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Vom Seufzen der Leerräume


 

Rumms! Aua! Halb lieg ich schon, halb stemm ich gegen – dieses Scheiß Light-Metal Kellerregal. Hab ihm nie vertraut, jetzt ists mir auf den Kopf gefallen. Die alte Schreibmaschine verpasst mir einen Hakenkuss, der Entsafter poltert ab und eine klotzschwere Kiste knapp an mir vorbei. Jesses!

Tage später. Das Schrottteil entsorgt, zwei neue Regale aufgebaut, machen wir da weiter, wo es mich umgehauen hat: Beim Ausmisten in der Staubachterbahn. Pat blättert durch alte Belege, Magazine wie Focus, Jazzthetik, Stern. Kann weg, bleibt, kann weg, kann weg, kann weg… Cool sehen sie aus, diese alten Jazzthetiks. Kein bisschen altbacken oder überholt. Kannweg, bleibt. Bleibt? Zeig mal. Aah, sieht aus wie schwarz/weiß. Ist schwarz/weiß. Das Bild auf der Doppelseite zeigt – so gut wie nichts. Überschrift: „Die Leerräume im offenen Herzen der Lieder“. Poetisch. Schön. Übernächste Seite wieder so ein minimalistischer Pat Meise: Himmel und Meer. Meer und Himmel. Ja. Leerräume. Damit hat Pats Lieblingsgrafiker Matthias Grunert ein Dreieinhalb-Seiten Interview bebildert, das Jazzthetik-Autor Michael Engelbrecht mit Komponist, Sänger und Schlagzeuger Robert Wyatt und Lyrikerin Alfreda Benge in London geführt hat. Anlass war die Neuerscheinung des Albums Dondestan (spanisch für Wo seid ihr?).

Erste Zwischenüberschrift: „Das Politische und das Seufzen des Windes (1)“.
Erste Frage: Als ich 1975 mit meiner damaligen Freundin in der Bretagne zeltete, begleitete uns RUTH IS STRANGER THAN RICHARD Tag und Nacht, an der Ausstrahlung deiner Songs hat sich für mich bis heute nichts geändert, sie besitzen eine selten gewordene, spirituelle Kraft. Seit Beginn der 80er ist eine politische Dimension dazu gekommen. Verkörpern diese zwei Welten einen Widerspruch?
Die Antwort des Musikers endet: „Ich sehe da keinen Konflikt; es ist die andere Seite des Impulses.“

Ein Musiker, der Gedichte vertont. Zwei Seiten weiter geht es um Robert Wyatts Lust am Sprachspiel, dazu sagt der Musiker: „Worte – ich sehe sie immer wie Skulpturen im Raum; ich mag es, um sie herumzuwandern, sie von oben und unten zu betrachten und genieße es, sie herumzuschubsen. Worte sind halt hoffnungslos subjektiv, spiegeln die Begrenztheit der eigenen Wahrnehmung und Kultur.“ Schon hab ich mich festgelesen. Aber Stopp, jetzt erstmal weiter Tetris im Keller. Ich schließ das Heft und schau aufs Datum: November 1991. 30 Jahre her! Scheiße, sagt Pat.

Auf meinem Schreibtisch liegt noch so ein „Bleibt“-Magazin. Allerdings kein Beleg, sondern Hirnfutter aus dem Winter 2014 – eine „Lettre“. Zufall, Verkettung? Wie auch immer, ein Artikel fängt mich ein: Überschrift „Meine Blamagen“, Georg Stefan Troller über (seine) Interviews. Glaub nicht, dass ich das schon gelesen habe. Ganz neu also für mich, dieses vergilbte und versehentlich gewässerte Altpapier. Troller schreibt in zeitlicher Reihenfolge über seine größten Flops:
„Angefangen mit dem jugendlichen Wirrkopf, der sich ahnungslos auf einen Beruf einließ, der letztlich dahin tendiert, die eigene Identität anzuzweifeln. Denn, der gute Interviewer muss sich ja dermaßen auf seinen Gesprächspartner einstellen, sich so in ihn oder sie hineinversetzen, dass er zumindest zeitweise fast selbst zum anderen wird.“

Absolut. Kann ich nur bestätigen. Identitätsverschwommenheiten. Hineinkriechen in die andere/den anderen, ihn/sie aushorchen, das Innerste nach außen holen. So ein Schreiberleben ist schon was Seltsames. Und die Jagd nach dem guten Satz, den spannenden Geschichten auch. Hab schon Leute, ohne Absicht, zum Weinen gebracht. Ach, Sie sind Journalistin, sagte mir mal jemand. Dann gehören Sie ja nirgendwo dazu.

Aber Georg Stefan Troller schreibt hier nicht nur vom Ran- oder Reinwanzen. Ein bisschen Selbstverliebtheit braucht ein Interviewer auch – und er will wohl auch etwas weitergeben:
„Also komme ich mit der unverschämten Frage (man soll im Interview unverschämte Fragen immer erst nach einigen verschämten einsetzen, aber das habe ich noch zu lernen): Meinen Sie denn, dass Ihre schlichte Darstellung eines unverdorbenen, ja hinterwäldlerischen Amerika etwas zur Zukunft Europas beitragen kann? Darauf Wilder mit anhaltend treuherziger Miene: ‚Junger Mann in meinem 60. Lebensjahr habe ich beschlossen, nur noch Dinge zu tun, die mir Freude bereiten. Und Sie bereiten mir keine Freude.’“
Ende des Gesprächs.

Werde ich mir merken. Die Antwort meine ich, bin ich doch in 60. Lebensjahr. Apropos. Was macht eigentlich dieser Engelbrecht 30 Years after? Ich flöhe das Internet und finde ihn auf manafonistas. Ein Blog „on life, music, etc beyond mainstream“. Oh Zufall, Oh Verkettung: In einem der November(!)-Beiträge schreibt er über das Album ‚“The Nearer the Fountain“ (mit einem schwarz-weißen Coverbild).

Ich mag es, wie er seine Texte beginnt. Etwa diesen: „Das nenne ich eine Überraschung, oder auch, kalt im Dunkeln erwischt mit der Gespenstermusik des Jahres.“ Wie er dann weiter beschreibt, welche Klang-Assoziationen ihm zu dieser Musik einfielen, schenkt er mir einen schönen Link für die Rückschau: „Erst, in manch verwegenem Einbruch von Saxofonen, dachte ich an Robert Wyatt… Robert Wyatt. Dondestan Hab ich mir jetzt zum ersten Mal auf Spotify angehört, und das besprochene Album von, Moment, Damon Albarn, tippe ich gerade ein…
 

 
 
 

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