Gesellschaft, Tagebuch
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Weiß wie Schnee, rot wie Blut

Es reißt
Zerreißt mich
was getan werden müsste? Könnte. Muss.
Dieser San-Andreas-Graben der Gesellschaften, in den man schaut.
Er will die ganze Ukraine. Himmel und Weizen.

Aus Günther Grass’ Briefwechsel mit Kenzaburo Oe aus der FR, Mai 1995 (Stichwort 50 Jahre nach Kriegsende):
„Sobald ich von meinem Briefpapier aufblicke, sehe ich vom Fenster aus, wie der Monat Mai alle ihm möglichen Nuancen in Grün ausspielt, als wollte er mich an einen Frühling erinnern, dessen Heiterkeit keine Niederlage, keinen Befreiungsschmerz, weder Flüchtlingselend noch Trümmerberge eintrüben könnten…“

„Nur wenige Wochen lang wirkte der Durchhalteappell, dann folgte den deutschen und japanischen Kriegsverbrechen ein amerikanisches: Zwei Atombomben fielen und veränderten die Welt. Seitdem ist unser Denken und Handeln nuklear verseucht. Seitdem ist die Menschheit fähig, sich selbst zu vernichten.“

Aus Oxana Matychuks Ukraine Tagebuch aus der SZ, 23.3.22 (Stichwort Kapitulation):
“Ich würde lieber auch daran glauben wollen, dass ein Sich-Ergeben dem Grauen ein Ende setzen würde.

Dieser Krieg reicht in Wirklichkeit nicht in die 1990er-Jahre, sondern ins Jahr 1654 und noch weiter zurück. Stellen sich diejenigen, die uns gut gemeinte Ratschläge erteilen, auch ernsthaft die Frage, was ein Danach bedeuten würde? Wenn man also nicht tot ist, aber endlich aufgehört hat, Widerstand zu leisten? Und die Europäer hinter der Westgrenze der Ukraine erleichtert aufatmen? …

Leider weiß ich als Ukrainerin, die in der UdSSR geboren und sozialisiert wurde, die von der Grausamkeit des repressiven Systems nicht nur aus Büchern erfahren konnte, die sich später viel mit der Geschichte und Literaturgeschichte auseinandersetzte, dass die ganze Beschwörung des Friedens durch Verhandlungen oder “Sich-Ergeben” einen Effekt haben kann wie etwa schamanische Rituale bei der Krebsbekämpfung (letztere könnten eventuell sogar mehr bewirken). Deswegen muss ich leider in aller Kürze feststellen: Wir sind nicht bereit, uns zu ergeben.”

Ja, ich gehöre auch zu jenen, die sagen, lieber aufgeben, als noch mehr Leid. Nein ich gehöre nicht zu jenen mit Wurzeln im Geschehen.
Draußen Frühling,
Drinnen Schockwellen. Sind Dystopien in uns angelegt?
Ja. Alles, das uns flexibel macht, auf Brüche zu reagieren.
Sobald es unübersichtlich wird, suchen wir den Vorteil für
die Unserigen. So ein Leid.
Es ist hart, im Frühling zu sterben, heißt es in einem Chanson
Die Weichen. So lange schon? Unausweichlich?

 
 
 

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