Gesellschaft
Schreibe einen Kommentar

Plan C


 
Lieber kein Treffen, sagt ein Freund ab, wegen Corona. Andere laden uns ein. Im Garten sitzen. Lachen, Trinken, in die Sterne schauen. Über Klopapier reden. 10 Euro das Paket. Einlagig wohlbemerkt. Nee, ne?! Doch! Der neu übernommene Supermarkt an der Ecke. Guter Geschäftsmann, ja? Arschloch. Den Laden werde ich nicht betreten ischwör. Und dann gibts ein Sprachstolperwitz, den, warum auch immer, nur die Frauen witzig finden. Zum Totlachen, Haha! Hach, tat dieser Abend gut.

Irgendwo nördlich, paar 100 Kilometer entfernt, vielleicht zur selben Zeit, ging einer alten Frau die Lebenskraft aus. Was mache ich hier? Mag sie gefragt haben. Warum kommt niemand? Kein Funke am Tag, keiner in der Nacht. Sie aß nichts mehr, trank nicht. Corona-Infektion hatte sie keine. Aber sie starb daran. Kollateralschaden, wird man später sagen. Und lehren, wie man sich umarmen soll: Mit Maske, ohne uns in die Augen zu schauen, und kurz. Am besten die Luft anhalten dabei. Kleine Kinder dürfen uns die Füße küssen, größere werden von hinten umarmt und, wenn‘s denn sein muss, auf den Kopf geküsst. Von oben und, selbstredend, mit Mund-Nasenschutz.


 

Kein Wunder: Der Himmel ist jetzt schon nicht mehr so tiefblau, die Autobahnen nicht mehr so leer. Hey, da war autofrei! Das schafft wohl nur Angst. So viel Stille! Bleib. Genauso. Dachte ich immer. Und trudelte doch selbst durch einen heillosen Wirbel des Abgelöst- und Unverbundenseins. Alle Bisher-Rituale geschreddert. Gemeinsam Einkaufen auf dem Markt, sowas. Auf einmal alles kaputt. Ein Marktstand ist keine Supermarktkasse. Vorher lief das bei uns so – checken, wer schon da ist und gucken, dass man danach dran kommt. Oder gerne früher, wenn der charmante Verkäufer einen partout vorziehen mag… beim Warten schonmal bisschen sondiert oder gleich zugegriffen – hier ein Bund Rote Bete, da drei Zitronen und, Aaah! Wie gut sieht das denn aus? Nehmen wir auch… Danach ganz entspannt nen Kaffee an der Ecke.

Stattdessen eine Atmosphäre wie aufm Ausländeramt. Jeder stand wilden Blickes nach seinen eigenen Abstandsprinzipen, alle subito auf 180, wenn andere, was anders sahen. Die Marktverkäufer rannten noch maskenfrei, dafür voll gehetzt um Waren und Kunden herum. Dann Auftritt einer alten, bleichen Schisserin. Die Händchen in Kondomhandschuhen fest um zwei Walkingstöcke geklammert, ruderte sie sich die Bahn frei. Ihr Blick flämmte alles rechts und links der 1,50-Linie, als ritte sie bereits der Lungenteufel. Ich beiß die Zähne zusammen vor Rundumdruck, bis mir alles schmerzt. Bin raus. Einkaufen also allein. Raus in den Wald nur in der Dämmerung. Sozialer „Kontakt“ nur im Netz. Gleichzeitig schiebe ich meinen letzten Auftrag wie einen Schild vor mir her. Guck, ich hab noch Arbeit… Ich kann grad nicht. Arghh!


 

Schließlich lässt Hessen Lockerungen zu. Was freuen wir uns, als endlich wieder die Cafés aufmachen. Cappuccino! Eiskaffee! Am Main? Ja, wär nett. Aber Platzierungsschlange und Warten? Nee. Eine Ecke weiter hats keine Schlange und Selbstbedienung… O-Kay. Ich geh gucken und seh – nur Pappbecher. Wegwerf-Kaffee? Sorry, Baby. Nicht mit mir. Dann schließlich schachmatt an einem Eiscafé, wo wir sonst gerne hingehn. Ich frage: Kann ich einen Eiskaffee im Glas bekommen? Nein. Das Cafébesitzerpaar schüttelt die Köpfe:“ Da müssten wir uns immer die Hände waschen…“ Nur To-Go-Becher. Ich gebe nach. Aber: Gut wars nicht.

Paar Tage später, neuer Versuch. Auch das Café an der Post hat wieder auf. Mit echtem Geschirr! Supper. Registrieren uns. Kennt man ja schon. Ein Gefühl wie aufm Amt oder beim Arzt… Dann kommt der Kellner, und ich will was Nettes sagen: „Schön, dass ihr wieder da seid!“. Er so: „Hmm. Danke. Aber bald ohne mich, ich hab die Kündigung bekommen.“ Nach Kurzarbeit das Aus. Also, gut war auch das nicht.

Alle hassen es über Corona zu reden, und natürlich reden alle über Corona. Die ersten Magazine haben Maskencover, Journalisten suchen besonders schöne Coronageschichten (hust). Es wird sicher Coronabücher geben – und natürlich gab es die ganze Zeit Ideen, sich dem Virus medial zu stellen. Beispiel Kinderseite der Süddeutschen. Für Homeschooling und Homeoffice geplagte Familien. Bin null die Zielgruppe, zugegeben, aber mir bescherte die Seite Sprachschmerzen: Alles auf Abstand? Wir bleiben dran. Tipps für die neuen Heimkinder. Fürs neue Drinnen und Zwischendrinnen aus der Home-Office-Redaktion. Falls man sich zurzeit nicht eh total gemüsig fühlt. Schick dein irres Monsterjagd-Foto. Schäumen. Bloß nicht den Kopf verlieren. Wer kohlert als Erster über die Ziellinie?


 

Nu is ja die Klopapiernummer tatsächlich schon Anekdote. Irgendwann hatten dann wohl doch alle genug von allem, und stürmten den Wald. Unsern Wald! Man musste Einlasskarten ziehen und dann waren alle fünf Meter Menschen, sogar Familien mit Kindern. Kindern, die sonst gar nicht raus dürfen wegen Schmutz und Dreck und all so Gefahren von Draußenleben. Manche der Kinderlosen im Wald trugen auch Masken und sprangen ins Gebüsch zur Sicherheit, wenn unmaskierte Radfahrer wie unsereins des Weges rollten.

Klein, groß, beherzt oder angstwuschig: Sie kamen und blieben. Lagen auf der Försterwiese, saßen nachts auf Bänken und Brücken, aßen Pizza, soffen Flasche leer, pissten Wald voll, machten dies und das. Müll says it all. Wald wurde öffentlicher Raum. Kinder lernten Radfahren, Seebrücke-Leute hängten Transparente auf und schufen einen Parcours mit so vielen Schritten, wie Menschen im griechischen Auffanglager feststeckten. Erinnerten, dass dort Zuhausebleiben nicht möglich ist: „You can’t stay home, when you have no home“. Das Stofftransparent hatten Baumkletterer weit oben und nachhaltig mit Schnur befestigt. Tags drauf wars weg, Parcoursschilder kaputtgeschlagen. Die Nehmt-gefälligst-euren-Müll-wieder-mit-Schilder dagegen, die aussahen, als hätten saubere Mütter sie aufgehängt, blieben unangetastet. So wie die AfD-Plakate bei Wahlen. Jeder Tag Wäldchestag. Das Damwild irritiert. Aber gut. Oder, wie Nuhr sagen würde „ist ja auch egal“.


 

Ich sag: 300 Schaden. So viel Verunsicherung statt Selbstverantwortung. So viel Erregung. Und das Level ist zwischen Lock-Down und Lockerung nicht gesunken, im Gegenteil. Man braucht nur jemanden schräg anschauen, schon geht‘s ab: WAS?? Is was? Je mehr Maske, desto weniger Hemmung. Heffheff! In der Bahn schlägt eine mit der Hand an die Wand, als sie gebeten wird, ne Maske aufzusetzen. Sie keift: „Is ja wie in der DDR hier. Ich hab in den 60ern für die Freiheit gekämpft, der Benno ist dafür gestorben – und jetzt?!“

Ob Urlaub hilft? Alle Ferienhäuser Deutschlands ausgebucht. Sogar Land auf dem Land wird gekauft. Und die Maßnahmen kommen nicht mehr so gut, auch nicht bei Nicht-Impfgegnern. Gut jetzt, ja? Zum Glück werden aber auch neue Wege gefunden und auf einmal tiefergehende Gespräche geführt, im Treppenhaus, Im Stoffgeschäft, mitten im Wald… Dabei sehe ich kein Abgrenzen, keine Angst, keinen Rassismus und keine Hilflosigkeit, die nicht vorher schon da waren. Nur sichtbarer jetzt. Bei Freund und Feind. Zeit für Ideen, Leute. Klartext, Zukunft. Let`s go.


 
 
 

Schreibe einen Kommentar