Fotografie, Reportage
Schreibe einen Kommentar

Bosta Love

Schottland – Reiselogbuch #4


 
Endlich! Zeit für die Fortsetzung unseres Reiselogbuchs. Gerade erst wieder eine Email vom schottischen Tourismusbüro bekommen: Visit Scotland! Jetzt buchen! Nichts lieber als das. Sobald unsere familiäre Daueraufgabe das zulässt, werden wir uns auf den Weg machen. Die Erinnerung zieht jedenfalls gewaltig – vor allem die von unserer 4. Station, auf der Halbinsel Bernera.
Auf Great Bernera, um genau zu sein. Da solls Fischotter geben habe ich via Internet recherchiert. Eine „wachsende Population“ gar, da will ich hin. Und hoffe darauf bis zum Schluss, auch wenn alle Befragten sagen, dass ich allerhöchstens den Hauch einer Chance habe.

Aber erstmal müssen wir hinkommen. Bosta Beach ist unser Ziel und es ist schon eine Herausforderung für Non-E-Biker wie uns, 50 plus, plus Hänger. PFFFF. Als wir ankommen ist die Luft raus. Muskel- und Hirn-Akkus leer. Aber, Zeltaufbauen – muss ja. Pat checkt den Boden, dann machen wir erstmal Pause am Ort unserer Wahl.

Schön eben, Sanitärhäuschen in der Nähe und Parkplatz im Blick. Super. Bis ein Hundemenschenauto dem nächsten folgt. Hier schlaf ich nicht, mache ich meinem Scout klar. Weiter oben gabs auch ein feines Plätzchen. Da will ich hin. Mein Scout ist null amüsiert. Gehts noch? Gepäck und Hänger 20 Meter den Berg hoch? Ich fühle mich wie Kinski, der ein Schiff übern Berg ziehen lässt…. Scheidung liegt in der Luft.



 
Am Ende thronen wir oben – kaputter als je, aber mit dem panoramageilsten Zeltblick ever: Felsen, die einen kleinen Friedhof einfassen und dahinter das Meer. Wir zelten zwar wild über dem Friedhof und seinem Klohäuschen, aber mitten auf der Fläche eines alten Steinhauses. Die Grundmauern sind um uns. Eine längst vergessene Familie muss den Ausblick ebenso grandios, den Platz so beruhigend gefunden haben wie wir.

Dann kommt Bewegung ins Bild. Vier beeindruckend große Highland-Kühe mit ihren pubertären Jungs. Im Rindsgalopp rumpeln sie genau dorthin, wo nach Plan A jetzt unser Zelt stünde. Die Rinderbande galoppiert über den Parkplatz, nimmt die kleine Anhöhe über der Toilette mit Schwung. Und stoppt an der Zisterne (mit Regenwasser und hochgepumptem Bachwasser – für die Klo-Spülung). Als der Durst gestillt ist, sie sehen sie zufrieden aus. Legen sie sich nieder – und bleiben über Nacht.

 
Der nächste Tag ist sonnensatt. Das Wasser ist atemberaubend türkis. Karibik ahoi! Allein, die Wassertemperatur passt nicht. Weshalb es hier auch keine Hotelburgen gibt. Zart läutet die Gezeitenglocke. Eine von einem Dutzend aus Marcus Vergettes Time and Tide Bell Project.

Jede seiner Tide-Bells hat eine eigene, von der Anliegergemeinde entworfene, Inschrift auf Gälisch und Englisch. Die Bosta Glocke trägt diese hier:

Gun mhuthadh gun truas
A’ sluaisreadh gainneim h na tràgh’d
An àtaireachd bhuan
Cluinn fuaim na h-àtairreachd àrd.
Mo leabaidh dean suas
Ri fuaim na h-àtaireachd àrd.

Without change, without pity
Breaking on the sand of the beach
The ceaseless surge
Listen to the high surge of the sea
Make my resting place be
By the sound of the surge of the sea

Während wir die Glocke anschauen, zeigen sich kurz ein paar Seehunde. Sie jagen im kleinen Tangwäldchen der Bucht. Wir dagegen haben keine Eile, kein Ziel. Ruhe umfängt uns.


 
Ein friedlicher, glücklicher Ort. Attraktiv wohl schon vor Jahrhunderten. Unten noch vor dem Friedhof ist das grasbewachsene Dach des historischen Eisenzeithauses zu sehen. Vorgestern wuselte dort ein schwarzgekleideter Mensch herum. Heute weiß ich, dass es Elizabeth Macleod war, die Hüterin des Iron Age-Houses. Beim ersten Schnupperblick in dieses Mini-Heimatmuseum am Strand hält sie gerade ihren Vortrag vor einigen Besuchern. Ich verstehe wenig. Will aber mehr wissen. Als Pat die Klippen umrundet bleibe ich hier, passe einen günstigen Moment ab – und habe schließlich Guide Elizabeth für mich allein.

Für mich macht sie extra langsam und erzählt: Nach der Sturmflut von 1993 sah einer der Einheimischen die Grundrisse dieses Hauses – und meldete den Archäologen der Uni Edinburgh seinen Fund. Die kamen, waren begeistert und legten in 26 Wochen insgesamt 5 Eisenzeithäuser frei. Eines rekonstruierten sie – die anderen wurden komplett wieder eingegraben um sie auf diese Weise gut zu konservieren.


 
Aufgrund der Funde rekonstruierten sie, wie möglicherweise das Haus aussah und genutzt wurde. Von außen ähnelt es einem der für Schottland früher typischen Black Houses. Das Baumaterial ist gleich. Was halt vor Ort vorhanden war. Der Grundriss der Black Houses jedoch ist oval – der vom Iron Age House dagegen ähnelt einer liegenden Acht.

„In der Mitte brannte ein Torffeuer“, führt Elizabeth aus und erläutert, die Besonderheit: Holzfeuer beiße in den Augen, Torffeuer nicht. Außerdem eigne sich Torffeuer zum Trocknen oder Räuchern von Lebensmitteln. Elizabeth leuchtet den hinteren Raum aus: den Kopf der Acht. Die Wissenschaftler gingen davon aus, es sei der Arbeitsraum der Frauen gewesen, sagt mein Guide und schüttelt den Kopf: „Warum sollten die Frauen zum Arbeiten den kältesten und dunkelsten Raum genutzt haben?“

Sie zeigt auf die regalartigen Fächer in den Steinen und offenbart ihre These: „Ich glaube das war die Vorratskammer.“ Hier gelagerte Lebensmittel waren am kühlsten Platz des Hauses. Macht Sinn. Feiner Vortrag extra für mich, Elizabeth. Danke!

Täglich mehrmals stapfen wir durchs Gras zu unsrem Zeltolymp. Auf den Trampelpfaden der Schafe und am Schild vorbei, das mahnt, jedem Tier, ob groß oder klein, den Vortritt zu lassen. Es weder zu stören noch zu ärgern – und sich mit den Rindern vorzusehen, sie seien prinzipiell friedlich, aber auch prinzipiell unberechenbar. Auch ohne dieses Schild hätten wir Respekt gehabt. Zum Glück waren wir ja auf Abstand gegangen.

Dachten wir. Bis sie gucken kamen, wer sich da auf ihrem Lieblingsausguck breit macht. Pat, allein zuhaus, saß über den Karten, dachte dies und das, und hatte plötzlich formatfüllend die Hörner von Mamakuh Nummer eins im Blick. Den Kopf vorsichtig abwendend sah er dann dem halbstarken Kuhsohn in die Augen.


 
Der Überlebensinstinkt ließ ihn so unhektisch wie möglich die Kamera packen und sich rückwärts, langsam und stetig entfernen. Mama eins und zwei lutschten daraufhin das Zelt ab, während die halbstarken Hornträger auf unserer Decke herum herumtrampelten und das Zelt von innen beguckten… Seitdem ist Pat völlig ausgebufft und abgetafft. Keine Angst mehr, vor nichts und niemand.

Darauf dann erstmal einen Wein zur Beruhigung. Den hatte ich statt Otterspuren von meinem Solo-Spurensucher-Ausflug mitgebracht. Danach verzieht Pat sich in unsere Küche. Wo er uns jeden Tag, ob Sonne, Wind oder Regen ein schottisch-marokkanisch-deutschen Eintopf brutschelt. Köstlich.


 
Führung gefällig? Hinter der Küche links, vor den Kaninchenlatrinen ist unser Schnell-Pissoir. Seitlich, hinter einem Mauerrest parkt der Hänger. Und ganz vorn, Blick aufs Meer, filtern wir das Wasser, Dropje voor dropje…

Der nächste Ausflug dann ist eine Wandertour. Nochmal ein Stück langsamer also. Die Landschaft ist Zen pur. Rau und, karg reinigt sie unsere Sinneskanäle. Der Wanderweg führt zum Weiler Tobson. Gleich zu Anfang passieren wir eine der schottland-typischen, dicken Steinmauern. Wir sehen in der Ferne viele weitere Mauerschlangen, die sich über Felsen und durch robusten Heidebewuchs winden.

Die „Dry Walls“ genannten, niedrigen Mauern sind faszinierend. Sie werden „ganz einfach“ ohne Mörtel gebaut. Eine alte Kunst (noch so ein Projekt für später – ein Waller-Workshop :). Die „Waller“ klopfen die Steine passgerecht und setzen sie so klug, dass sie sich gegenseitig Halt geben. Gut 200 Jahrhunderte stehen manche dieser Dry Walls schon.



 
Knotige Landadern das. Allerdings von Zerfall durch Verwitterung bedroht. Für ihren Erhalt sammeln engagierte Menschen Spenden, auch im Community Café von Bosta kann man spenden. Noch prägen diese Mauern die Landschaft, ebenso wie die Schafe, die darin eingepfercht sind, die mit Moos und Flechten bewachsenen Steine – oder die der nackte Fels, von Gletschern und Zeit rund und flach geschliffen.

Weich sehen die Steine aus, wie Polster fast – tatsächlich aber sind sie granithart, mit messerscharfen und spitzen Quarzitanteilen. Hin und wieder liegt ein Felsbrocken herum, wie ein Riesenkiesel, der einem Gletscher beim Weiterziehen aus der Hand fiel. schleifen die Denkwirbel. Weiten Horizont und Geist. Leiten Energie ins Hirn. Nur durch ihr Da-sein.


 
In Tobson rasten wir, durch freundliches Zunicken ermuntert, am Bootshaus einer Familie. Auf dem Rückweg ein Kaninchen, das panisch vor mir flüchtet – wie schön, denke ich, du bist wohl gesund. Hier auf der Insel grassiert die Kaninchenpest und es ist gruselig die todgeweihten Tiere zu sehen. Auf den ersten Blick wirken sie zutraulich, tatsächlich sind sie blind und todkrank.
Der Pfad ist wie eine Viehtrift. Die mit Torf und Gras bedeckten Felsen ringsherum sind mit netzartigen Mustern überzogen. Trampelpfade der Schafe.

Die Weite ist überwältigend. Ausblicke aufs Meer. Landzungen, Lochs und Ponds. Auf dem Rückweg beglückt mich die erste fleischfressende Moorpflanze, die ich mit eigenen Augen sehe: ein Sonnentau. Danach fahren wir Kaffee trinken und Kuchen schmausen bei Helen im Community Café.



 
Am nächsten Tag liegt Jagd-Aufregung in der Luft. Mit großem Tumult werden die Schafe zusammengetrieben. Überall Schreien und Rufen. Männer, die wie vorzeitliche Hirten an ihren Stöcken erkennbar sind treiben die Schafe zusammen. Ihre Hunde stürmen felsauf felsab, die Schafe on the run. Am Wegrand überall Pferche, wo sie zusammengetrieben werden, zum Scheren oder Verkauf.

Bildersatt kehren wir auch vom letzten Ausflug zurück. Womit wir nicht gerechnet hatten: Richtig dunkel wird es hier gar nicht. Aber nicht deswegen bleibe ich schlaflos auf unserem Olymp. Wind umböt uns, rüttelt das Zelt, lässt den Stoff flappen und flattern. Klar, der Preis der schönen Aussichtshöhe und des feinen Blicks: Wie schon am Uig Beach stehen wir voll im Wetter.
Anders als die Eisenzeit-Häuser, die sich in die Bucht schmiegen und sogar durch einen geschickt gewundenen Treppeneingang den Wind draußen hielten, kriegen wir hier oben alles ab.


 
Regen und Wind, Wind und Regen. Wir bleiben im Zelt. Unser Haus. Sobald die Beine einschlafen wechseln wir zwischen Schlaf- und Wohnraum, Lesezimmer, Küche, Ankleide, Vorratskammer – nur Klo und Bad erfordern komplizierte Anziehmanöver, dafür muss man übern Hof…

Seltsam diese Drinnenzeit draußen. Einfach nichts. Nichts tun. Wir beobachten die Wellen und Täler die der Wind über den Stoff treibt. Die Tropfennasen, die das grüne, mit feinen Karos durchzogene und zum Glück superwasserfeste Hightec-Gewebe entlang schliddern. Wir harren aus. Kriechen immer abwechselnd in unserem gelben Schlafzelt-Kokon. Draußen alles still bis auf den Wind. Der dafür tost und bollert. Striegelt alles durch, schmirgelt jeden Stein mit seiner Sandzunge und legt nicht nur Grashalme flach.

Das Zelt hüpft, und schlägt mit den Flügeln, als wolle es abheben. Wir Glücklichen in unserer gelben Höhle. Kuschelig und körperwarm. Das Positive am Sturm – die ganzen Plagegeister, die komplette schottische Midges-Mückenschaft: fortgeblasen. Und auch wenn der Wind unser Zelt fast wegpustet und wir auch nach einem Tag Wartezeit kein besseres Wetter bekommen, also bei Regen packen müssen: Bosta Love – bester Platz!


 
 
 

Schreibe einen Kommentar