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Gelesen: Das große Los

Winnemuth CoverDieses zärtliche „Liebes“ als Anrede spukt noch durch meinen Kopf. Erst dachte zwar: Zu intim, ich luns doch nicht in fremde Tagebücher – und blätterte weiter. Doch am Ende hat mich genau diese Geschichte am meisten berührt, die ich nicht ganz gelesen hatte: Dieser Brief der Autorin an sich selbst als junge Frau. Ein zentrales Stück Reise, davon gehe ich aus. Denn: wer war man denn damals? Das junge Ich, auf dem das heutige basiert, umarmen können; es mit einem Abstand von 20, 30 Jahren betrachten… Wer dann sagen kann: „Liebes“… Gut. Auch sonst hat sie mir in den letzten Wochen immer mal einen kleinen Satz mit auf den Weg gegeben, manchmal supersimple Anmerkungen wie „Sich vom Leben überraschen lassen“. Dafür sei es nie zu spät und niemand zu alt. Man muss aber dafür eine Tür öffnen, die im Alltag wohl oft aus „Sicherheitsgründen“ versperrt ist, aus Bequemlichkeit ungeölt und verklemmt, oder die man sonstwie nicht aufkriegt, weil der Status: müd und abgelascht heißt.

Für alle, die das Buch nicht kennen: Meike Winnemuth, Hamburgerin, sowie Journalistin und jetzt 50plus wie ich, hat mit der guten Mischung von Hirn, Glück und Mumm bei Günther Jauch eine halbe Million gewonnen. Damit endlich die Weltreise unternommen, die scheinbar immer anstand – und dabei einfach weiter gearbeitet und gebloggt: vormirdiewelt. Gut im Geschäft war/ist sie wohl ohnehin, sodass die Tour für die Auftraggeber ein Sahnehäubchen war. Aber irgendwo im Buch steckt auch die Erkenntnis, sie habe plötzlich viel leichter schreiben können. Was Wunder: Kein Druck, musste nichts annehmen, was sie nicht wollte. Dafür wird ein sicheres Geldpolster ganz ungemein nützlich sein. Und: für alle unter uns Kollegen, die jetzt anfangen zu heulen, „Ja, mit so viel Geld im Rücken“: Irgendwann stellt Meike fest: ich hätte immer einfach losfahren können. Hätte das Jauchgeld gar nicht gebraucht, weil sie weniger brauchte als gedacht, unterwegs gearbeitet und für ihr Prinzip 12 Monate 12 Städte immer eine Wohnung gemietet hat, um wirklich das Leben vor Ort und im Alltag zu sehen. Dieses einfach losschreiben, egal was passiert – das muss doch auch zuhause gehen. Vielleicht brauchts dafür Qigong, oder … Use your Imagination, wie es in Limits of Control heißt. Dann gab es noch die geniale Idee, sich von Lesern ihres Blogs und des SZ-Mags Aufträge erteilen zulassen. Das Salz in der Suppe ihrer Reisen. So hat sie Menschen und Orte kennen gelernt, deren Wege sie sonst wohl nicht gekreuzt hätte. Hat in Wohnungen gewohnt, etwa in Buenos Aires, die sie online nie hätte finden können und – ach, einfach selber lesen.

Übrigens kein Buch für Veganer – gerade in Buenos Aires wird Fleisch verputzt, dass es nur so kracht. Dazu gefeiert, dass man sich wirklich wünschte eingeladen gewesen zu sein. Sie schreibt mit der ansteckenden Frische einer wirklich Unabhängigen. Da sie außerdem nicht Kirchen und Eiffeltürme abhakt, sondern lieber kurioses Zeug anstellt wie Ukulele spielen lernen und bei einer Mega Jamsession mitspielen oder Tangokurs machen und wieder abbrechen, weils einfach nicht passt, oder am Ende in einem Cargoschiff nach Hause zu dümpeln. Perfekter Abgang, Chapeau! Muss man erst drauf kommen. Zwischendurch dachte ich ja schon mal: Ah, Oh, Arrivierten-GuJ-Reiseprosa… Aber damit hat sie mich komplett eingesackt. Nichts müssen, nichts wollen, nur schaukeln. Und die Kerle durch Interesse im Maschinenraum und kotzgrünfreies Wohlsein an Bord beeindrucken. Hamburgerin halt. Nach all den fast zu schönen Geschichten, die sie erzählt, räumt sie dann hinterher in ihrem „feudalen“ Leben auf. Reduziert den Kleiderschrank, „Wem gehört bloß das ganze Zeug hier“, und mietet später eine kleinere Wohnung. Weiß ich aus einem Radiointerview mit ihr. Macht es scheinbar so wie mit ihrem 22-Kilo-Koffer, aus dem sie ein Jahr gelebt hat: ein neues Ding rein – ein altes dafür raus. Sie tut, was jeder tun könnte, fährt ihren Lebensstil auf genau das Maß herunter, das dem Fußabdruck entspricht. Meike, Buchliebes, Ahoi!

Meike Winnemuth: Das große LOS.
Wie ich bei Günter Jauch eine halbe Million gewann
und einfach losfuhr.

Knaus, März 2013

 
 

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