Zelten ist best. Eigentlich. Aber früher war da mehr Glanz. Seit die guten Plätze für Vintage-Zelter wie uns wegschmelzen wie arktisches Packeis, seit immer mehr Wohnmobile unterwegs sind, macht es immer weniger Spaß. Jaha, schon klar, nur immer schön ist Zelten nun auch nicht. Nass werden ist doof, Straßenlärm auch. Zecken oder Windstärke 8 müssen nicht sein… Aber, im Grunde alles erträglich und gehört dazu. Eins aber, und dieser Punkt wird immer krasser, verleidet uns das Zelten: Menschen mit Klatsche und Reisemobil. Aber, der Reihe nach.
Für die schönsten Plätze muss man sich schönst ins Zeug legen. Die liegen nunmal ab vom Schuss, ist ja grad der Reiz. Beispiel Uig oder Bosta Beach auf der schottischen Insel Lewis: Bergauf-bergab-bergauf. Da ist es! Nein, noch ne Schleife und noch ne Kehre und – weiter treten, treten, treten. In vorüberziehenden Wohnmobilen konnten wir nichts als Weicheier in Dosen erkennen. Ja, sorry. Wenn man platt ist, mault man gern bisschen ab. Zum Glück sind die Camper-Spezies meist fein voneinander getrennt. Wohnmobile näher an den Sanitäranlagen und Radler- und Fußgänger-Zelte da, wo man mit einem Auto wirklich nicht mehr fahren kann.
In Schottland hatte die Wohnmobilfraktion neben den unvermeidlichen Klappleitern, -stühlen, -tischen und -Lampen meist ihre Hunde, Kajaks oder Surfbretter dabei. Mancher schläft halt nicht gern im Zelt. Könnt ja wilde Tiere geben draußen. Geht klar, Leute, da komm ich mit. Wer freut sich schon außer uns über Igel oder Jungfrösche im Vorzelt. Bei Zecken und Mücken oder gar Kühen hörts bei uns ja auch auf. Wo andere ein Netz um die Familie oder den ganzen Wohnwagen wrappen, zücken wir Antibrumm, Pinzette, Zeckenkarte und wrappen wir uns in Gleichmut.
Ging lang gut, aber jetzt ist wohl Ende der Zeltstange. Irgendwas ist gekippt, wie in einem gestressten Biotop, und zwar quer durch Deutschland. Auf den Plätzen, wo wir letztes und dieses Jahr übernachtet haben – von Frankfurt aus nach Gotha, Tauberbischofsheim oder München – gab es den klaren Trend zur Übergröße. Ein Reisebus ist nix gegen so ein Megareiseding. Ob in Hünfeld oder Jena – allein das Einparken erfordert Stunden. Kaum steht das Teil, wird ausgepackt und der Vorplatz hergerichtet: Sitzgruppe, Geschirr, Tischwäsche, Fußmassage, Lampiongirlande, Hunde, Spiele, Grill. Noch was zuhause geblieben? Hier noch ne Klappe öffnen, da was betätigen. Der Camperchef lässt die Kabelmuskeln spielen, badet sein Ego im Staunen der Umwelt, sein Bier im Eis! Alle alles gesehn? Dann abhängen vorm Bus.
Dieses Jahr hat Corona noch mal einen draufgesetzt. Hat die Leute völlig kirre gemacht – oder waren sie‘s vorher schon, nur woanders im Urlaub? Wer weiß. Die Platzbetreiber dürften jedenfalls zufrieden sein. Ordentlich Stellplatzbelegungen, die mehr Geld bringen, als so poplige Zelte. Duschen und kacken tun sie in ihrem Bus. Die Chemietoilette hat Rollen, so kann der Camper seine Scheiße bequem zur Entsorgung fahren. Da heißt es Augen zu und schnell vorbeizischen, wenn er‘s auskippt.
Ist der Bus nicht ganz so groß, haben manche sogar Fahrräder dabei. Gerne die E-Variante. Der echte deutsche Camper aber haut den Lukas, und fährt in seiner Freizeit Scooter, Roller, Smart oder Quad. My Mobile‘s my Castle. Letztes Jahr boomte das schon, dieses Jahr haben die Reisekisten noch mal zugelegt. Die Sache läuft so prima, dass es einen Hersteller gar an die Börse treibt. Vielerorts sparte man dann Personal und Platz und lockte Camper mit suppergünstigen Preisen auf Parkplätze mit Stromanschluss. Immer öfter musste Pat unsere Tourenplanung neu aufsetzen, um Plätze zu finden, wo auch wir übernachten konnten.
Die in ihren Kisten wissen wahrscheinlich gar nicht, was sie verpassen. Einfach alles eigentlich. Den Glanz, das Salz des Campens: Zelt auf und Nase im Himmel, Abendessen bei Sonnenuntergang… Ach – Draußensein! Das gibs noch auf Plätzen wie „Drei Gleichen“ in Thüringen. Jena und Hünfeld waren auch nicht schlecht. Traumhaft war Donauwörth: Wasserrauschen, Froschgequarre, Zippen von Reißverschlüssen und leises Schnarcheln des Zeltnachbarn waren das Lauteste dort. Unterm Zelt und den Barfüßen ein vorbildlich gepflegtes Grasbett. Nächtigen darf hier übrigens nur, wer zu Fuß-, mit dem Boot oder Rad kommt. Spätabends lockt der Bierautomat, frühmorgens der Nebelblick auf die Donau. Sowas findet Pat im Internethaufen durch nächtelange Recherche. Auch den ersten Platz für dieses Jahr hat er so gefunden. Eigentlich war er skeptisch: keine Website, keine Infos… Aber: alles gut. Zum Glück hatte sich der Chef vom nächsten Platz in Schusterwörth nicht gemeldet. Rammelvoll wars da, als wir vorbeifuhren, und drumherum die reinste Müllhalde.
Vorletztes Jahr haben wir getestet, ob wir noch zeltkompatibel sind, unser letzter Zelturlaub lag da schon ein paar Jahre zurück. Der erste sowieso: Sommerferien ‘99 mit Kind an der Ostsee. Glücksburg war unsere erste Etappe. Ich erinnere das Getrippel kleiner Vögelfüße auf unserem Zeltdach und höre noch ihr Geflatter. Damals lernten wir Camperland kennen mit all seinen Sitten und Gebräuchen. Da staunte ich noch über faltbare Spülschüsseln, Solarduschen sowas. Sowohl Pat als auch ich hatten zwar vorher schon gezeltet, aber … anders. Ich mit Freundin ohne Zelt in Frankreich – Pat als Einmannzelter in Schottland…
Mit Kind unter Leuten – war jedenfalls unschlagbar. Immer andere Kinder da, mit denen sich was losmachen lässt. Schön auch das Bikergarn, das man gemeinsam spann. Leute, die von ihren Reisen, etwa durch Tschechien erzählten und wie es war als der Schaltzug riss, kein Ersatz dabei und weit und breit nichts und niemand… Heute können wir selber die dollsten Sachen erzählen. Über die Pubies, die von Sylt nichts anderes sahen als die Nacht. Die uns gackernd ünd über Zeltleinen stolpernd den Schlaf raubten. Wie wir in Schwedeneck an der Ostsee zwei kaputte Schläuche auf einmal hatten, beim neuesten Rad – und weit und breit kein Fahrradladen. Vom Absaufen des Zelts auf dem Donauradweg in Melk, ich sehe noch die Tasche mit Pats belichteten Filmen (!) die vor unserem Schlafzelt vorbeitrieb… Weiter gehts Jahre später. 2018 ohne Kind, dafür mit Trailer, in Schottland: Möwe klaut Hühnereier vom Zeltnachbarn… Abgefahren coole Nummer! Das war in Laxdale auf Lewis, einer der schottischen Äußeren Hebriden-Inseln. Nette Leute an der Rezeption, Aufladen von Handy- und Kamera-Akkus umsonst, gepflegte Zeltwiese, Kochhäuschen, Sanitär – bester Platz!
Dieses Jahr wollten wir eigentlich die andere Seite der Insel erkunden. Mindestens aber bis South Uist kommen. Doch Corona hat Großbritannien im Sommer zur No-Come-/No-Go-Area gemacht. Sehr schade. Okay, haben wir uns gedacht, dann eben Raboldshausen. Rabowas? Rabowo? Kennt ihr nicht? Joa, ist ja auch klein das Kaff. Auf ner 1:50.000er Karte muss man‘s gar nicht erst suchen. Liegt in der Nähe von Schwäbisch Hall, Bad Mergentheim oder Crailsheim. Farout also, im Hohenlohischen. Warum dahin? Haben dort einen Landsitz jetzt. Können da arbeiten, Ruhe haben, Spatzen und Stieglitze gucken. Nachdenken. Damit da wirklich was rumkommt, brauchen wir dafür etwas Anlauf. Nach unserer Erfahrung denkt es sich besser, wenn auch die Seele ihren Weg in Ruhe finden und erkunden kann. Und wie ginge das besser, als mit dem Rad?!
Mit diesem Plan haben wir uns dann trotz aller Aversion gegen den massenhaften Ferien-Run der Deutschen auf Deutschland aufgemacht. Für zehn Tage, dem maximalen Zeitraum, den wir unserem alten Kater und den Katzensittern zumuten konnten. Und da ist es passiert: Sie haben uns das Zelten verleidet. Nette Bulli-Lover und Wohnwagenzieher mal eben weggucken: Zur Hölle mit allen Wohnmobildeppen!
Der Auftakt und erste Platz „NaturFreunde Bootshaus am Altrhein“ war noch erste Sahne. Die Freude des örtlichen Fußballfanclubs, sich erstmalig nach dem Corona-Shutdown wiederzusehen, verhinderte zwar die Nachtruhe. Aber, Leute, geschenkt. Dafür gabs Mauereidechsen zum Gucken, ein Morgenbad im und das Frühstück direkt am Rhein. Das ist Zelten. Glückstrahlend gings weiter. Wegwarte himmelte die Seitenstreifen, Störche segelten über uns. Federn säumten meinen Weg. Ein Federtagebuch harrt noch der Umsetzung. Abends aber die krasse Ernüchterung: „Camping Weißensee“. Ein Geizplatz. Zum Abgewöhnen. Jeder Millimeter vermietet, nicht mal eine Bank oder freier Platz, wo man frühstücken könnte. Der See ab 19 abends bis acht Uhr morgens verrammelt – und ein Mannemer Nachbar mit Verbaldurchfall. Gott, was haben wir und unsere niederländischen Nachbarradler ihn gehasst.
Danach versöhnte uns Heidelberg-Schlierbach wieder ein wenig. Wohnmobile abgepuffert von richtigen Zeltern und Radlern um uns herum. Immer nett, wenn es was zu gucken gibt. Was haben, machen die anderen so? Kann man sich was abgucken? Vom wettergegerbten Alt-68iger vor uns, blieb mir die Hängematte hängen. Auch ein Niederländer. Die schreckt ja nichts und niemand. Packte als erstes seine ultraleichte Matte aus, posierte davor und ließ Landsleute ein Handyfoto machen. Am abgefahrensten aber der Däne zur Rechten mit seiner Reisegitarre. Pat steht noch heute der Mund offen, er durfte sie ausprobieren.
An Pats Geburtstag dann erreichten wir „Waldcamping Bienau“. Schön gelegen zwischen Waldrand und Fluss. Sicherheitshalber hatte ich vorgebucht. Im Internet lockte: Mit Imbiss. Als wir abends durchgeschwitzt und hungrig ankamen, zeigte sich der Imbiss wegen Corona geschlossen. Der Platz runtergekommen. Die Sanitäranlagen never ever renoviert. Und die Zelter in zweiter Reihe ohne Neckarblick. Bei der verpeilten Platzchefin gabs nicht mal Einkaufsmöglichkeiten an der Rezeption. „Ooch“, meinte sie: „Bis zum nächsten Ort mit Pizzeria und allem sinds doch nur drei Kilometer.“ Es waren sechs und alles hatte geschlossen. Irgendwie haben wir – kurz vorm Verhungern – im übernächsten Ort doch noch was gefunden. Am nächsten Morgen um Acht waren wir back on the road.
Nach Plan lag vor uns die vorletzte und mit 80 km längste Etappe unserer Tour. ich wagte an diesem Tag nicht wie sonst dauernd anzuhalten, um nach Fuchsschiss, Käferlein oder Vogelflug zu gucken. Bloß nicht schlapp machen, dachte ich immer. Bloß nicht. Bei einer Eiskaffeepause meinte Pat: „Wir liegen so gut in der Zeit – wir könnten theoretisch durchfahren.“ Hm. Dann müssten wir nicht wieder nur für eine Nacht das Zelt auf und wieder abbauen und noch einen Campingplatz ertragen. Du wirst am Straßenrand liegen und heulen, dich selber verfluchen… War mir klar, und doch klang es verlockend. Ich sehnte mich danach, zu bleiben und Ruhe zu haben. Also: Ja. Wir fuhren durch.
Der erste gemeine Berg zog sich endlos. Eine ungeschriebenen Regel bei uns lautet: „Jeder fährt sein Tempo und wer vorne ist wartet dann irgendwo“. Diesmal war ich vorne. Und wartete. Wartete, wartete. Kein Pat. Als er dann kam, sah er nicht sehr frisch aus. Vielleicht weil er wusste, das Schlimmste kommt noch: Ein als Fernradweg ausgewiesener Steilhang. 44 %. Er war schon oben, als ich dachte, ich pack das nicht. Frische? Urgh! Wie wir die letzten 20 der 114 Kilometer ausgehalten haben – keine Ahnung. Gegen halb elf waren wir in Rabo.
Ein Bett! Bleiben! Im Garten sitzen. Ahh, tat das gut. Die geplante dreitätige Zelt-Rückreise? Gestrichen. Sind erstmal durch mit Zelten. Obwohl… Wir hoffen auf das Abebben von Corona. Und auf Schweden by bike und im Zelt. Vielleicht. Ist nächstes Jahr Zelten dort wieder best?!