Alle Artikel in: Menschen

Festhalten und Bewahren

  Erster Advent – nichts. Nikolaus – nichts. Oh, wie schade! Obs an Corona liegt? Am Alter? Warum auch immer, wir vermissten DeCaros Waldkrippe. Die uns so lange und jedes Jahr treulich einen bodenständigen Weihnachtspunkt setzte. Immer um den ersten Advent herum schienen Zunderschwämme, Holz- und Wurzelstücke an der kleinen Hütte am Waldsee zusammenzurücken. Slow Motion irgendwie, von Geisterhand bewegt. Und dann, auf einmal kamen peu á peu Tiere, Schäfer, Engel. Josef und Maria – und am 24. endlich das Baby hinzu. Baby Jesus. Am 6. Januar noch die Könige. Und die Besucher. Die vielen Besucher, die mit einem Lächeln gingen. Ja, klar, nicht alle. Gab auch Vandalismus, Josef und Maria umgeworfen, Baby Jesus geklaut. Aber für die meisten war es ein Ziel, eine Freude, eine Weihnachtswundergeschichte. Seit wann? Weiß nicht. Auf jeden Fall länger als unser Blog (10 Jahre), vielleicht schon 20 Jahre? Vor 10 Jahren hatten wir sie schonmal vermisst, doch Weihnachten kam, und Schnee und die Krippe, und alles war gut. Der Krippenbauer enthüllte sogar seinen Namen. Wie auch immer dieses Jahr …

Post aus Hohenlohe

Ich miste gerade Stapel von Briefen, Postkarten, altem Zeug aus, weil wir schweren Herzens unseren „Landsitz“ geräumt haben, und ich seit Tagen Tetris der Sorte „Mach einen aus zwei Haushalten“ spiele. Schon mal jemand eine Studie dazu gemacht, was so’ne Ausmisterei mit der Psyche anstellt? Fühlt sich an wie Achterbahn im Staub. Bah. Und wie ich so ächze und räume, ruft mein Handy neue Nachrichten aus. Ahh. Danke, gerne ne Pause jetzt. Was gibts? „Hohenlohe-Grüßle“, die mir Tränen in die Augen treiben. Hach, unser Rabo:   Danke dir Sarah!      

Im Familientakt – Tante Maria

  Familienchronik, die Zweite. Nachdem wir unser Familienprojekt im Frühjahr 2004 mit dem Ältesten aus Sylvias engerer Familie, ihrem Opa, begonnen hatten, setzten wir es im darauffolgenden Herbst mit der Ältesten aus Pats Familie fort: Tante Maria. Als wir die damals 97-Jährige besuchten, lebte sie noch in ihrer eigenen Wohnung in Essen. Wir haben sie wie schon Sylvias Opa nach Kindheitserlebnissen und besonderen Erinnerungen gefragt. Zum Glück gibt es Fotoalben! Die lagen als Gedächtnisstütze auf dem Wohnzimmertisch. Außerdem war Pats Mutter dabei, die auch noch die eine oder andere Erinnerung beisteuerte. Als wir Kinder waren Kaffee war fertig – und alle sehr gespannt. Also die Einstiegsfrage: Wie war für dich das Leben als Kind? Sie antwortete mit blitzenden Augen: „Unser Spielplatz war das Treppenhaus. Das Haus war dreistöckig – in der untersten Etage lag die Werkstatt meines Vaters. Die Mitte unseres Hauses, das Treppenhaus war der Treffpunkt von uns Kindern. Zwar gab es keine Fenster aber oben war Glas darüber, so dass es doch schön hell war. Die Großen haben die Kleinen im Wäschekorb die …

Halte die Wunde offen

Sieben Jahre. Solange liegt Hadayatullah Hübsch jetzt auf dem Südfriedhof begraben. Er starb am 4. Januar 2011. Vier Tage später, an seinem 65. Geburtstag wurde er beerdigt. Es war kalt, die Sonne schien. Krähen saßen in den Friedhofsfichten. Eine seltsame Stimmung griff nach uns; zwischen Nähe und Fremde, muslimisch-ungewohntem Ritual und linksalternativem Ernst. Die letzte Ehre erweisen. Ihn verabschieden, das wollten wir. In die Trauerhalle zu gehen wäre uns der Familie gegenüber übergriffig vorgekommen. Wir warteten draußen. Als der Sarg herausgetragen wurde, war er inmitten einer Menschentraube geborgen, verborgen. Junge Männer standen Spalier für die Sargträger. Es wurde gefilmt (den Bestattungsfilm kann man noch immer auf Youtube sehen). Viele trugen ihn. Den Mann, der nun in einem weißen Tuch gehüllt, im schwarzen Sarg lag. Grenzgänger über seinen Tod hinaus, einte er Muslime und säkuläre Linke beim Tragen von Weidenzweigen. Für die einen: Der Imam einer muslimischen Gemeinschaft. Der Familienvater. Für die andren: Der Slammer, Raser, Rocker des Lespults. Der Poet. Das ist der Mann auch in meiner Erinnerung. Einer, der schreiend Zuhörer packt. In schummriger …

„Wo wart ihr im Krieg?“ – Ein Nachruf, ein Porträt: mein Opa

Wie er am Grab seines Vaters stand – daran konnte sich mein Großvater noch gut erinnern. Er war fünf, sein Vater ist nur 33 Jahre alt geworden. Tuberkulose. Wir hörten diesen Teil meiner Familiengeschichte zum ersten Mal, als wir meinen Großvater für unser Familienchronik-Projekt besuchten. Im Gegensatz zu anderen Geschehnissen sei ihm diese Erinnerung noch sehr präsent, sagte er uns vor 14 Jahren. Damals hatten wir noch nicht an so vielen Gräbern gestanden wie heute. Seine damalige Frau Angelika ist tot, mein Vater, Pats Großtante Maria, seine Tante, seine Mutter… Vaterloses Kind. Wie mag das wohl für einen kleinen Jungen wie ihn 1920 gewesen sein? Danach fragten wir erstmal nicht, wir ließen ihn erzählen. Ich erinnere ihn wie auf dem Foto, das Pat gemacht hat: die Augen klein geworden, 88 Jahre Licht blinzelnd, der hoch erhobenen Kopf – und sein zurückhaltendes Lächeln. Er war ein großer Mann. Ich hatte ihn gemocht. Als ich erfuhr, wie brutal er als junger Vater meine Mutter geschlagen und gedemütigt hatte, war ich entsetzt. Es war nicht zur Deckung zu …

Gelesen: Restlaufzeit und Sterblich sein

Kein Zufall, dass „Sterblichsein“ von Atul Gawande und „Restlaufzeit“ von Hajo Schumacher gerade jetzt bei mir aufeinandertreffen – beide sind ein Plädoyer für Selbstbestimmtheit und würdevolles Leben im Alter. Themen, die uns durch eigene Erfahrungen gerade sehr stark berühren. Das Buch Sterblich sein habe ich vor zwei Jahren im Vorfeld der Buchmesse aus der Vorankündigung des Fischer-Verlags gepickt und mir als Rezensionsexemplar schicken lassen. Restlaufzeit wurde mir etwa zur selben Zeit von einer Redakteurin empfohlen. Gekauft habe ich es vor einigen Wochen. Kommt mir vor, als wäre das Jahre her. Pats Mutter lag im Sterben. Wir haben sie erst vor kurzem beerdigt. Die zweite aus unserer nahen Verwandtschaft in diesem Jahr. Und wir begleiten eine dritte, die so schwer krank ist, dass wir im Februar glaubten, sie würde den Sommer nicht erleben. Solche Erfahrungen verändern Perspektiven und werfen Fragen auf: Wie viel muss man machen und was muss man lassen, wann loslassen? Wo sind die Grenzpunkte der pflegerischen Für- und der medizinischen Versorge? An diesen Punkten wird es ja erst anspannend und aufreibend. Wir brauchen …

Dementia Road

  Sprünge in der der Haut: Wo bin ich? Zuhause, Mutter. Hier? Nein! Warum habt ihr mich weggeschickt? Schwamm im Ohr, fernmündlich ausgesogen Wann kommt ihr? Jetzt. fahrn, fahrn, fahrn – hin-wo die Alten sind unterwegs so viele Niemands Warnplakate und Baken 100, 120 und Stau Wann? Warten Warten. Blakes Rapid Ukraine.. ich lege, setze, ordne ich sammle: Solidaris, Wir fahren Ihr Gut, Blumen – von Tyfoon? und Ultras heimische Früchte   Schön dass ihr da seid! Der Kühlschrank? Weiß nicht Kaffee geht noch, bis Kuchen und früher – aber dann der Zweistundensprung. Da ist ein Schwamm vor meinem Gesicht. Wo ist mein Schlüssel? Ich kann nicht mehr! Angst frisst Herz Mein Schlüssel! Geklaut? mein Geld! Mein Wo-Ich im Schwamm Wir finden nichts back on the road: The good will out Gefangen in der Transzone fahrn wir, fahrn, fahrn neben uns Sportpferde die Buswand träumt Bügellaternen, wie schön Wahrschauwem Nomen est Omen und Zeichen: POKAL + Puton, OKTAN und Serum BOSCH! (mein Favorit) Im Diez-Loop überholt Cyrill Zuber Gartner rastet Unicorn ist fort. Bleibt: das …

Villa Monte – Foto(Essay)-Band von Beat Streuli

Uh wie quietschig! Das war mein erster Gedanke, als ich den Buchtitel im Internet fand, den Bernd Pulling mir empfohlen hatte. Ich hatte nach Buchtipps für den Artikel gefragt, den ich gerade über „unsere“ Montessori-Naturschule in Ettenheim schrieb, zu dessen Gründern und Akteuren Bernd gehört. „Schau es dir an“, meinte er. Diese Schule sei so was wie ein Vorbild… Ich klickte durch die Website des Schweizer Verlags: Architektur, Design, Fotografie, Kunst… Und mittendrin ein Buch über eine (Schweizer) Alternative Schule? Als ich es dann endlich in der Hand hielt, war die Überraschung komplett: ein richtiges Buch. Nicht billig-quietschig, sondern edel-modern. Fester, matter Karton. Ein Fotoband. Mit great shots in verdammt gutem Druck. Kein Wunder, dass Bernd, der Architekt, Vater, Schulgründer, es empfiehlt. Bin sofort drin in diesem Fotoessayband. Mit Bildern wie Beat Streuli sie von dieser Schule gemacht hat, sind wir auch von den Ettenheimern zurückgekehrt. Sofort wusste ich daher, was diese Kinder dort tun, wie sie lernen. Dieses Hintergrundwissen aber muss man gar nicht haben, die Bilder sprechen selbst. Aber quatschen nicht zu. Genauso …

Limits of Control – Du siehst, was du willst

  Irgendwas passt nicht. Ein Reh stupsstill im Wasser. Ein Mädchen, das Küken jagt. Ein Vater, der ungerührt zuschaut… Vier, fünf Kinder rennen herum – alles seine? Zu viele zum Aufpassen? Und schon wieder die Kleine. Wedelt mit den Armen die Küken weg. Dabei zuckersüß. Geputzt mit Strohhütchen und dunkelrosa Kleid. Es muss der Tag der drei Ebenen sein. Das Geschehen, die Zeit, das Verstehen – scheibchen- und stapelweise. Jetzt nämlich rückt der tatsächlich zugehörige Vater mit kleiner Schwester in den Blick. Drei Strohhüte jetzt: Zweimal klein und niedlich beschleift, einmal groß und trilbysmart. Aber auch dieser Papa ungerührt. Dafür zieht er die Ältere aus dem Bann der Jagd. Fischt eine Feder aus dem Wasser – vielleicht das Wunder der Leichtigkeit, der Zartheit preisend. Federn zu Segelschiffchen. Jedenfalls lernt der Nachwuchs fürs Leben: die Küken über Menschen, die Mädchen über Physik. Bleibt das Reh. Das sich nicht rührt. Aber doch für den Augenblick echt genug ist. Für atemloses Staunen. Passiert den Zensor im Hirn trotz allem Widersinn. Trotz seiner grünen Haut, den Augen, die in …

Das Quappen-Tagebuch

Hier der Link zur Galerie: Quappen (12 pics)   Achtzehn könnten sie heute sein – oder tot. Ich sage: sie leben noch. Schließlich hatten sie eine Powerkinderzeit – bei uns. Achtzehn Jahre ist das schon her, dass wir den Förster fragten, ob wir uns Kaulquappen holen dürften. „Klar, sowas muss ein Kind doch mal erlebt haben“, lautete die Antwort. Erst nach unserer Quappenaufzucht belehrte uns dann ein anderer Forstmann, „sowas“ sei verboten. Alle Amphibien stünden unter Naturschutz! Weil: Leider sei die Überlebensquote ziemlich gering, und sogar Schulklassen mit offizieller Erlaubnis bei der Kaulquappenaufzucht wenig erfolgreich. Daran musste ich jetzt wieder denken, als ich „Die Tage des Gärtners“ von Jakob Augstein las. Schönes Buch. Bin zwar an verschiedenen Stellen gar nicht seiner Meinung – Rhododendron etwa würde ich nie pflanzen. Nie. Rittersporn dagegen überall. Bei der Funkien dagegen sind wir uns wieder einig. Und herzlichen Dank auch für die Info mit der Kletterhortensie – aber das wäre ein anderer Text. Hier jetzt will ich vom Frühling reden! Sechs krasse Wochen noch, bevor er endlich kommt. Reden …