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Villa Monte – Foto(Essay)-Band von Beat Streuli

villamonte_cover_g_1Uh wie quietschig! Das war mein erster Gedanke, als ich den Buchtitel im Internet fand, den Bernd Pulling mir empfohlen hatte. Ich hatte nach Buchtipps für den Artikel gefragt, den ich gerade über „unsere“ Montessori-Naturschule in Ettenheim schrieb, zu dessen Gründern und Akteuren Bernd gehört. „Schau es dir an“, meinte er. Diese Schule sei so was wie ein Vorbild…

Ich klickte durch die Website des Schweizer Verlags: Architektur, Design, Fotografie, Kunst… Und mittendrin ein Buch über eine (Schweizer) Alternative Schule? Als ich es dann endlich in der Hand hielt, war die Überraschung komplett: ein richtiges Buch. Nicht billig-quietschig, sondern edel-modern. Fester, matter Karton. Ein Fotoband. Mit great shots in verdammt gutem Druck. Kein Wunder, dass Bernd, der Architekt, Vater, Schulgründer, es empfiehlt. Bin sofort drin in diesem Fotoessayband. Mit Bildern wie Beat Streuli sie von dieser Schule gemacht hat, sind wir auch von den Ettenheimern zurückgekehrt.

Sofort wusste ich daher, was diese Kinder dort tun, wie sie lernen. Dieses Hintergrundwissen aber muss man gar nicht haben, die Bilder sprechen selbst. Aber quatschen nicht zu. Genauso wenig wie die Pädagogen, die an alternativen Schulen arbeiten. Das ist ja die Kunst: Zuhören, nicht Machtspielchen spielen. Ein solches Buch ist in der pädagogischen Verlagslandschaft undenkbar (zumindest in der deutschen). Ein Buch, das einen Fotografen in anspruchsvoller Bildsprache erzählen lässt. Ein Verlag, der das nicht nur mitträgt, sondern mit seinem Programm „Schule des Sehens“ mittreibt. Chapeau! Für uns besonders beeindruckend, denn wir wissen wie es ist, an dieser Stelle totgequatscht und enteignet zu werden.

© Beat Streuli
© Beat Streuli

© Beat Streuli

Drei Fotos aus dem besprochenen Band: © Beat Streuli


 
100 Seiten Bilder erzählen also, bevor die ersten Texte kommen – vier Seiten Statements von den Schulgründern und von Eltern. Die Gründereltern der Schule sind Rosmarie Scheu (Schwester des Fotografen) und Harry Kool. Im Interview gibt Rosmarie Einblick in ihr Lernen. (Dazu kurz vorweg: In der Villa Monte müssen Kinder nicht aufräumen oder putzen.) Einmal bat Rosmarie eine Schülerin, etwas wegzukehren. Das Mädchen half oft freiwillig beim Aufräumen, aber nun weigerte es sich: „Zuerst glaubte ich, mich verhört zu haben und bat nochmals. Erneut sagte es laut und deutlich: ‚Nein‘. – Beim dritten Mal fügte es an, ‚weil ich es nicht heruntergeworfen habe.‘ – Erst auf dem Nachhauseweg begriff ich, was ich da Wunderbares erlebt hatte: ein Kind, das mich gerne hat, hatte es gewagt, Nein zu mir zu sagen. Mir wurde klar, dass ich die Weigerung als Kompliment zu verstehen hatte.“

Dann wieder Bilder, die verdeutlichen, was an dieser Schule geschieht und wie, bevor der große Kinderarzt und Forscher Remo Largo das Wort ergreift. Wie sein deutscher Kollege Herbert Renz-Polster und der Fotograf gehört er zum „Patronatskomitee“, dem Fürsprecher-Team der Schule. Außerdem berichtet eine Mutter. Unter andrem von ihrer Sorge, ob sie da auch wirklich das Richtige gemacht hat. Das kann ich gut nachvollziehen. Solche Schulen sind anders. Fühlen sich mehr wie ein pädagogisches Experiment an, als all die unausgegorenen Experimente, die nach unzähligen Regelreformversuchen an deutschen und offenbar auch Schweizer Schulen laufen.

Die Villa Monte gibt es schon seit 30 Jahren als vom Staat zugelassene Modellschule. Mit diesem Buch halten alle Beteiligten Rückschau. Außerdem wollten sie auch genau wissen: was ist aus unseren Kindern geworden? Der Anhang gibt Auskunft. Die Schulabgänger sind offenbar patente Menschen, tummeln sich in allen Berufen – so wie ihre Eltern (Friseurin, Designerin, Golflehrer, IT-Experten, Kauffrau, Koch, Tanzlehrerin, Waldpädagogin…).

Eine Art Vorbild, sagt Bernd von „unserer“ Naturschule. Doch die Schweizer betonen: die Villa Monte sei unkopierbar. Und bedauern es nicht, denn: „sie haben keine Mission zu erfüllen“. Aber irgendwie tun sie das doch. Die Bilder zeigen es.

Villa Monte
Schule der Kinder
Herausgegeben von Rosmarie Scheu und Harry Kool
mit Fotografien von Beat Streuli und
Texten von Remo Largo und Ursula Eichenberger
Lars Müller Publishers, Zürich 2015, 288 S. 30 Euro

 

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