Fährtenlesen, Tagebuch
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Betten, Borsten, Schneckendeckel!

Rausgehn, sich eingrooven ins Naturgeschehen, immer Neues lernen – das ist Fährtenlesen! Rausgehn, sich umschaun, fast zwangsläufig schaltet man da runter. Und sieht mit Mal überall Spuren und Zeichen, die zeigen, dass Tiere unterwegs waren. Hinweise, die man vorher nicht wahrnahm, geschweige kannte. So wie beim Notizbuch, das Pat im Wald verloren – und wiedergefunden hat. Auf dem roten Umschlagskarton mäandert eine zerfranste Linie, unter der der Karton wie abgewetzt aussieht. Abgeraspelt, um genau zu sein: Schneckenfraß! Im Buch dann deutliche Zeichen des Finders… Ja, Wald ist Kommunikationsort. Für Tiere sowieso. Sie hinterlassen überall sicht-, riech- oder hörbare Zeichen ihrer Anwesenheit. Diese Zeichen zu finden und die Geschichten dahinter zu enträtseln ist wie Krimilesen. Alleine ist das schon verdammt cool, aber zu zweit, dritt, acht… umso mehr.

Was einen da erwartet? Überraschung! sowohl auf menschlicher wie auf spurentechnischer Seite. Immer wieder spannend, wen es alles zusammenwürfelt vom Chemiker übe den ITler bis zur Rechtsanwältin. Die einzige Gemeinsamkeit ist oft die Faszination für Tiere. Im Frühjahr war ich mit so einer bunten Truppe – dem VHS-Kurs Fährtenleser für Einsteiger – im Frankfurter Stadtwald unterwegs. Wir sahen: Hirschbetten, Geisterfährten, Reste eines Hirschkäferweibs, Kleiberschmiede, einen von Schweinebäuchen herrlich platt gewienerten Schubber-Baumstumpf. Natürlich geh ich vorher gucken, welche Wege sich besonders lohnen – ich will ja, dass alle was Spannendes erfahren können. Aber es gibt Tierspuren die übernacht verschwinden. Dafür finden sich vielleicht an der nächsten Wegbiegung drei unerwartet neue. Die erste Erkenntnis ist jedes Mal: Uups, wir kommen ja kaum vorwärts! Drei Stunden für einen Kilometer!?! So muss das. Oder, so wird das: Kaum sind die Sinne geschärft sieht jede und jeder die dollsten Sachen. Und hat dazu die dollsten Fragen. Warum heißt Damwild Damwild?

Damit mein Programm auch ja was wird, hatte ich letzten Herbst (für meinen ersten Kurs) den Wegrand geharkt. Im Wald? Geharkt? Jap. Der Weg war frisch gemacht und die Arbeiter haben den Wegrand hübsch sandig hinterlassen, aber nicht glatt. Für ein gutes Spurenbett, eine Fläche, auf der sich Spuren abdrücken, sollte der Untergrund aber möglichst eben sein. Also, Harke ausgeliehen bei den netten Stadtfarmerinnen und meine potenziellen Sand-Spurenfallen beharkt. Ergebnis? Damwild-, Hund- und Waschbär-Trittsiegel. Ha!

Nächste Herausforderung nicht nur für Neulinge: Die Geschichten hinter den Spuren entziffern. Highlight bei einem Kurs war der Fund von Matthias, der als Computerfachmann sonst eher Bugs als Tierspuren sucht. Plötzlich steht er vor mir, sagt „Guck mal“, und reckt mir eine Handvoll Knochen entgegen. Jesses, mir fielen fast die Augen aus dem Kopf: Ein Uhu-Speiballen! In unserem Stadtwald. Mega! Speiwas? Speiballen oder Gewölle sind das, was ein Vogel in schnabelgerechten Portionen wieder auswürgt, weil ers nicht verdauen kann. Dazu gehören in der Regel die Knochen oder Chitinpanzer seiner Beutetiere. Auf Matthias Hand lagen Knochen samt Schädel einer jungen Taube. Einen frischen Rupfplatz mit vielen verstreuten Federn fanden wir auch. Spannend wie Tatort. Also, abgesteckt und genau hingeschaut: Wer hat hier gefressen und welchen Vogel hats erwischt? Wieder eine junge Taube – gefressen hatten ein Sperber und vermutlich ein Fuchs.

Dieses Frühjahr war ich mit einem Dutzend Frauen in einem anderen Wald zum Tracking-Wandern. Hasen- und Rehköttel waren unsere ersten Entdeckungen, dazu noch frische, freigescharrte Reh-Schlafplätze. Später fanden wir sogar Borstenhaare vom Wildschwein sowie Markierungen (Kackwürstchen) von Fuchs und Marder. Wir bewegten uns nicht schnell vorwärts und bekamen trotzdem Muskelkater. Was man sonst mitnimmt? Staunen und Lust auf mehr.

Ahamomente winken vor allem bei selbst gelösten Rätseln. Manches kriegt man erstmal nicht raus, da liegt es dann im Hinterkopf. Und liegt und liegt, bis irgendwann mal das fehlende Puzzleteil dazu kommt. Oder mans vergisst, weil es einfach nicht zu lösen war. Das Bild, das Fährtenleser dabei abgeben ist mir mittlerweile urvertraut: Stecken paar Leute die Köpfe zusammen und schauen gebannt in eine Matschepfütze, ins Geäst oder auf die Hand von einem aus der Runde. Love it. Auch weil es so schön zeigt – egal wie alt wir sind: Menschen lernen von Menschen. Freu mich schon auf die Fortsetzung (mehr im vhs-Programm hier, hier oder hier…).

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