Jahr: 2013

33 Shades of Green – Auftanken im Stadtgarten

  Vom Glück des Kindischseindürfens im Garten schreibt Eva Demski. Kindisch? Aber ja! Oder was sonst soll das sein, wenn ich etwa kiekse „Komma gucken!“, nur weil sich, parbleu, mitten aus den Lanzenschwertern meiner Iris, urplötzlichst, weil bis eben unerkannt, eine flach gefaltete Blüte schiebt. So geschehen im Mai. Ja, da werde ich ein bisschen schwachsinnig vor Freude. Schließlich hatte sie drei Jahre nicht geblüht. Dazu blieb mir sogar noch eine Spannungsfrage: Gelb oder blau? Denn: eine meiner beiden Iris-Töpfe wurde mir während deren Herbstruhezeit aus dem Treppenhaus geklaut. Doch zum Glück hilft so ein Garten, versichert Demski, gegen Ärger und Grübeleien gleichermaßen. Sogar die Erderwärmung lässt sich vergessen, schließlich geht es hier um Verantwortungsübernahme: „Gießen. Mich. Jetzt.“ Eine Aktivität, bei der sich sogar krass verzwirbelte Synapsen entspannen – auf dass später und tatsächlich auch globales Denken wieder flutscht. Versteh gar nicht, weshalb ich Demskis Gartengeschichten erst jetzt für mich entdecke. Wohl, weil Gartenbücher mich eigentlich wenig locken. Jedenfalls die Sorte, die sich mit perfekt gestylten Bildern zum Wennmirsonstnichtseinfällt-Geschenk anbiedert. Hochglänzende Langeweile. Bisher gab es …

Beerensommer: Glas um Kuss

  „Magst Du Kirschgrütze mit Joghurt?“ Wir hatten Gäste – und ich hatte für alle unser Lieblingsfrühstück vorbereitet. „Kirschgrütze? Nein danke”, antwortete sie höflich, guckte aber doch ein wenig entsetzt. Warum wir anderen ihr nicht erklärt haben, dass Grütze kein ekelhaftes Schlabberzeug ist, sondern feinstes Obstkompott? Keine Ahnung. Warum es kaum jemand selber macht? Auch keine Ahnung, denn: es gibt kaum was Einfacheres, das am Ende so verdammt lecker ist. Dann also hier und jetzt: Rote Grütze ist Beerenobst, das mit wenig Stärke gekocht wird, früher nahm man dazu in Norddeutschland (da kommt das geile Zeug her) grob gemahlenes Getreide wie Hafer, Gerste, Buchweizen… Auf althochdeutsch: gruzzi. Heute nimmt man praktischerweise Sago oder Stärkemehl. Dabei soll aber kein Glibberkram rauskommen! Nur ein etwas dickflüssigeres Kompott. Aus dem Siebeck-Kochbuch „Nicht nur Kraut und Rüben“ habe ich die Idee, es überhaupt selbst zu versuchen. Wie es dem alten Wahlfranzosen wohl geht? Ewig nichts mehr von ihm gelesen. Er schrieb damals typisch gebieterisch: nur Rhabarber und Erdbeeren oder Johannisbeeren und Pfirsiche dürfe man dafür verwenden, bei allen andern …

Gelesen: Ein Krähenbuch

Mangel an Spiritualität? Protestantische Verbissenheit? Dass Westler Krähen böse und unausstehlich finden, könnte an deren unentspannter, ewig nach Schuldigen suchender Geisteshaltung liegen, vermutet Cord Riechelmann in seinem neuen Buch Krähen – ein Portrait. Nur bei uns Europäern und unseren Nachfahren in den USA nämlich sind Krähen und Raben (der Autor erklärt, dass es da keinen Unterschied gibt) als Unglücksbringer oder „Raubzeug“ verschrien – und werden dafür bis auf den Tod verfolgt. Vielleicht ist es auch die Farbe schwarz, das seltsame Hüpfen oder ihre unkontrollierbare und unglaubliche Gewitztheit… Ein geradezu ehrfürchtiges Verhältnis zu Krähen oder Raben haben dagegen asiatisch-indigene Völker. Das Buch öffnet ein märchenhaftes Fenster zu fremden unbekannten Krähenmythen. So glauben etwa die Inuit, dass Raben das Licht erschaffen haben, indem sie Silberstückchen an den Himmel warfen. Klar, wer derart wichtig für das Leben ist, den verfolgt und tötet man nicht. Ein Sündenbock dagegen, der Pest und Tod übers Land bringt, hat rund um die Uhr zu büßen. Man kann dieses mit zahlreichen Anekdoten und Fakten sowie weiter führenden Lesehinweisen gewürzte Vogelportrait wohl als Akt …

Abschuss – von Krähen, Gärtnern und Journalisten

  Was? Die erschießen Krähen mit städtischer Erlaubnis? Und das schon seit drei Wochen und auch noch in unserem Revier?! Las ich heute morgen in einer Email. Ich wär vom Rad gefallen, hätte einer vor meinen Augen eine Krähe abgeschossen. Gebe mich hiermit als Vogelgucker und Krähenfan zu erkennen: Ich mag die schwarzen Kerls, die einen immer so genau anschauen und möglichst auf Abstand halten – außerdem habe ich gerade das Buch Krähen. Ein Porträt von Cord Riechelmann gelesen (eigentlich wollte ich heut das Buch vorstellen, mach ich noch – jetzt kommt erst die Krähenstory life). War mir bisher nicht bewusst, dass Krähen das Etikett Unglücksvogel haben. Oder dass manche Menschen glauben, Rabenvögel wie Elstern und Krähen dezimierten bösartig unsere Singvögel und fräßen Lämmer oder kleine Hunde. Schall und Mythen. Riechelmann erzählt das sehr eingängig. Erfüllt vom neuen Krähenwissen entsetzt mich das Geschieße gleich doppelt: Idioten, mitten in meiner Stadt! denke ich daher zuerst, als ich den Onlineartikel zum Krähenmord anklickte. Der Link kam von einem bisher als seriös eingestuften Absender, nur deshalb las ich …

Papierliebe – neu sortiert

  Makaber: während die Rundschau ums Überleben kämpfte, säuselten smarte Stimmen im Radio den SZ-Slogan: „Seien Sie anspruchsvoll“. Die in diesen Werbe-Audioclips fingierten Spatzerl-Dispute verliefen etwa so: Oper, Wirtschaft, Politik – du kennst dich ja plötzlich in allem gut aus, „Sag ehrlich, hast du ne Andre?“ Der Zungenschlag für hessische Ohren zwar weit neben der Spur, aber die Lockung war da. Schließlich ging’s ja nicht um den Bayernsound, sondern ums Testabo für umme… Okee. Irgendwann war’s gebongt. Dazu das 10-Wochen-10 Euro Lockabo der neuen Wochenendtaz, ein weiteres Freiabo der Verkehrszeitung, ne Prise Zeit – und last not least das neue Stadtaspekte… Schurusch-schurusch! Wir lasen morgens, mittags, abends, wir badeten in Druckerschwärze, stapelten Zeitungen – und, Hand aufs Papierherz, kamen kaum hinterher. Irgendwann, nachdem die offenbar kurzfristig eingefrorene FR-Buchhaltung anwaltsmäßig transferiert war, trudelten die Abo-Rechnungen der vergangenen Monate ein. Derweil aber war mein Fass voll. Ich habe die Frankfurter Lokalprosa ja schon lange gehasst, diese blödsinnigen Bildunterschriften, die launigen Kellernews, und – ganz schlimm – die Reportagen aus dem Zoo. Wenn in den letzten Monaten Leselust …

Hahn hacks – Luftgraffiti #3

  Wie aus dem Nichts. Als sei ein heimatloser Flugplatz im Sperrgebiet gelandet. Sanfte Wiesenrundungen, Pferde, Felder und im Hintergrund die Hügelkette des Hunsrück – besetzt mit derart vielen Windrädern, dass man kapiert, was Leute mit Verspargelung meinen. Und dann plötzlich diese Armybauten. Kasernen in Ocker mit ochsenblutfarbenen Halskrausen, jeweils geschmückt mit einem stilisierten Kampfjet-Emblem. Zugewucherte Vorplätze, eingeschlagene Fensterscheiben – das Gelände rund um den Flughafen Hahn ist ein Dorado für Jungs, die ihre Testosteronschübe ausleben oder einfach mal unbeobachtet sein wollen. Ebenso wie für Papas, die mit ihren Söhnen statt auf der Kartbahn im Nirgendwo landen und staunend herumcruisen – und natürlich für uns, die wir bizarre Orte lieben.   Zutritt verboten? Als wir vor einem halben Jahr auf Locationsuche waren, hing das Schild da nicht, ganz sicher. Wir treiben an einer Fichte vorbei, der der letzte Sturm ihr oberes Drittel abgerissen hat, streifen Riesenfliegenpilze – und öffnen schließlich ein Portal, betreten einen, ja, sakralen Raum. Wie Archäologen stoßen wir auf stumme Zeugen einer zerfallenden Welt, fremd und vertraut zugleich. „Danger Mines!“ ächzt eine …

Das Porträt: Der Beseeler

  Ein Derwisch am Schlagzeug: Fliegende Haare, verschwitzt und verschmitzt wirbelt Thomas Heidenreich die Stöcke, bis der Mörtel zwischen den Backsteinen bröselt, bis Raum und Leute rhythmisch wogen. Der Mann ist Energie pur. Mag der Blick noch so blau, das Arbeitshemd noch so brav kariert sein, Thomas kennt keine Rampenscheu. Vielleicht weil er nicht nur Schlagzeuger ist, sondern auch Schauspieler, Animateuer und Lehrer. Sogar aus dieser Foto- wird ruck-zuck eine Jam-Session für Kamera, Rettungsring und Trommel: klack-schlack-klack – Drrrrt, didi-did, drrrrt! Trommeln kann man überall. Thomas ist für jeden Blödsinn zu haben, und dabei allzeit ernsthaft aufnahmebereit. Letztes Jahr hörten wir ihn zum ersten Mal inmitten einer Show, bei der er für die Firedancer den Takt setzte – das Ganze im Rahmen eines Kirchen-PR-Projekts. In einer Pause gestand er uns, „die genialsten Konzerte“ habe er in Kirchen gehalten. Trommeln und Kirche? Das interessierte uns, denn wir waren gerade kurz vor der Eröffnung unserer Ausstellung in der Offenbacher Stadtkirche – und die Wettervorhersage stand auf Regenwald. Dabei hatten wir uns ausgemalt, dass Trommler Terry Keegan zur …