11er Katzensprung
Fotos by Pat Meise, Time-out by Nature. Der größte Parkplatz in Town war mal Bannwald. Ich bin eine Pariser Vorstadt eine Algenfahne ein eingerolltes Blatt ein blaues Tuch ein leeres Buch ein verbeultes Auto ein heißer Kanaldeckel in Ploumanac’h aber nie, nie ein Flugzeug über dem Wald
Komme gerade vom Markt. Beim Wurststand erzählt ein alter Mann der Verkäuferin, was im Frankfurter Stadtteil Eschersheim abgeht: Drei Jungs haben da Klopapier für 2 Euro die Rolle verkauft. Die Polizei hat sie festgenommen.
Gesperrt, ausverkauft, abgesagt. Das Beste daran: Es ist still. Flugplan aus der Zeit, als ich Kind war und das Rauschen am Himmel beruhigend. Ich erinnere es als tiefes, fast angenehmes Sommerbrummen. Zuletzt gab es dieses Gefühl, als dieser unaussprechliche Isländer Asche spuckte. Wir lagen am Flussstrand – und sahen einen surrealen Film: keine Kondensstreifen am Himmel. Auch kein minütlich nervenzerrendes Dröhnen, zu dem sich das Brummen heute ausgewachsen hat. Nicht mal Schiffe und deren Bugwellen. Ungewohnte Abwesenheit gewohnten, menschlichen Lärms. Wie in meinem Kopf. Zwar gibt es natürlich das Nachrichtenrauschen: Infektions- und Todesraten statt Bundesligatabelle. Ausgangsbeschränkung, Grenzschließung, Besuchsverbot… Doch aus der Mitte dieses Tinnitus-Shitstorms starrt gespenstisches Nichts. Und zieht Bürgerrechte aus uns und Kraft. Ich muss trotzdem raus. Was mich sofort auf Corona-Modus dreht. Distanz halten – und wer einem auf die Pelle rückt, unerträglich finden. „Bitte halten Sie Abstand, mein Herr“, ermahnt einer der neu eingestellten Abstandshalter im Supermarkt. Danke. Das war gestern. Der erste Laden, in dem ich – ja – nach Klopapier suchte. Wir haben nämlich nicht den Keller voller Rollen. …
Sonne, Licht, Wärme! Hach, wie schön wär das denn!?! Vielleicht nicht grad 30, 40 Grad…. My Goodness! Was haben wir im Sommer im Thüringer Wald geschnauft und geschwitzt. Trotzdem macht jetzt die Erinnerung mein Hirn leuchten: Frankfurt-Elsterberg. Wir natürlich mit dem Rad. Eine Abenteuerreise. Zum Geburtsort meines Vaters. Wir waren noch nie da – eine Freundin meiner Mutter lebt dort. Sie ist unser Ziel. Dafür reisen wir durch Nord-Osthessen, durchqueren Thüringen und kommen schließlich nach Greiz und Elsterberg in Sachsen. Als wir endlich bei ihr klingeln, haben wir insgesamt 530 Kilometer abgerollt und 5400 Höhenmeter bezwungen. Fazit: Abenteuerlicher als die Äußeren Hebriden in Schottland. Sehr Ost, sehr fremd, sehr erlebnisreich. Von schrecklich bis schön war alles dabei. Stopp, Moment – bevor ich erzähle, ein Nachruf: Landkarten Schwarz hat fertig. Aus diesem Laden stammen viele unserer Karten. Ende 2019 mussten die Buchhändler schließen – und sind damit leider ein Beispiel fürs Spezialistensterben, wie es im Klimawandel ja viele Arten trifft. Sehr schade das. Die ehemaligen Geschäftsführer Peter Magin und Michael Brendel haben einen letzten Gruß …
Weiß die Gischtleine, weiß der wellige Saum der Wolken. Schwarz ballen sie sich überm Nachtstrand, schwarz wie unsere Schatten. Im vollen Mondlicht, Abend um Abend laufen wir. Bis zum neuen Jahr. Schäumende See, lärmende Fahnen, quietschender Sand. Same procedure as… niemals. Weit draußen glimmern Bohrinseln, Schiffe, Windräder… Keine Dunkelheit nirgends. Drüber die Flieger. Tun, als sei’n sie die Sterne. Blinzeln im Sturmwind, der lostobt jetzt. An den Ohren reißt, alle Nachtgänger findet und vor sich herschiebt. Und Juhuiihihi wo seid ihr Geister? Riefs im Rohbauskelett unten am Boulevard. Heulte es schaurig durch künftige Appartements. Schon da hässlich, aber jetzt erst. In Reih und Hasenstall – aber der Meerblick! Kranfahne knattert nicht mehr. Häschen und sein Boot haben ein Make-over. Aber Wir. Sind da. Wandern mit wirbelndem Haar. Streifen ab Verlorenheit. Hüllen uns in Wind und Sand, in Wolken und Schaum. Keine Muscheln sammelnd, nur immer das pulsenden Strahlen im Blick. Sonne am Tag, Leuchtfeuer bei Nacht. Und vorm Fenster: Eisblaue Dohlenaugen. Ich warte aufs schwarze Geflatter am Backstein, aufs Schnabulieren am Spatzenfutter. Auf ihre …
Städte eroberte ich am liebsten barfuß es gab noch Regenwald damals ich trug Kamelhaar und Baum-ab-nein-Danke Buttons, rasend vor Eifersucht auf die kleine Schwarze in deiner Hand Das Leben außer sich schien leicht, Transzendenz kein Ding Sie leuchtete allabendlich nach den sinologischen Etüden vor dem Daunenschein eines gigantischen Federbetts Im Rahmen nichtender Blicke aus dem Philosophicum Komm, hieß es damals, Komm, gurgle mit Wasser dir, betrachte meine Vorlieben als deine verwischtes Mantelrückendu Nicht vor dir nicht nach dir Brücken nahm ich nur halb, starrte in den Wassermund aufs rituelle Messer ein einziger Schnitt wie der Schächter durchtrennt Speiseröhre, Luftkanal, Aderschlag. Jetzt! Muss ich gedacht haben, Jetzt! Kenn sie nicht mehr, jene, die sprang Was hatte ich mir vorgestellt? Rasend die Angst, als öffneten sich die Adern von selbst Als sänke ich ins viel und nichts. Gehäutet zurück. In Myrrheschwaden gehüllt Oh Paris! Und Afrikas Trommler auf dem Markt von Colobane. Erzähl, Geist der weißen Ziege, tröste die Männer mit trocknem Schlag, die Frauen mit Liedern wie Samenkapseln rot und braun Ich kaufte Glasperlen Duftete …
Weiß wirklich nicht, weshalb sich alle so über den Nobelpreis für Dylan und Dylan als Nobelpreisträger aufregen. Finde, er hat einen hervorragenden Kompromiss geschlossen und sogar ohne ein Wort deutlich gemacht, dass es auch nobeleske Frauen gibt. Sich zu verweigern ohne sich komplett abzuwenden, Diskussionen anzustoßen ohne das Wort zu führen, poetisch konsequent bis ins Mark zu reagieren – Hey, was wäre literarischer? Und was zeitangemessener? Denn zeitgemäß ist die ganze Nummer ja Brechtseidank nicht. Eher Hard-Rain-Stuff. Zeitgemäß ist, seinem Partner eine Rastaus-Zeit zu schenken, ein Hotelzimmer zu mieten, indem er/sie alles kurz und klein schlagen kann. Die Superidee stammt, woher wohl, aus USA. Genauer aus Texas, wo in Anger-Rooms seit etwa acht Jahren Sperrmüll mit Lust zu Kleinholz pulverisiert wird – seit kurzem kann man sich auch dabei filmen lassen. Interessantes Material, nehme ich an. Wäre sicher gut für eine Runde Selbsterkenntnis. Aber darum geht‘s nun eher nicht. Das Rumms und Poff soll entlastend und stressmindernd wirken. Nach der Wahl von Trump sollen die Buchungen in den USA in die Höhe geschnellt sein, schreibt …
Weg damit? Ich halte inne, stoppe den fast schon automatisierten Entrümplungsablauf – Tasche-aufhalten-Papier-reinstopfen – und halte eine Seite aus der „Zeit“ in der Hand. Ich beginne zu lesen. Mitten in meinem Recherche- und Medienmüll lese ich vom Traum des Kenzaburo Oe. Mit seinen Büchern bin ich nie warm geworden, aber dieser Einblick in die Beziehung zu seinem behinderten Sohn Hikari geht mir unter die Haut. Wie auch das Bild, das Mathias Bothor dazu gelungen ist. Ich entfalte das Zeit-Blatt, schaue aufs Datum und stutze: mein Archivfund ist genau zehn Jahre alt! 11. Mai 2006. Das Aufmacherzitat hatte mich angezogen: „Ich lernte mit dem Schweigen meines Sohnes zu leben. Jetzt sendet er mit seiner Musik Botschaften an seinen Vater und die Welt. Ein Glück, von dem ich nie gewagt hätte zu träumen.“ Ich lese mich fest. Der Sohn wurde als Baby operiert, die Diagnose der Ärzte: wegen fehlender Verbindungen zwischen den Gehirnhälftener werde der Junge nie Worte in Zusammenhang bringen können. Oe ist heute 81, sein Sohn 52 – wie es den beiden heute geht? …
Dezemberrauschen, zusammengeschnitten: 1.12. Geschenkt. Je voller der Geldbeutel, desto weniger müssen die Leute ausgeben. Sogar Weihnachtsbäume bekommt so ein Banker umsonst. Schon klar, weil er ein guter Kunde ist. Trotzdem. 6.12. Auf einer Strecke von etwa fünf Metern hängt fünf Mal der Aufruf (siehe Bild oben), sich zu melden, wenn man „wahrscheinlich männliche Personen im Wald oder auf dem Weg aus dem Wald raus“ „mit ausländischen Kennzeichen“ (ohne Baum dafür mit blauer Reisetasche) gesehen hätte. 8.12. Ein oder zwei Hirten unserer Waldkrippe sind umgefallen worden. Ein laminierter Zettel mahnt die Waldgänger nun, dergleichen zu unterlassen. 12.12. An der Kasse bei Obi: Ein junges Pärchen versucht einen Weihnachtsbaum günstiger zu bekommen, steht da nicht – müsste es nicht… Ein altes Pärchen beim Rausgehn: 29 Euro! Viel zu teuer für einen Baum, 19 wäre noch zu viel. Wie viele Winter, wie viele Sommer, wie viel ist er wert, so ein Baum? 21.12. Jetzt alle Topfbäume auf 50 % runtergesetzt, je Größe 3,99 oder 4,99. Kamen sicher alle aus China. 25.12. Der erste Weihnachtsbaum schon wieder draußen, unausgepackt …