Ausstellungen, Fotografie, Gesellschaft
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Wir waren in Berlin! – #AufstandfürFrieden



Nach dem Doppelwumms-Aufruf von Alice und Sahra fackelten wir nicht lange. Zwei Leute ein Gedanke: „Wir fahren nach Berlin!“ Und buchten Bahn und Bett für Frieden. Frieden ohne Waffen, sondern mit Verhandlung. Ja, wie denn sonst? Nach einem Jahr des immer weiter Eskalierens und Aufrüstens, des täglichen Sterbens von tausend Menschen auf beiden Seiten dieses unsäglichen Krieges. Nach den TV-Debatten, in denen immer jene dominieren (und als Eingeladene in der Mehrzahl sind), die sich für mehr Waffen aussprechen. Natürlich, sagen sie, wie denn sonst? Kann die Ukraine Russland besiegen. Dass das ein massiver Eingriff ist, der weil steuergeldfinanziert Verantwortung und Mitspracherecht impliziert – das hört man nur von wenigen. Die sowas sagen, werden als naiv abgetan. Von den meisten deutschen Journalisten, deutschen Politikern und von Ukrainern, die in Medien wie der Süddeutschen, dem Spiegel oder den ARD-Sendungen zitiert werden. Immer heißt es, die Ukraine müsse siegen, und das gehe nur mit mehr Waffen.


Naiv. Erich Vad, Brigadegeneral a.D., sagte bei der Kundgebung in Berlin: „Es ist naiv zu glauben, man könne nur über Waffenlieferungen zum Frieden kommen.“ Dass die Antwort auf Blutvergießen noch mehr Blutvergießen sein soll, nur das scheint Konsens. Sahra Wagenknecht donnerte am Samstag bei ihrer Rede: „Wie kann man nur so kriegsbesoffen sein?“ Panzer und Waffen und Waffen und Panzer. Die Titelseiten sind voll damit. Alice Schwarzer legt genau da den Finger drauf, wenn sie sagt, dass die aktuellen Chefredakteure Panzer nur aus Computerspielen (ver)kennen. Wer noch den Krieg in der Familie nachrasseln spürt, hat da vielleicht eine andere Einstellung. Wer noch zur Generation derer gehört, deren Väter als 16-Jährige bei der Flak waren und Grauenhaftes mindestens gesehen haben. Oder mit Müttern, die als Kind von ihren Vätern mit Gürtel oder dem Skistock verprügelt wurden. Wem solches noch nachgeht, weiß: Gewalt bringt Gewalt.


Die Forderungen von Wolodymyr Selenskyj, endlich mehr Waffen, Kampfjets, Brandbomben zu liefern, finden deshalb bisschen mehr als 51 Prozent Westdeutsche und 71 Prozent der Ostdeutschen falsch. Alle irre? Alle rechts? Zu begreifen, dass Waffen ein gutes Geschäft sind, muss man weder irre noch Militärexperte sein. Das System Kapitalismus ein wenig zu kennen, reicht. Was aber wird mit diesem Geschäft gerettet – Menschenleben in der Ukraine?

Nach einem Jahr sieht es doch eher so aus: Zigtausend Verstümmelte oder Getötete auf den Schlachtfeldern. Millionen Vertriebene und Geflohene, Traumata für Generationen. Deshalb trieb wohl mehr als 600.000 Manifestunterzeichnende derselbe Gedanke: #AufstandfürFrieden. Und nicht wenige trieb es sogar nach Berlin.

Uns etwa. Und wenn wir schon über 600 km weit quer durchs Land reisen, um der Debattenkultur Auftrieb zu geben, sind wir auch auf der Bilderspur. Berlin! Hauptstadt der Fotografie! Die photonews spuckt zwei Must-Have-Ausstellungen aus: Nan Goldin und Willam Egglestone. Pats Plan sieht nach der Ankunft am HBF den Start bei Goldin vor. Es ist halb Elf, die Lobby der Akademie der Künste einladend. Zwei Cappuccino und zweimal Eintritt bitte. Der Mann an der Kasse bedauert: „Wir machen erst um 14 Uhr auf.“ Und Egglestone? Frage ich ihn? Er weiß sofort, was ich will, guckt auf dem Handy und sagt „das C/O hat auf.“ Dazu blinkert er, es sei auch die bessere Ausstellung.


Und hat recht. Großartig. Die ersten Schwarz-weißen sprechen mich nicht so an. Seine ersten Farbfotos dann baden geradezu in Farbe: ROT, BLAU, GRÜN. Im sehenswerten Dokumentarfilm, der Egglestones Leben nachzeichnet sagt der Über-Achtzigjährige, Rot sei eine ganz besondere Farbe. Er habe sie gern eingesetzt. Aber sie sei nicht leicht zu nehmen. Unbewusst aber unmittelbar greifen wir seinen Stil auf, seine Art Bilder zu komponieren. Er fotografierte zielgenauen Blicks übrigens, aber recht schnell, wenn man dem Mann im Film glauben darf. Dem Mann aus wohlhabendem Haus, der es sich leisten konnte, auf Bild-Konventionen zu pfeifen. Der Menschen fotografiert hat und dabei auch das Besondere in jenem Augenblick des Alltags. „Photography”, wird er auf der Ausstellungswand zitiert, „just get‘s us out of the house.“ Bill, die Rampensau. Unerschrocken wie Sahra&Alice. Es hätte ihm vielleicht gefallen, wie das junge Studenten-Pärchen, das mir immer im Weg rumstand, gar nicht auf seine Bilder schaute, sondern sich gegenseitig anhimmelte. Wäre ein Bild gewesen.



Die Ausstellung von Goldins Bildern dagegen ist nicht geglückt. Trotzdem der Beleuchter großartige Arbeit geleistet hat. Trotzdem die Bilder stark präsentiert sind. Vielleicht zu stark. Die Ballade der sexuellen Abhängigkeit, sie war nicht wahrzunehmen. Pat hat sie vor zig Jahren so gesehen, wie sie damals gedacht war. 600 Bilder Zack-zack aus dem Projektor. Mit Musik. Es scheint so als habe Political Correctness der Serie den Garaus gemacht. Ein Besucher meinte, er habe mal eine Zeitschrift gesehen, die „Goldin als einen der ‚Erotic Eyes‘ würdigte. Also, ich habe das nicht gekauft!“


Das war am Tag eins unseres Berliner Ausflugs. Draußen Schneeregen. Wir mischten uns unter reichlich Studenten und Berlinalepublikum im C/O Berlin, dann unter reichlich Berlinalepublikum und Studenten in der Akademie der Künste (die in ihrem Fenster am Brandenburger Tor, unweit der Kundgebung im Fenster aufruft „Stop the war!“) – dann wurde ein Geweih für mich in der Lobby abgegeben (aber das, danke Pia, ist ne andere Geschichte) – und legten am Tag zwei noch ne Schippe Menschen und Erleben drauf. Froren uns den Arsch ab unter zigtausend Mitfriedensaufständischen am Brandenburger Tor. Bei zwei Grad im Schneetreiben mit Sahra Wagenknecht, Alice Schwarzer, Corinna Kirchhoff, Hans-Peter Waldrich und Erich Vad und mindestens 30.000 bunt zusammengewürfelten Leuten. Und was sie redeten und diskutierten und Spaß an den Pointen hatten – Baerbock ist ja ne sichere Bank bei euch, sagte Schwarzer (grinsend, wie ich vermute, ich sah sie ja nicht) und sofort gehts rundum los: „Baerbock weg! Baerbock weg! … Wegwegweg, sagt der Mann neben mir leise, während er telefonierend versucht, die 50.000 Teilnehmenden zu verifizieren. Als dann Schluss ist mit Reden vorne, dreh ich mich um – und sehe: Leuchtende Augen. Niemand fällt sich in die Arme oder so. Aber sie leuchten. Dermaßen. Und macher fragt sich – wer könnte jetzt hier rechts sein? Das treibt jedenfalls meine Stehnachbarin um. Ich nicht!

That‘s what #AufstandfürdenFrieden looked like. Familie Pam bekochte uns des Abends köstlichst in Wilmersdorf, Warhol wachte über uns bei Nacht. Danke Berlin! Fühlen uns geerdet und erfrischt.

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