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Liebe und Tod…


 
.. alles andere ist Mumpitz. Jedenfalls bei Literatur, sagte jedenfalls MRR, Marcel Reich-Ranicki. Der Mann fällt mir immer ein, wenn ich rezensiere. Und Herrndorfer. Der fand Rezensionen hirnlos, die das besprochene Buch zusammenfassen. Oder unerträglich – den Original-Wortlaut weiß ich nicht mehr. Genauso wenig, wie ich noch weiß, was normal ist im C-Jahr. C wie Corona. Ich hab ein K-Jahr draus gemacht. K wie Krimi. Mir schon ewig nicht mehr so viele Ks reingezogen. Ermächtigungsstrategie?

Für diesmal hatte ich jedenfalls die Skandianavier schnell durch. Und zwar per Film. Zu Beginn des Coronawirbels landete ich beim Zappen durch die Faktennews auf irgendeinem Kanal bei Stieg Larssons Verblendung. Erleichtert blieb ich. Genau die richtige Unterhaltungs-Dosis für diesen Abend. Nur – dass es die entkernte, amerikanische Variante war. Frustrierend. Bah! Da half nur: Sofort die echte bestellen. Nein, gleich alle drei. Und warten. Klopapier und Masken hatten ja Vorrang. Und überhaupt bestellten ja plötzlich alle alles im Internet.
Irgendwann kamen die Scheiben. Die echten, mit der echten Noomi Rapace-Lisbeth. Diese Frau bedient ja nun wirklich allen Ermächtigungsbedarf, den unsereine so haben kann. Sonst noch? Einen Packen Wallander. War dann aber langweilig, weil nicht wirklich die gute Fassung.

Eingeschränkter Ausgang, Abstand, C-Koller… Eigentlich war ich ja hauptschlich im Wald. Kaum zuhause aber lechzte mein Hirn nach passenden Rausreißern, Peinlösern, Stresspuffern – her damit zur Hölle! Tschja, und warum Geld ausgeben, und C-Lieferzeiten in Kauf nehmen, wo das Gute längst im Regal steht: „Kaltes Feuer“ etwa von Dana Stabenow. Der erste aus ihrer Kate-Shugak-Reihe. So gut. Mal für eine nen taz-Artikel über Ermächtigung durch weibliche Krimi-Heldinnen angeschafft. Kennt kaum jemand, also: Darf ich vorstellen? Kate Shugak. Geborene Aleutin – so heißen die Ureinwohner einer gleichnamigen alaskanischen Inselkette -, einsfünfundsechzig, drahtig, goldhäutig, schwarzhaarig. Lebt im Nationalpark mit ihrer Husky-Wolf-Mischlingshündin. Und, mit 12 Kugeln im Rücken geht die noch lange nicht nach Hause. Ruht nicht, bis sie die Wahrheit ans Licht gezerrt hat. Wie unangenehm das auch für alle Beteiligten, inklusive ihr selbst, sein mag. Kate ist Ermächtigung pur. 20 Jahre besitze ich diesen Band (plus zwei weitere) schon, hab alle schon mindestes 147 Mal gelesen und freue mich immer noch über alle skurrilen Szenen, die die die Autorin so wortgewandt einstreut.

Gerne geklaut aus den Lokalnachrichten. Etwa das hier: Verpeiltes Touri-Pärchen stellt fest, dass es im Sommer in Alaska weder Schnee noch Hundeschlittenrennen gibt. Die frustriert-quengelige Ehefrau, die immer ihren Pudel bei sich trägt, entdeckt immerhin gegenüber vom Parkplatz eine Elchkuh mit ihren Kälbern. Entzückt eilt sie hin, um Kuh oder Kälbchen zu herzen. Fassungslos bewahrt Kate sie im letzten Moment vor einer garantiert unkuscheligen Begegnung, als ein Adler herniederstößt – und sich des Pudels bemächtigt. Zucker, Dana, love it!

Die anderen natürlich auch gleich nochma gelesen. Und nu? Hat Dana vielleicht doch noch weiter geschrieben? Ich hatte ja immer mal geguckt, aber nie mehr was gesehn. Tags drauf zur Wendeltreppe, best Krimibuchladen in Town, und die Chefin gefragt. Die meinte wie ich, es gäbe nichts Neues von ihr, aber ein paar Fortsetzungen kannte sie doch. Ich solle mal das Internet melken. Und wie ich so melke, traue ich meinen Augen nicht: Nummer 22. Kommt. Demnächst. Raus.

Boah. Einundzwanzig gibs?! Minus drei, die ich schon habe, macht das a-c-h-t-z-e-h-n, acht-zehn mir unbekannte Shugaks?! Hoohoo!! Woohoo! Bin jetzt Dauerkundin bei den amazon-Alternativen Booklooker und Abe Books. Die übersetzten hab ich mittlerweile alle. Jetzt les ich nur noch der Reihe nach – und aus Irland, oder England trudeln mehr oder weniger gebrauchte Exemplare bei uns ein. Als Nebeneffekt poliert die erzcoole Kate mein Englisch auf. Noch vor mir: das Buch, in dem Jack, ihr Freund und Lover stirbt. Verdammt, Dana, musste das sein?

Mittlerweile fühlt sich das wahre Leben immer fiktionaler an. Hamsterrad oder Alltagsgerüst muss jeder und jede selbst basteln, während Masken für audiovisuelle Unschärfe und Diffusität sorgen. Unter normalen Bedingungen wären wir zum Aufladen, Durcharbeiten und Krafttanken nach Schottland aufgebrochen. Geplant war die Fortsetzung unserer Äußere-Hebriden-Tour: South Uist mit dem Fahrrad. Diesmal sogar ohne Auto. Nur Fahrrad und Bahn. Tschja. Normal is nich. Aufs Rad sind wir trotzdem. Anderswohin halt. Ins Hohenlohische. Wunderschön da – nur leider mit kaum Unterkünften unterwegs. Wild campen? Ja, wenn man in Schottland wär… Ist ne Supertour geworden, auch wenn‘s uns echt das Campen verleidet hat. Aber das ist nun doch ne andre Geschichte.

Begleitet haben uns bei alldem zwei —? Genau, zwei Krimis. Reiselektüre, wie wir das früher mit Kind immer hatten. Jeder ein neues Buch im Gepäck. Ich mochte, wie die oft per Zufall ausgewählten Lektüre unsere Sommer grundierte. Krimis waren das bei unseren ersten Radreisen nicht. Diesmal schon: Frankfurt Krimis von Sonja Rudorf, einer Frankfurter Autorin, in Frankfurt bei unserem Lieblingsweinladen gekauft.

Wer kriegt den ersten Band? Pat ist schneller. Aber, die Reihenfolge soll nicht so wichtig sein, versichert Sonja. Ich guck mir ja immer die erste Seite an, bevor ich ein Buch kaufe – als ich nach einer halben Stunde wieder aufsehe, ist das Licht körnig geworden. Die Tote heißt Vesna, wie mein altes Fahrrad. Serbische Prinzessin… Sagt eine Mutter abfällig über sie. Mütter. Was sind das für Wesen? Mädchenmütter dazu. Werden hier ein bisschen ausgelotet. Als Jungsmutter hat man da so seine Erfahrungen, aber die und ich kommen ja nicht vor. Dafür Casting Shows. Hoffen. Sich Preisgeben, Auftreten, Abgang und dann womöglich der Absturz. Wie schnell wirkt alles daneben. Wie peinlich, wenn man unsicher ist. Und jung. Der Welt etwas mitgeben, das ist Schreiben. Die Hauptakteurin sympathisch. Powerfrau. Alleinlebende vespafahrende Psychotherapeutin – groß und gerne bunt gekleidet -, die es liebt, Regeln zu übertreten. Tante eines der Mädchen, um die es im Buch geht. Der Tod ist gleich von Anfang an da, Liebe kommt…

Bei mir legt sich Shugak drüber. Was oder wer ist Wahrheit? Hat sie Unpässlichkeiten? Echt? Hier gehts jedenfalls um Werte wie in einem alten Western: Solidarität und Verrat, wie schnell bricht Vertrauen, wen treffen Urteile, Vorurteile… Zwischendrin denk ich: Ogott! Was’n Zickenkrieg! Was‘n Chaos. Alles wird ständig neu gemischt, verworfen, mitgerissen. Und die Gedichte der 14-Jährigen! Ich sag nur: Schmonzig. Aber… genauso ist sie ja, die Pubie-Zeit. Lieber tot als 13. Und doch. Letztlich sind sie ja brettehrlich, diese Jugendlichen. Auch hier im Frankfurtkrimi.

Den Vorläufer-Band, in dem die Psychotherapeutin Jona Hagen zur Private Eye wird, auf Umwegen ihr Ermittlerinnen-ich entdeckt, lese ich direkt nach unserer Reise. In dieser schönen, kleinen Zwischenzeit, in der man noch nicht ganz ankommen möchte, aber auch nicht mehr unterwegs ist… Genau richtig das. Herrlich, ganze Abende mit Lesen verbringen – und dabei völlig abtauchen.

Tauchen. Mit lauter schräger Figuren. Worum es geht? Die Basics: Tod und Liebe, Lüge und Verrat. Wem kann man trauen? Hagens Mitarbeiter wird niedergeschlagen, ringt mit dem Leben. Und sie? Findet lauter belastendes Material – und lässt es verschwinden. Ihr Job steht auf dem Spiel. Reitet sich gerade deswegen immer weiter rein, und versucht doch gleichzeitig eine Schneise durch das Dickicht von Lüge und Maskerade und zu reißen. Die Erzählfäden werden immer mehr verzwirbelt und verdichtet, die Spannung erhöht, bis Motiv und zuschlagender Mensch herausblitzen und endlich auch, was passiert ist.

Für beide Bücher gilt: Aufatmen gibs am Main, am Fluss, der ihnen gerne und stoisch das alles durchströmende Band gibt. Drive – Jep. Spannung – Jep. Die erste Seite und die letzten Kapitel kann man gar nicht so schnell lesen, wie‘s abgeht. Zwischendrin geht sicher noch was. Mehr verrate ich nicht.

Mehr? Noch ist ja alles offen. Jona Hagen ist sympathisch, aber ich lerne sie erst kennen. Anders als nach acht Shugak-Krimis weiß ich von der Protagonistin wenig, nicht mal so ganz genau, wie sie aussieht. Bitte gerne nachlegen, ja?! Bei mir hat der Plot natürlich Heimvorteil: Die Protagonisten bewegen sich nicht durch Lissabon, Duisburg oder Ystad, sondern, Ha! Durch Frankfurt! Sind da unterwegs, wo es uns vertraut ist. In „unseren“ Gärten, Brücken, Cafés. Der Main und die Frankfurter. Sogar unsere Straße, der Gebäudekomplex, in dem wir wohnen, kommen vor. Beschrieben übrigens als „Spießerhochburg“. Na, danke. Darüber müssen wir reden Sonja, am besten bei einem Espresso. Schwarz. Süß. Gerne mit Grappa. Sonja?! Der nächste bitte.
 

Dana Stabenows Kate Shugak-Reihe: Kaltes Feuer, Wenn das Eis bricht (Piper, nur noch antiquarisch). Less than a Treason (Gere Donovan Press, 2017)

Sonja Rudorf: Alleingang (2016), Stromaufwärts (2019), Societätsverlag Frankfurt/Main
 

 
 
 

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