„Today was national Poetry Day, what is your favourite Poem?“ Nationaler Gedichttag – welches ist euer Lieblingsgedicht? Fragte eine Freundin am 4. Oktober auf fb. Gedichttag? Was? Wann? Natürlich das „national“ übersehen. Sonst hätt ich zur Feier des Tags eines online gestellt… Ja, das hätte ich, obschon mich eigentlich genau diese kleinkarierte Unsitte abstößt, Themen nur dann wichtig zu finden, wenn es einen „Aufhänger“ dafür gibt. Wahrscheinlich haben redundante Redakteure oder joblose Journalisten selbst diese Hakentage erfunden. Wirklich gute Geschichten brauchen das nicht, berühren immer.
Aber warum lassen sich heute nur noch so wenige von Gedichten berühren? Auf der deutschen Plattform Lyrikline erklären die Macher unter FAQ, weshalb sie keine Manuskripteinreichungen oder Tipps brauchen: „Es gibt viel mehr Leute, die Gedichte schreiben, als Leute, die Gedichte lesen.“ Ist vielleicht das der poetische Stolperstein? Der große Filmemacher Akiro Kurosawa vermerkte in seiner Autobiographie, um gute Drehbücher zu schreiben müsse man: Lesen, lesen, lesen! Got it? Zafer Şenocak wiederum nennt Gedichteschreiben Auszeit nehmen. Auszeit vom eventgetakteten Trubel des journalistischen Schreibens. Ein Innehalten, zu Atem, zu frischem Denken kommen. Oder mit René Char: „Wie leben ohne vor sich ein Unbekanntes?“
However, zu „favourite poem?“ tanzen sofort tausend Zeilen in meinem Kopf. Zeilen die mich zu verschiedenen Zeiten beglückt, beschützt, beflügelt haben: Reinstes Herzblut von Celan, Zwetajewa, Nooteboom, Eluard, Yvan Goll, Brigitte Oleschinski, Ilma Rakusa, Jandl natürlich, und… so viele mehr.
Josef Guggenmoos ist schon lange bei mir: „Zuhauf rannten die Wolken gegen die Stadt“ stürmt es in mir los – „und wurden groß und glichen Riesen und Elefanten wie sie noch niemand gesehen hat. / (und mit hoher Stimme:) Gleich geht es los! riefen im Kaufhaus thronten drei Tanten / und rannten heim so schnell sie konnten…“ (Das Gewitter);
auch Paul Eluard mit „Als Unbekannte liebte ich sie am meisten, / sie, die mich der Sorge enthob ein Mann zu sein. Und ich sehe sie und ich verliere sie..“ (Ich habe es mal aus der weiblichen Perspektive umformuliert, denn man wird ja nicht als Frau geboren…);
Cees Nootebooms „Feuer“: „Aus Blei war der Nachmittag. / Schlafen tat Hase, träumen Wachtel, den Tod des Jägers und Spinne wob die Netze Euklids..“
oder John Bergers wunderbares „Die Züge“: „Fleur jaune, Flamme bleue, / in den Bächen bin ich Wasser…“ wusch mir schon oft die Stirn.
Es ist dieses wunderbare Raunen zwischen diesen Zeilen, diese Freiheit, die Kraft spendet wie Salz und Brot. Vor allem wenn man geschwächt ist und keine Abwehr mehr findet, keine Worte mehr erträgt. Die Literatur ist die Geschichte der Menschen in der Geschichte, schreibt Janne Teller in Lettre 97 und auch, dass sie wie jede Kunst dazu da sei, uns „daran zu erinnern, was es heißt, ein menschliches Wesen zu sein.“ In ihrem ergreifenden Beitrag „Zwischen den Zeilen“ schreibt sie von Erfahrungen als Teilnehmerin einer Friedensmission in Mosambik. Wo sie entsetzt feststellte, wie all das Grauen um sie herum dazu führte, das ihre internationalen Kollegen, korrumpiert von Gier und Maßlosigkeit, bar der ihnen vertrauten sozialen Kontrolle, ihren ethischen Kompass fahren ließen. Sie war innerlich zermürbt, drauf und dran aufzugeben, bis sie zufällig an einen Band Gedichte kam. Der wurde ihr papierenes Überlebenselixier: „Seit ich Mosambik verlassen habe, habe ich nie mehr an der absoluten Notwendigkeit von Literatur gezweifelt!“
PS Ich sammle Vorschläge bis zum 21.3.2013 das nämlich ist der nächste Weltgedichttag!