Reportage
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Anfluch von Lernfreiheit: Fluglärmdemo der Eltern

li: Kundgebung im Walldorfer Wald, 7.5.2000. re: Demo "Familien gegen Fluglärm" in Frankfurt, 27.1.2012

Vollsperrung der Darmstädter Landstraße für eine Stunde! Darauf einen Blecheimertrommelwirbel! Allein dafür hat sich der Einsatz gelohnt. Mitten im Feierabendverkehr durften !nur Busse! die südliche Hauptverkehrsader der Stadt passieren. Ökovision’s coming. Fußgänger, Fahrräder und öffentlicher Verkehr, sonst nix. Dass gerade an diesem Abend nicht die Anflieger der Nordwestlandebahn im Anderthalbminutentakt dröhnten… Laune des Wetters. Vorführeffekt, whatever.

Üblicherweise nämlich liegt das Rhein-Main-Gebiet im Westwind. Dabei wird dann nicht nur die Sachsenhäuser Martin-Buber-Schule – deren Eltern zur Initiative „Familien gegen Fluglärm“ zusammengefunden und zur Demo aufgerufen haben – permanent von Überfliegern beschallt, sondern auch Bergkita, Mühlberg- und Gruneliusschule, die Kitas „Kinder Campus“ und St. Aposteln und etliche mehr. Es gehe darum, ein „weiteres Zeichen gegen den Fluglärm“ zu setzen, rief ein Martin-Buber-Vater vor Beginn des Protestzugs in die Menge. „Unsere Forderungen: Stilllegung der Nordwestlandebahn, Durchsetzung der gesetzlichen Nachtruhe von 22-6 Uhr, weniger Flugbewegungen über unseren Köpfen, Kontrolle und Verminderung der Luftschadstoffe!“ Nach jeder Forderung gabs ein Lärm-, Trommel- und Pfeifkonzert, das einen Dezibelmeter ordentlich zum Ausschlagen gebracht hätte. Außerdem rief der Vater mit der roten Mütze noch irgendwas wie „Setzen vieler solcher Zeichen“, damit endlich mal jemand was merkt.

Und dann los, Polizei vorweg, Kinners, Mamas und Papas, auch von anderen Schulen hinterher, und auch paar Anti-Nordwestbahn-Montagsdemonstranten mittenmang. Erkennbar am Alter (50plus) sowie daran, dass sie die einschlägigen Sprüche schon kannten: „Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Ruhe klaut“ oder „Die Bahn muss weg!“

„Die Bahn muss weg?“ Die zehnjährige Tochter meiner Freundin Nathalie guckt fragend. Kein Wunder, dass das Kind an die Deutsche Bahn denkt. Die nämlich ist es, die bei ihr zuhause mehr oder weniger über den Balkon fährt und für tüchtig Lärm sorgt. Auch geht sie nicht in die Martin-Buber-Schule – Fluglärm? Da müsste sie lange nachdenken, wenn sie von einem der zahlreichen Journalistenkollegen gefragt würde, die hier jetzt herumwieseln und sich der O-Töne wegen auf Eltern und Kinder stürzen. Erzähl mal, warum du hier bist? Antworten? Siehe FNP, FR, Bild, DPA, ZDF, und wahrscheinlich demnächst auch in der taz, wenn ich die Kollegin richtig erkannt habe.

Meine Freundin findet es eigentlich einen Skandal, dass „die alle“ erst jetzt auf die Straße gehen. Zwischendrin lächelt sie ihrem Hausarzt zu, und ihrer Frauenärztin oder den Bekannten von Spielplatz, Kita, Babygruppe und was weiß ich noch alles – sogar ihren alten Englischlehrer erspäht sie im Gedränge. Also, wo war ich? „Wo waren die denn vor zehn Jahren? Als man noch was ändern konnte?“ Und überhaupt. „Wer geht denn für mich auf die Straße? Direkt vor meiner Nase bauen Investoren direkt an der Bahnlinie, lassen Bäume abholzen und baggern, dass bei mir im Schrank die Gläser wackeln. Und keinen juckts.“ Sie ist hier und sie haut auf ihren Eimer, weil man ihr woanders die Ruhe klaut. Aber, und das macht sie zu meiner unerkannten Heldin des Tages, sie ist auch hier, weils ums Prinzip geht, um eine Haltung für Leben und Nachhaltigkeit – gegen kurzsichtige Profit- und Machtgeilheit oder egoistische Meinhausmeingartenmeinekinder-Interessen.

li: Kundgebung auf der Frankfurter Zeil, Febr. 2000. re: Occupydemo in Frankfurt, 16.10.2011

Ja, wo wart ihr Mützenväter? Mal ins Bild-/Text-Archiv geguckt: Tatsächlich war vor zehn Jahren im Rhein-Main-Gebiet eine Menge los. Wegen überwältigenden Nachfragen legten Förster Zusatzschichten ein, und zeigten den Bürgern den Wald. Damals war es übrigens noch „Bannwald“. Das Etikett, dass dem Wald rund um das Fraport-Gelände als einen Art Versprechen verliehen worden war: hier wird nichts mehr abgehackt. Doch die Förster und ich haben dazu gelernt: kein Gesetz, das Koch und Konsorten nicht wegen dem zu sichernden Allgemeinwohl (sprich dem der Aktieninhaber) ändern könnte. Außer denen, die gucken wollten, ob sich der Einsatz für den Wald lohnt, demonstrierten vor zehn Jahren gegen den Bau der Landebahn: 13.000 Leute in Wiesbaden, Tausende bevölkerten den Römerberg, zogen durch die Frankfurter und die Offenbacher Innenstadt, Hunderte trafen sich zum Picknick bei Försters und radelten zum Flughafen oder trommelten auf der Zeil für das frisch gegründete Jugendbündnis gegen Fluglärm. Trommelten? Hey, das ist doch derselbe, der bei der Occupydemo vor der Commerzbank getrommelt hat – ein Musiker mit unerschöpftem Engagement.

Zeichen ohne Ende. Doch damals war auch Krisenstimmung. Und zwar zum ersten Mal in diesem Umfang. Fraport versprach: der Ausbau werde 250.00 Arbeitsplätze generieren. Mahnte: wenn der Ausbau nicht käme – der größte deutsche Flughafen würde ver-ö-den! Unschlagbar. Nachtflugverbot? Könne nicht ernsthaft in Betracht gezogen, fand Willi Bender, der damalige Chef des Flughafens. Dessen Tochter heute übrigens zur Grundschule geht. Aber sicher nicht in Flörsheim oder Sachsenhausen. Würde sein Nachfolger Schulte nie so krass sagen. Der versteht die Sorgen der Bürger. In einem Interview fünfmal und setzt sich für die Kippung des Nachtflugverbots ein.

Später schrumpfte die Zahl der versprochenen Arbeitsplätze auf immer noch ordentliche 40.000, Koch sprach schließlich nur noch vage von „Zehntausenden“. Dass es in diesen Jahren dazwischen nicht zu Rambazamba und Verhinderung der Landebahn gekommen ist, liegt hauptsächlich an der Mediation. Viele glaubten, die werden das schon regeln. Man ging nicht auf die Straße, sondern legte die Geschicke der Region in die Hand von Rechtsanwälten. Tja, wer mag da wohl die besseren Karten gehabt haben?

oben: "Familen gegen Fluglärm", Frankfurt, 27.1.2012. unten: Gegen Flughafenausbau, Offenbach, 19.10.2002.

„Wählt nicht die Grünen! Die haben uns verraten! Verraten und verkauft!“ blafft plötzlich ein Vater mit Megafon vor mir los. Und zwar in Richtung des grauhaarigen Grünenschal- und Fahrradtaschenträgers, der sich gerade von ihm entfernt und einer Gruppe anschließt, die rasch als Grünendelegation zu identifizieren ist. Mutig. Tragen sogar eine Fahne – und werden gemieden wie die Pest. Von weitem aber und gut hörbar beschimpft „He, Sie – sind sie von der Presse? Das da sind Grüne, die sind mit Schuld an dieser Landebahn und jetzt demonstrieren sie hier, machen Sie mal was!“

Was denn? Wen haben denn die meisten Frankfurter in Sachsenhausen gewählt und für was? Drei Prozent der Hessen, so lautete 2002 die Schätzung der Ex-Küchenbrigadistin Käthe Raiss, seien gegen die Landebahn. (Eine Powerfrau, die 1982 zusammen mit anderen Frauen – der Küchenbrigade – die Demonstranten gegen die Startbahn West mit Gulasch und Klößen versorgte. Auf dem Gepäckträger ihres Fahrrads hat sie das Essen in den Wald gefahren, 50 war sie da und hatte gegen die Polizeihunde Pfeffer in der Tasche.) Drei Prozent… Glaube kaum, dass sich das bis heute geändert hat. Stichwort Stuttgart21. Einfach weil die meisten Menschen so gestrickt sind, dass ihnen herzlich egal ist, was sie nicht direkt betrifft. Solidarität? Ein Fremdwort. Kann Fraports Schulte aber nur recht sein. Vor allem, wenn sich die Leute in Nebenschauplätzen verrennen und in Leserbriefen gegenseitig als Bonzen- oder Schmarotzerpack beschuldigen – dem es wie auch immer Recht geschähe.

Jetzt wird ja wieder gewählt. Im März wird Frankfurts neue Oberbürgermeisterin angekreuzt. Oder warum mischt sich heute auch der SPD-Kandidat Peter Feldmann unters Volk, obgleich er schon die erste Forderung „die Bahn muss weg“ gar nicht mitträgt. Die Flughafenausbaugegnerpartei übrigens hat vor Ort gut plakatiert und verteilt Aufkleber. Und nicht zu vergessen: Die neue Grünen-Kandidatin Rosemarie Heilig will die neue Bahn gar ganz still legen. Steiles Vorhaben oder? Political business, stupid!

In Städten sind politische Farben eh Schall und Rauch. Schwarz-grün war der Magistrat, der dem Bau der Landebahn Nordwest nicht widersprochen und damit zugestimmt hat. Das Thema Verlärmung von Kitas und Schulen haben sie dabei auf sich zukommen sehen, zeigt der Blick in mein Archiv: am 17. Januar 2006 markierte die Frankfurter Rundschau folgende „Planungsschwäche“ der Flughafen-Ausbau-Akten: „sechs Schulen und 22 Kitas liegen in einem Gebiet”, das nach dem Bau mit mindestens 60 Dezibel beschallt würde. Nach der damals aktuellen Gesetzeslage müssten zusätzliche Schallschutzmaßnahmen ergriffen werden. Die FR zitiert aus dem damals vorgelegten Magistratsbericht der Stadt Frankfurt: „Als Ausgleich für lärmbelastete Freiflächen wäre gegebenenfalls der Neubau von mechanisch belüfteten Sporthallen sinnvoll“, es könne auch sein, dass “Einrichtungen geschlossen oder verlegt werden müssten“ und auch die Überdachung von Freiflächen wie Pausenhöfen wurde ernsthaft diskutiert. Lärmschutz? Deckel drauf. Kinder sind ja auch viel zu laut, also hat die ganze Gegend was von.

Der HR hat sich übrigens die Mühe gemacht und vor der Demo in der Martin-Buber-Schule gefilmt (allerdings bei Ostwind). Die Sprecherin der Eltern-Initiative Sabine La Rocca sagt da im Interview, dass die Schule keine Schallschutzfenster von Fraport bekommt, weil diese Maßnahme nur für Gebäude bezahlt wird, in denen geschlafen wird. Bitte? Ja, wo ist das Problem? Occupy Martin-Buberschule! Es gibt junge Obdachlose, die sich freuen würden, wenn man ihnen ein Dach übern Kopf, eine Aufgabe und eine Chance gäbe. Noch jemand Ideen? Her damit.

li: Nein zum Ausbau, Ja zum Nachtflugverbot, Mörfelden-Walldorf, Febr. 2002. re: 5000 Papierflieger gegen Fluglärm, Frankfurt, 27.1.2012.

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