Alle Artikel mit dem Schlagwort: Straßenfotografie

Absurde Bindung

  Weg damit? Ich halte inne, stoppe den fast schon automatisierten Entrümplungsablauf – Tasche-aufhalten-Papier-reinstopfen – und halte eine Seite aus der “Zeit” in der Hand. Ich beginne zu lesen. Mitten in meinem Recherche- und Medienmüll lese ich vom Traum des Kenzaburo Oe. Mit seinen Büchern bin ich nie warm geworden, aber dieser Einblick in die Beziehung zu seinem behinderten Sohn Hikari geht mir unter die Haut. Wie auch das Bild, das Mathias Bothor dazu gelungen ist. Ich entfalte das Zeit-Blatt, schaue aufs Datum und stutze: mein Archivfund ist genau zehn Jahre alt! 11. Mai 2006. Das Aufmacherzitat hatte mich angezogen: „Ich lernte mit dem Schweigen meines Sohnes zu leben. Jetzt sendet er mit seiner Musik Botschaften an seinen Vater und die Welt. Ein Glück, von dem ich nie gewagt hätte zu träumen.“ Ich lese mich fest. Der Sohn wurde als Baby operiert, die Diagnose der Ärzte: wegen fehlender Verbindungen zwischen den Gehirnhälftener werde der Junge nie Worte in Zusammenhang bringen können. Oe ist heute 81, sein Sohn 52 – wie es den beiden heute geht? …

Urban Poetry: Uns

  Uns Die Frühe. Die Straße. Nur uns. Der Nachbarin, die zur Schicht eilt, der Schlaflosen, dem Zeitungsmann, vermummten Radlern, Bauarbeitern – uns. Die Bahnen ihr, der dicken Schwimmerin. Die im allmorgendlichen Ritualbad sich treiben lässt. Ihr Glück für eine Viertelstunde la Reine, la Delphine! Nur Sie. Textor zum Tag. Leicht, unbeglotzt, frei. Die Fenster. Im Atem der Fremden. Himmel löst Welt. Löscht Nacht. Im Nebel dunkler denn je. Die Straße der Frühe. Uns      

Urban Landscapes: Fünf

  Fünf Gott was für ein Licht! Leitfeuer. Leuchtspur. Gepunktet. O Glück! Die Kreuzung so still so tief – nebelzart im Eishauch 2 Stunden noch dann wieder Stoß und Stoß Rot und Rot. Warten. Warten. Warten. Minority Report War da was? Gestern? Nacht im Kopf – Coffee to go Voll heiß. Voll kalt – Slow-Mo Warte. Noch ist Zeit. Vereist die Bühne. Traumkalt, leer zerwischt Orangnes Leuchten Urban stills Memes all over Guck. Die im Fenster wie aufgezogen Steht. Kaffee. Schicht Dreht im eignen Rhythmus, wie nie von dieser Welt. Sortiert, ordnet, häuft Brezel und Brötlich ne andre matscht im Nudelsalat schabt, formt, pampt so fort 2 Brücken weiter Schlag auf Schlag. Ein Riese Boden bebt Metall blaut rammt – tief ins Stadtherz – rafft Main-Erde rasselt, rummst, rockt schlägt ab häuft das Gebrock, dampft und schnauft neongelb die Arbeiter kurz angezuckt vom Blau der Retter …vorbei… Mögen ihre Hände ruhig sein  

Dreizehn Stunden, dreizehn Kilometer: Wuppertal

Hier der Link zur Galerie: Wuppertal 2014 (35 pics)   Nein. Nicht Hamburg, Berlin oder Prag, sondern Wuppertal. Da sitzen wir jetzt. In der Schwebebahn, weil ich mir das zum Geburtstag gewünscht hatte. Mal einfach weg sein statt Fete. Nichts müssen, nur sein. Fanden unsere Freunde gut: Super Idee – wohin geht’s denn? Wuppertal. Bitte? Was? Wupp..? Das klang fassungslos. Und das passt ja. Zu dieser Stadt, die irgendwie gar keine ist. Wuppertal hat – und das ist deutschlandweit echt besonders – kein Stadtzentrum, sondern ein Stadtzentralband. Sieht man aus dem All, wie ein Satellitenbild auf Wiki zeigt. Also, nix Kirchturm als Orientierungspunkt, nix niedliche Altstadt, Rathaus, Marktplatz oder so. Voll suburban. Gegründet und dezentral geleitet von Delegierten jener sieben Städte, die im Tal der Wupper über die Jahrhunderte aneinandergewachsen sind. Langweilig? Cool! Fand schon Kaiser Wilhelm Zwo. Mit seiner Frau Auguste Viktoria weihte er 1900 die dreizehn Kilometer Schwebebahn-Strecke ein. Knapp tausend Jahre früher war übrigens schon Karl der Große an diesem Ort strategisch interessiert. Heißes Grenzland damals. Zwischen Franken und Sachsen. Also ließ …

Filets, Marterl, Zeitensprünge

  Wie ist es eigentlich weitergegangen? „Time is a great teacher“, findet der schottische Künstler Andy Goldsworthy (gerade und zum ersten Mal in Deutschland zu sehen in den Opelvillen in Rüsselsheim) und er sagt noch was Schönes: „Wenn ich meine Arbeit beschreiben sollte, würde ich sagen… ich arbeite mit Zeit.“ Wir auch. Mit, gegen, durch? Die Zeit hatte mal ne wunderbare Serie, den Zeitsprung, im früheren Zeit-Magazin. Thema war genau dieses “Wie ist es weitergegangen?” 1993 war ein Zeitsprung von uns. Viele Fotos waren da noch schwarz-weiß. Noch. Damals hat Pat ein 10-Years-after Foto von einem Kreuz gemacht und der Zeit-Redakteur fand es faszinierend, dass hier eine Pendelbewegung sichtbar, und eine weitere, unsichtbare womöglich schon im Anschwung war: 1982 nämlich stand dieses Kreuz vor der Kulisse der Ölraffinerie Caltex nahe Flörsheim, und damit unmittelbarer Nähe eines heiß umworbenen Geländes, dem „Filetstück der hessischen Wirtschaft“. Der Vertrag mit der Ölraffinerie endete nämlich damals, die Böden wurden regeneriert und die Nähe zu A3 und Flughafen machte das Areal hochattraktiv. 1993 sah es dann so aus wie auf …

Meine Arbeit, mein (Frei-)Zeichen – Code of Fairness

We did it again: wieder auf der Straße. Diesmal für mehr Fairness zwischen Redaktionen und Freien Journalisten. Für die Himmel-und-Hölle-Kampagne der Freischreiber. Diesmal zu sechst plus Baby, als Delegation des Berufsverbands Freischreiber bzw. als „befreundeter Freier Fotograf“, der das Ganze fotografiert hat. Wir wollten ja nicht jammern, sondern augenzwinkernd darauf hinweisen, was wir uns unter fairen Arbeitsbedingungen so vorstellen. Darunter ist einiges so banal, dass fest Angestellte kaum glauben können, dass es uns fehlt. Deshalb haben wir Glückskekse verteilt, in denen unser Freienglück in Form weiser Sprüche eingebacken war. Die Glückskeks-Aktion lief vom 12. September bis heute, 16. in Hamburg, Bremen, Berlin, München – und hier, in Frankfurt: Wo gehen wir denn hin? Haben wir Rhein-Main-Freischreiber im Vorfeld überlegt: Frankfurter Rundschau? Die Festen dort hätten gerade sicher auch gern eine Aktion für mehr Fairness im Haus. DPA? Deutscher Fachverlag? Journal Frankfurt, Frankfurter Neue Presse? Wir einigten uns auf FAZ und Hessischer Rundfunk. 15. September, 9:15h Glückskekse! von Freischreiber! „Oh, ja gerne. Von wem?“, fragten vor der FAZ Redakteure, die einen Kindersitz im Auto, ein teures …

Bleib standhaft! Stand your Ground!

Die Strickgraffiti von letztem Donnerstag war binnen eines Tages weggeschnitten. Der Platz wieder finanzklar – von den Verstrickungen von Bulle und Bär zeugen nur noch Erinnerungen und Fotos. Auch das ein Zeichen. Eines der demonstrative Missachtung der (Hand-)Arbeit. Aber jetzt vom Streetknitting zur Straßenfotografie: Das Straßenleben heute ist in Parzellen eingeteilt: Zutritt erlaubt, Zutritt verboten. Und nicht nur in Deutschland ist zunehmend mehr verboten als erlaubt. Die modern Straße ist ein Parcours von Paragrafenhaken und Gesetzesabsätzen. Am besten, man hat immer ein Paket Model Release-Formulare in der Tasche und den Rechtsanwalt dabei – polizeigerecht und securitysicher. Suche nach Sicherheit ist uns Menschen angeboren, ist jedoch schleichend zu einer Sucht nach Sicherheit mutiert. Die kurzatmig gewordene Evolution wird sicher rasch auslesen, ob wir das überleben: Viele, immer mehr Menschen scheinen sich unsicher zu fühlen, sobald sie keine Kontrolle mehr über das sie direkt umgebende Umfeld besitzen, sobald sie Haus oder Auto verlassen. Diese Angst vor Kontrollverlust findet ihren Niederschlag in Rückzug ins private Terrain, Verteidigung dieses Gebiets notfalls mit Klauen und Hundezähnen, Sicherheitsanlagen, Videoanlagen, Warnmelder aus …