschen Sie eine Beratung? Drücken Sie bitte die Eins, geht es um Ihre Bestellung? die Drei; für alles Andere drücken Sie bitte die Fünf – for Englisch press two. .. Vielen Dank. Bitte geben Sie nun Ihre Kunden-PIN ein. Piep, piep, piep, piep, piep. Einen Augenblick bitte… …angehalten. Ich sah genauer hin. Weiß. Fontänenartig …

Poetry meets Gier, Maß, Alltag

„Today was national Poetry Day, what is your favourite Poem?“ Nationaler Gedichttag – welches ist euer Lieblingsgedicht? Fragte eine Freundin am 4. Oktober auf fb. Gedichttag? Was? Wann? Natürlich das „national“ übersehen. Sonst hätt ich zur Feier des Tags eines online gestellt… Ja, das hätte ich, obschon mich eigentlich genau diese kleinkarierte Unsitte abstößt, Themen nur dann wichtig zu finden, wenn es einen „Aufhänger“ dafür gibt. Wahrscheinlich haben redundante Redakteure oder joblose Journalisten selbst diese Hakentage erfunden. Wirklich gute Geschichten brauchen das nicht, berühren immer. Aber warum lassen sich heute nur noch so wenige von Gedichten berühren? Auf der deutschen Plattform Lyrikline erklären die Macher unter FAQ, weshalb sie keine Manuskripteinreichungen oder Tipps brauchen: „Es gibt viel mehr Leute, die Gedichte schreiben, als Leute, die Gedichte lesen.“ Ist vielleicht das der poetische Stolperstein? Der große Filmemacher Akiro Kurosawa vermerkte in seiner Autobiographie, um gute Drehbücher zu schreiben müsse man: Lesen, lesen, lesen! Got it? Zafer Şenocak wiederum nennt Gedichteschreiben Auszeit nehmen. Auszeit vom eventgetakteten Trubel des journalistischen Schreibens. Ein Innehalten, zu Atem, zu frischem Denken …

Drei Mal höher – Erfolgsstory mit Büchern

  Eigentlich dürfte es diesen Buchladen gar nicht mehr geben: klein, inhabergeführt, überwiegend anspruchsvolles Sortiment sowie belesene Beratung – und alles hin und wieder von klassischer Musik untermalt. Gegenstromig. So haben sie’s geschafft: „Meichsner & Dennerlein“ ist jetzt 30. Am Montag wurde deshalb lecker umgetrunken, geklönt – und das Geheimnis des Erfolgs von Klaus Meichsner und Hanns Dennerlein gelüftet. Gleich mehr davon. Davor ein paar Takte zum Visuellen: Vor ein paar Wochen nämlich kam die Einladungskarte. Die Buchstaben weiß und dunkellachsrosa of lachsrosa konnte ich kaum lesen, gefreut hab ich mich trotzdem. Schon allein wegen des vertrauten, genialen Scherenschnitt-Logos, das die beiden Buchhändler, einen auf der Schulter des anderen zeigt (M oben nehme ich an, aufgrund des verschmitzen Lächelns). Außerdem natürlich dem versprochenen Umtrunk und drittens schließlich dem Zitat von Enzensberger wegen, das mich nach mühsamem Entziffern im hellsten Licht dann doch prusten ließ: „Was Sie vor Augen sehen, meine Damen und Herren, das sind Buchstaben. Entschuldigen Sie.“ Also, alles lachse Absicht? 30 Jahre also, fast 25 davon kennen wir (was uns nach einem passenden …

Tödliche Störungen

  Sich einlassen. Leben. Nicht neben-, sondern mit-einander. (Dass das die Atmosphäre entscheidend positiv verändern und prägen würde, darin hab ich ja schon hier dem Autor Jesper Juul recht gegeben). Warum tun sich die Leute so schwer damit? Wer drauf achtet, wird staunen (auch beim eigenen Dampfablasssen). Verrückt, wie unterirdisch primitiv Menschen sich im Alltag benehmen, sofern sie sich nur sicher und distanziert genug glauben. Nach dem Motto „Mir doch egal!“ Soll mir bloß nicht quer kommen, der Fuzzi, Dummlack, die Tusse. Mir reicht’s ja so schon. Zuhören, wenn andere reden? Mir scheint, viel zu viele sind so bedürftig nach Aufmerksamkeit, dass sie nur darauf aus sind, selbst zu Wort, zu ihrem Recht, in den Mittelpunkt zu kommen – anstatt zu sich selbst. Kurz: Ich zuerst. Wird man erwischt, redet man sich gern raus: Ich wars nicht. Oder: Nicht so gemeint (die schlimmste Ausrede von allen). Kleiner Ausrutscher, Sorry, Ging mir grad nicht so gut – und so fort. Leute, die regelmäßig mit vielen Menschen zu tun haben – Sachbearbeiterinnen, Verkäufer, Tierarztassistentinnen, Schaffner – registrieren …