Fotografie, Menschen
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Warten auf das perfekte Bild
Naturfotograf Karsten Nitsch im Interview

Den Fotografen, Naturführer und Blockhausexperten Karsten Nitsch habe ich durch ein Trackingwochenende in der Lausitz kennengelernt.



Sylvia: Was machst du genau und warum?

Karsten: Mir liegt sehr viel daran, den Menschen Natur nahe zu bringen und ihnen verständlich zu machen, dass sie sich als ein Teil dieser Natur sehen müssen. Was mir besonders aufgefallen ist, dass wir uns distanziert haben. Wenn wir über Natur reden, reden wir immer über irgendetwas da draußen. Etwas anderes. Wir haben Naturschutzgebiete, und sagen, Ach schau mal da, die schöne Natur… Dabei gehören wir dazu. Auf keinen Fall sehe ich mich als jemand, der Leute bespaßen will. Das wurde mir im Lockdown besonders klar. Da hat man uns gesagt, wir können nicht arbeiten, weil das in das Ressort Tourismus fällt. Okay: Die Leute kommen von überall her – das ist natürlich Tourismus. Doch, wenn ich mit den Leuten unterwegs bin, vermittle ich ihnen Wissen – und das läuft für mich unter Umweltbildung. Für mich ist das viel wichtiger, und es macht mir auch viel mehr Freude, wenn es in diese Richtung geht.

Wenn wir etwa ein Naturschutzgebiet einrichten, tun wir das doch nicht für irgendetwas oder irgendwen, sondern für uns. Ich denke dabei auch an Diskussionen übers Klima. Da heißt es dann: Ja, das ist schon wichtig. Aber erstmal müssen wir sehen, dass wir unsere Arbeit behalten und unseren Wohlstand. Auf diese Weise Dinge werden getrennt, die nicht trennbar sind. Deshalb versuche ich, den Leuten diese Distanz zu nehmen.

SM: Und wie?

KN: Indem ich sie bei meinen Führungen auf Details und Besonderheiten aufmerksam mache. Spazierengehen tun ja die meisten gern. Aber was passiert da? Meist unterhält man sich und konzentriert sich eher auf sich selbst. Man sieht vielleicht einen Schwan oder andere auffälligen Dinge, aber schaut nie genauer hin. Die wenigsten setzen sich auf einen Platz und lassen alles auf sich einwirken. Das geht so weit, dass Leute, wie manche Birder einen Haken machen, wenn sie eine bestimmte Vogelart gesehen haben und fertig. Wie ein Sammler.

Kroa! Bestätigt der Kolkrabe über uns.

SM: Was interessiert die Leute besonders? Die Wölfe sicher.

KN: Ja, absolut. bei mindestens 70 Prozent der Buchungsanfragen ist der Wolf der Aufhänger. Wobei die Erwartung eine andre ist, als das, was man bekommen kann. Der Wolf hat was Magisches. Der hängt schon als Poster bei 15-Jährigen über dem Bett. Und er ist nicht so greifbar wie ein Marienkäfer, der am Küchenfenster sitzt. Das ist schon was ganz besonderes, und man möchte ja auch das Besondere. Aber gleich danach kommen andere, der Adler etwa. Warum ist das so? Vielleicht weil uns das auch immer so verkauft wird als etwas Besonders. Für mich gibt es andere Kriterien.

Beispiel Eisvogel: Viele kommen zu mir und sagen, ich möchte so gerne mal einen fotografieren… Und hier ist der alltäglich. Die Leute glauben gar nicht, wie viel mehr sie das selbst und auch andernorts erleben könnten, wenn sie ein paar Dinge beachten, die ich ihnen mit auf den Weg gebe. Sie schreiben mir etwa, ich hab schon so oft versucht, mich an den ranzupirschen… ist mir nie gelungen. Und genau das ist der Fehler. Bei den meisten Eisvögeln kann man sich nicht ranpirschen. Der ist sehr aufmerksam. Man muss das eher anders machen. Da sein und warten bis er kommt. Am Anfang beobachtest du ihn einfach und merkst dir, da sitzt er gern. Dann suchst du dir einen Platz, an dem du bequem sitzen kannst, wo die Entfernung passend ist und guckst, wie du dich unauffällig gestalten kannst. Wenn du seine Pfiffe hörst ‚Tiet-Tiet!‘ kommt er gleich flach übers Wasser geflogen und dann wird passieren, worauf du wartest: er wird zu seinem Lieblingsplatz kommen.

SM: Jetzt spricht der Naturfotograf – also warten?

KN: Und rücksichtsvolles Verhalten – indem du nicht laut bist, indem du dich langsam bewegst, indem du Geduld hast, genau schaust und hörst. Für mich ist das ein wichtiger Teil der Naturfotografie. Sich auch dann noch respektvoll zu verhalten, wenn ich mein Bild habe und nicht, Zack aufstehen und weggehen. Der Vogel hat aber vielleicht seinen Fisch noch nicht gefangen. Jetzt warte ich, bis er auch seinen Erfolg hat und bin rücksichtsvoll ihm gegenüber. Das ist für mich das Besondere an der Naturfotografie. Und das ist, was ich versuche den Leuten zu sagen: Es geht nicht an erster Stelle um euer Bild. Klar, das sollt ihr bekommen, aber es geht in erster Linie um die, die ihr fotografiert. Das perfekte Bild habt ihr dann – und das gelingt nicht immer – aber perfekt wäre, wenn ihr das Erlebnis habt, dass das Tier die ganze Zeit ungestört war, und euch vielleicht gar nicht bemerkt hat, bis zum Ende, bis es wieder weggeht. Und dann könnt ihr auch den Platz verlassen.

SM: Erzähl mal von einem solchen „perfekten“ Bild.

KN: Ich war mal in Schottland auf einer Vogelschutzinsel, wo es Moorschneehühner gab. Und ich wollte die fotografieren. Dort ist Heidelandschaft, und weil man da schlecht laufen kann, waren dort Holzbohlenwege angelegt worden. Und als wir da unterwegs waren, habe ich ein Moorschneehuhn gesehen, das sich neben einen Stein gelegt hat. Zehn oder zwanzig Meter entfernt und ich hab mit dem Teleobjektiv fotografiert. Wir standen da und es war irgendwie verrückt, dass es ich trotzdem da hingesetzt hat. Und ich hab mich gefragt, ob es vielleicht gar keine Notiz von uns nimmt. Und dann habe ich vorsichtig den Arm gehoben. Nix, keine Reaktion. Hat einfach in der Sonne gelegen. Dann hab ich überlegt, ich würd gern eine andere Aufnahme machen mit einem Weitwinkelobjektiv, dazu müsste ich aber sehr nah an dem Huhn dran sein. Mein Plan: Ich wollte versuchen, mich ihm zu nähern, es immer im Auge zu behalten und sobald ich merke, jetzt wird es ihm unheimlich, wäre Schluss für mich. Dann bin ich auf dem Bauch dahin gerobbt und bin wirklich ganz nah rangekommen, im Hintergrund das Meer und andere Inseln. Ja, dann hatte ich dieses Bild – und das Huhn war ganz entspannt Es hat mich angeschaut. Ich konnte es kaum glauben. Dann habe ich langsam die Kamera runtergenommen. Dann habe ich gedacht, perfekt ist es dann wen ich wieder neben meinem Freund stehe, der mich fotografiert hat bei meiner Aktion und das Moorschneehuhn liegt immer noch da. Und das hat funktioniert!

Stell dir vor, draußen ist schlechtes Wetter, du liegst auf der Couch, hast es richtig gemütlich – schön warm, ein Buch, ein Glas Wein –, da will man ja auch nicht, dass irgendjemand schreiend dazwischen gepoltert kommt und dir die schöne Stimmung versaut. Deshalb möchte ich, dass es für das Tier so bleibt wie es war und gehe rückwärts und ganz langsam wieder weg. Und beobachte das Tier weiter und verharre, wenn es guckt und aufmerksam wird, bis es sich wieder beruhigt hat. Wenn du das geschafft hast – das ist cool.

Man bleibt natürlich nicht immer unentdeckt. Aber, ich mag am liebsten die Tierbilder, wo das Tier dich nicht anschaut. Das kann man mal machen, aber ich denke, ganz häufig sind die Fotografen entdeckt. Viel cooler ist es, ein Bild etwa vom Wolf zu machen ohne dass er schaut, weil er dich nicht für wichtig hält oder dich nicht gesehen hat.

SM: Apropos Wolf, ich finde es ja bemerkenswert, wie ihr in der Lausitz mit dem Wolf zusammenlebt, andernorts gibt es sofort große Konflikte…

KN:Mich regt das immer auf, wenn ich über Leute lese, die sich in den Social Media aus dem Fenster hängen und anfangen über den Wolf zu diskutieren. Egal von welcher Seite. Dann denke ich immer, Die haben wahrscheinlich noch nie einen Wolf gesehen und schreiben irgendein Zeug zusammen. Manchmal habe ich da auch geantwortet und gesagt: Leute das ist nicht so. Ich hab schon Wölfe telemetriert, ich habe Schafe gehalten… Damit kann man so eine Diskussion sogar stoppen. Was wollen sie auch sagen, wenn jemand fragt, wann hast du denn deinen letzten Wolf gefangen? Oder hast du schon mal Schafe gehalten in deinem Garten und der Wolf war am Tor?

SM: Über deine Tierbegegnungen hast du ja ein Buch geschrieben – was steht in dem neuen Buch, an dem du gerade schreibst?

KN:Da geht es um Blockhütten. Um Begegnungen mit Menschen hier auf dem Platz, aber auch um die Natur. Ich habe mich ja hier mitten in die Natur gesetzt – und wage zu behaupten, ich habe hier ein Stück Wildnis geschaffen. Auch wenn die kleinen Campinghütten dort stehen. Vorher war das eine eintönige Wiese, die zweimal im Jahr gemäht wurde. Keine Sträucher, keine Hecken, keine Bäume, nix. Ich habe gepflanzt und aber auch vieles einfach die Natur machen lassen. Manche meiner Bäume fand der Biber so gut, dass er sie gefällt hat.

SM: Wie hast du reagiert?

KN: Mit Bestürzung! Ich hatte einen Freund, der hatte sein Grundstück an einem Bächlein und hat sich eine Trauerweide gepflanzt – und da immer gesessen und im Schatten der Weide die Fische beobachtet. Da habe ich gesagt, Oh, das mache ich auch! Und hab an meiner Badestelle eine Trauerweide gepflanzt – und die war schon ganz dick und eines Morgens, als ich baden gehe, hatte der Biber zu zwei Drittel meine Weide angenagt. Ich dachte: Ey, hat er sie noch alle? Und er dachte wohl: Geil, lecker Weide… Und dann fiel mir wieder ein, wie toll ich es fand, als der Biber hierher kam. Ich hab schon mitgekriegt, dass der weiter unten Bäume gefällt hat, aber doch nicht bei mir?! Damit muss man sich erstmal auseinandersetzen. Ich hab dann den Rest des Baums durch Zaun geschützt. Außerdem viele Weidenzweige gesteckt, die auch angewachsen sind, und die er immer wieder abknabbert. Das ist okay. Im Augenblick sind wir uns da ganz einig.

SM: Wie kommst du zu deinem Job Naturführer, hast du das gelernt?
Über Umwege… Ich hab ursprünglich Elektromonteur gelernt und dann aber als Waldarbeiter gearbeitet. Mit meiner Familie konnte ich für 26 Mark Monatsmiete im Forsthaus wohnen – das war super. Nach der Wende war ich arbeitslos, denn die Wälder wurden wieder privat bewirtschaftet.

— Kikeriki — ruft einer der Platzhähne dazwischen.

Danach kam eine AbM-Stelle im Umweltamt. Als ich die erste Umweltbildungsaktion gemacht habe wusste ich: Das ist es. Endlich etwas, das mich wirklich interessiert.

SM: Die Landschaft hier ist ja geschunden – ist das trotzdem ein Glücksfall für dich, für die Natur?

KN: Die ganze Natur ist ja „geschunden“ oder von Menschen verändert. Wir leben in einer Kulturlandschaft. Hier ist nichts mehr wie es mal war. Aber was heißt „geschunden“? Wenn ein Vulkan ausbricht schindet er auch die Landschaft, aber das ist ein natürlicher Prozess. Früher dachte ich, wenn wir die Kohlengrube aufmachen, vernichten wir die Landschaft und zerstören alles. Aber das sehe ich heute anders. Es ist ein großer Eingriff, aber das ist auch so, wenn wir einen Kahlschlag machen. Was wir mit dem Tagebau zerstören, ist eine Kulturlandschaft – und die besteht hier in der Gegend häufig nur aus einfachen Kiefernforsten. Wir zerstören auch Dörfer und Felder. Wir zerstören eine Kulturlandschaft und teilweise auch eine Kultur, nämlich die sorbische. Das tut mir vielleicht viel mehr weh.

Die Landschaft hat die Chance, sich zu regenerieren. Ich wünsche ich mir, dass man das Regenerieren der Natur überlassen würde. Und nicht anfängt Lieber Gott zu spielen, wie bei dem Projekt wo heute der Wolfsansitz ist. Da wurde ein Radweg angelegt, ein See und ein Hügel mit dem Aushub – schön für eine Aussichtspunkt. Und dann kam Mütterchen Matur und hat gesagt: Och… ich lasse einfach mal den Hügel in den See rutschen. Und weg war der See. Großes Entsetzen, die ganze Arbeit dahin… Aber. Ich sag mal so: Natur ist immer Dynamik, immer Veränderung. Was ist geschunden? Ich wünsche mir, dass diese Kulturlandschaft bleibt. Die macht die Lausitz aus. Diese Teiche, diese Vielseitigkeit, das ist eine Die Landschaft, die durch die slawischen Stämme während der Völkerwanderung geprägt wurde. Dörfer, Wiesen, Felder, Wasser – ich zähle auch den Tagebau dazu. Diese Vielfalt ist eine große Chance für viele Tier- und Pflanzenarten. Das soll so bleiben.

SM: Warum hast du eigentlich die Blockhütte gebaut?

KN: Ich hatte kein Land hier und hab ja Kurse für die Umweltbildung gemacht. Da war ich in den Sommermonaten immer weg. Blöd: Nie zuhause im Sommer. Dann hab ich gedacht, ich mach die Camps einfach hier. Dazu musste ich aber erstmal dem Nachbarn die Wiese abkaufen.
Der wollte eigentlich nicht… Aber ich hab nicht lockergelassen, irgendwann hatte er genug vom Mähen und mir die Wiese verkauft. Dann hab ich meine Feriencamps für Kinder direkt vor meiner Haustür angeboten und einen Bauwagen hingestellt, um immer für sie ansprechbar zu sein. Ich habe während des Camps quasi im Bauwagen gelebt. Als dann der Herbst kam, das Camp zu Ende war, hab ich es nicht mehr ausgehalten, im Haus zu schlafen. Also bin ich in den Bauwagen gezogen. Von der Mutter meiner großen Töchter lebte ich da schon getrennt. Ich hab mir ein neues Leben aufgebaut. In der Bildungsarbeit mit jungen Leuten, das hat mich beflügelt.

SM: Und die Hütte?

KN: Im Bauwagen musste ich lernen, mich aufs wesentliche zu reduzieren. Vorher hatte ich ja ein Haus mit Fernseher und trallala. Im Bauwagen hatte ich einen Laptop, ein Kofferradio, bisschen Geschirr und Bücher. Nur das Notwendigste. Cool. Dann habe ich mir Felle gekauft. Da guckst du raus, es schneit, und der Ofen bullert. Herrliches Leben. Und weißte was?! Ich konnte viel fauler sein als vorher. Und das ist wichtig. Das müssen wir nämlich auch wieder lernen. Im Bauwagen musste ich nicht viel machen, außer heizen. Ich musste nicht denken, ach die Tür müsste mal wieder gestrichen werden und dies und das… Dann habe ich das Haus meiner Tochter und ihrem Freund geschenkt.

Ja, und irgendwann war hier einer auf meinem Camp, der nahm an einem Kräuterseminar teil und fragte: Warum baust du dir eigentlich keine Blockhütte? Poah. Schöne Idee. Aber – wie geht das denn? Er meinte, er hätte in Kanada mal mitgeholfen, das sei nicht so schwer – so fing das an. Dann hab ich ein Sägewerk aus Schweden gekauft und Holz. Und Bücher über Blockhäuser – alle auf Englisch, nur ich konnte leider keins. Das Holz habe ich alles als stehende Bäume im Wald gekauft, mit dem Förster ausgesucht. Habs von der Pieke auf gebaut und das ging total langsam. Zum Glück gab es immer wieder Leute die mich weitergebracht oder mir geholfen haben. Da waren etwa die vier Zimmerleute, die ich mal bei einem Fest getroffen habe. Kost und Logis – waren nicht das Problem, aber der Alkohol. Die haben das Zeug geatmet. Ich hab gedacht, das halt ich finanziell nicht aus. Aber irgendwann war meine Hütte dann fertig. Da hab ich mich vor den Kamin gesetzt, mit ner Flasche Whiskey, und hab gefeiert.


Hier Buch Nr 1:
Karsten Nitsch: Wo die wilden Tiere wohnen
Goldmann Verlag, München.

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