Autor: Sylvia

Die Müllsammlerin

  Kreuzig der Irrgang – weißlippig – harnsauer Schultern bewachsen mit Müll Sie schleudert Gummifinger Aus reinen Augen quellen Müllberge – sie sammelt gleichmütig – unbeirrbar – sie füttert milchig lächelnd die Abfallbehälter kennt alle in der Stadt – kreuzt Müll – fängt Ekel die Augen auf unscharf An ihren Händen kleben die Blicke der andern – sie indes greift und packt ungerührt beugt sich, scharrt zusammen sieht nicht die krausen Münder, gezückten Brauen, Rüschenheere sieht sie nicht   Dann ein Schimmern – sie lächelt von der Straße hinter ihrem Hirn, Milchmädchenhirn, runde Stirn Wer gab ihr mein Grün? Dünnlippig die Porzellanaugen betasten den Raum den Raum, blau, zwischen den Brauen und Mündern, direkt durch den Ekel blitzt sie spitzt jagt jedem ihren Müllhaken unter die Haut.      

Aus name zustand: 17.000 friedliche Protester!

  Feuer und Gewalt! Morgens um 7 ist die Welt schon angeraucht. Eine halbe Stunde nachdem der erste Heli übers Haus geknattert ist, laufen die ersten Meldungen über Twitter. Wie? Brennende Autos und Barrikaden? „Shit! Keine Gewalt!“ Bittet @Muschelschloß auf twitter. Ja, Scheiße. Bleibt aber Ausreißer von immerhin 1000 Hool-Köpfen, die für Randale gekommen sind. Da hat Frankfurt schon anderes erlebt, selbst wenn jetzt alle Medien schnappatmen. Und das heftigst, untermalt von den feurigsten Szenen und Fotos von den steinewerfendsten Schwarzer Block-upyern. Vom Machtdemonstrations- oder Self fulfilling Prophecy-Charakter des „Schutzkonzepts“, das unsere Stadt schon seit Montag in eine Festung verwandelt hat – nichts. Vom Ausschluss der Presse bei der Eröffnungsfeier – nichts. Nicht die Demonstranten haben die Innenstadt wegen Brandschatzens und Marodierens lahmgelegt, wie man angesichts der Berichterstattung denken könnte, sondern die großzügige Absperrung der Innenstadt durch die Polizei. Ausreißer hin oder her, der Morgen war krass. Autos haben gebrannt, es gibt diverse Scherben, Emotionen, Feindbilder aufzukehren. Und wieder zeigte sich, dass Streitkultur fehlt, dass Konflikte vor allem eins auslösen: Angst. Traditionell wurde also nach …

Stadtgedicht: Aussicht

Zur Feier des Tages (12.3., an dem der erste Lyriker den Leipziger Buchpreis gewann..): Hach Lyrik. Analoges twitter.   Aussicht Balkons gegenüber Kinder spielend Sonne im Nebel – Reflexe bizarrer Schönheit des Balkons gegenüber Mosaike der Lebenswahl, je tiefer desto besser der Blick über die Brüstung des Balkons gegenüber eindringend in fremdes Leben, fremde Horizonte der Brüstung des Balkons gegenüber solange Gott dieses Detail nicht im Griff hat, sagt W. hab ich nichts mit ihm zu tun Von der Brüstung des Balkons gegenüber springt ein Mädchen.    

5785 Hektar = Heimat durch X

  Was ist Heimat? Zum Beispiel „5785 Hektar Stadtwald“ – so heißt unser Langzeitprojekt. Hier ein Zwischenstand, gefasst zu fünf Triptycha. Jedes ist als Rundblick mit Brüchen konzipiert. Unsere Füße als menschliche Klammer, damit stehen wir stellvertretend für all die regelmäßigen Waldgänger, die sich wie wir in einem Stadtwald heimisch fühlen. Jene, die dem Ort und einander verbunden, sich dort morgens, mittags, abends treffen, sich grüßen und kennen, auch wenn sie kaum mehr als ein Wort wechseln. Unsere fünf Bildtafeln folgen wie Eyetracker dem menschlichen Schweifen durch den Wald – und entdecken eine Welt, die direkt vor unserer Haustür liegt. Eine Welt, die manchem Frankfurter ferner ist als etwa der malaiische Regenwald, in dem er vorgestern noch über eine Hängebrücke lief… Eine Welt, die für den Durchschnittstädter eine nahezu unbekannte Fremdartigkeit birgt. Die Verwandlung etwa eines Rehs in ein exotisches Wesen, oder ganz allgemein die Entfremdung von der Heimat war Auslöser dieses Projekts. Seit 25 Jahren erkunden wir den Frankfurter Stadtwaldgürtel zu Fuß oder mit dem Rad auf verschiedenen Strecken – und sehen in der …

Buchkritik: Kinder machen von Andreas Bernard

Schwanger werden durch Fremdsamen – ist das Ehebruch? Das war die erste Frage, die die Gründern der weltweit ersten Samenbank 1936 in den USA zu klären hatten. Heute reißt die Injektion einer Samenzelle niemanden mehr vom Hocker, denn unter allen machbaren künstlichen Befruchtungsmethoden ist sie mittlerweile die simpelste. Heute dringen Methoden und Fragen weit tiefer in die Körper der Beteiligten – und damit in den Körper der Gesellschaft ein. Mit Samenspender, Eizellspenderin, Leihmutter, Embryologin oder Retortenkind gerät die alte Vater-Mutter-Kind-Familie zum komplexen Konstrukt. Der Journalist und Kulturwissenschaftler Andreas Bernard fragt in seiner als Buch veröffentlichten Habilschrift, ob – und wenn ja, wie – sich dadurch das Bild der Familie verändert. Was bedeutet es, wenn ein Kind bis zu fünf Elternteile haben kann? Die sich noch dazu in biologische und soziale Eltern aufspalten? Und wie veränderet sich die Funktion, die Rolle oder die Identität aller ihrer Angehörigen? Die Recherche rund um die „assistierte Empfängnis“, die zunehmend nicht nur eine künstliche, sondern vor allem eine „optimierte Reproduktion“ darstellt, macht frappierend klar, wie sehr die eigentlichen Protagonisten, Eltern …

Urban Poetry: Uns

  Uns Die Frühe. Die Straße. Nur uns. Der Nachbarin, die zur Schicht eilt, der Schlaflosen, dem Zeitungsmann, vermummten Radlern, Bauarbeitern – uns. Die Bahnen ihr, der dicken Schwimmerin. Die im allmorgendlichen Ritualbad sich treiben lässt. Ihr Glück für eine Viertelstunde la Reine, la Delphine! Nur Sie. Textor zum Tag. Leicht, unbeglotzt, frei. Die Fenster. Im Atem der Fremden. Himmel löst Welt. Löscht Nacht. Im Nebel dunkler denn je. Die Straße der Frühe. Uns