Documenta? Antisemitismus! Bang. Diskussionen an. Gut so. Mehr kann man als Ausstellungskuratorin wohl kaum erhoffen, als dass alle Welt sich aufregt und je nach Gusto hocheloquent oder pöbelig aufeinanderlosdrischt. Lasst ruhig raus, was da schwelt und stinkt. Bild ab. Schormann ab. Alle zufrieden? Das Bild hätte ich ja nun wirklich gern gesehen. Hinfahren oder nicht?
Hin. Irgendwas mit Kollektiv. Grupa und Indonesien – zu mehr haben mich die SZ-Artikel nicht gebracht. Brock hat kein Bild von Qualität gesehn, andere nur das Empörende, mit den nicht zitierbaren Nazi-Symbolen. Worum ging es bei dem Bild nochmal? Achja, Gewalt. Gestern reichte es schon, ein Foto des verhüllten Bilds unerklärt als „Antisemisitismus“-Illustration zu verwenden. Genauer, als Bebilderung zum Verriss der „linksradikalen“ Haltung von Eva Menasse. OMG. Wir Beschützten.
Level h
Endlich da: Kassel Hauptbahnhof. Lassen die vier Lehrerinnen („Das Schlimmste ist die Verantwortung“) und den Rest des Schulschwarms schonmal vorauslaufen. Wir wolln gleich hier am Bahnhof starten. Portemonnaie in die Hand: Viermal bitte. Die Eingangslady schüttelt erfahren den Kopf. Hier keine Tickets. Nicht nur wir fragen. Nur wir aber ziehn nicht weiter. Online kaufen geht, sagt sie. OK. Wozu ist mein Handy geladen? Hirn gewährt sogar Zugriff auf alle nötigen Passwörter. Kann documenta-Gucken jetzt bitte losgehn?
Kann. Bahnhof ist doch immer ein guter Anfang fürs Gelassenwerdenlernen. Hier noch alles wie gewohnt. Was raussuchen und reinlassen. Beispiel: „Min bala taptim“ – Tatarisch für „Gebären“. Oder, wörtlich übersetzt, ein Kind finden. Wie schön! Als Sprachaddict gleich in Bann. Das Projekt ist ein Versuch, das Tatarische vorm Aussterben zu bewahren, neu zu lehren und lernen.
Dann ein Schildkrötenschädel! Aus Bronze. Reißt nur mich vom Hocker: Wie, eine knöcherne Teilung im Hirnkasten? Der Künstler hat recherchiert, steht auf dem behindertengerecht aufgehängten Zettel. Cool. Aber, was hat er denn herausgefunden? Steht da nicht. Also mitnehmen die Frage für später.
Viel Input, nicht nur an diesem Ort. Und Entspannungsinseln wie Bänke, Liegesäcke, Kissen immer nah. Die kreisrunden Teppichrollbretter leider nur fürs Auge. Pflanzenmotive, Soundtrack könnte „The Secret Life of Plants sein, Stevie. Wonder!“ Ach, losbrausen. Kreise. Kugeln, Scheiben… Leute, das ist die Zukunft. Denkt an Mycelien, an Galaxien, an optimale Ausbreitungen. Beruhigende Formen. Basidemokratische Foren, Kollektive. Rund wie diese Reppichrollies.
Level f
Next Level Ruruhaus, Menschen im Stuhlrund. Work in Progress, Cartoons in einem Schaukasten. Schattenkinder. Angst? Suche. Identität? Gepresste Blumen. Bücher. Back in the sun. Zum Urhaus. Fridericianum. Wo, als Pat das Licht der Welt erblickte, auch documenta gefunden ward. Viermal QR-Checkin: Piep. Gehts auch heller? Wisch. Piep. Wisch. Piep. Piep. Rein ins lumbung. ins kollektive Ökosystem. Wir verstehen nichtmal Bahnhof. Die Jüngeren sind drin. Besetzen sofort aufs normalste alles, worauf man fläzen oder interagieren kann. Oder hacken staunend auf der.. Schreibmaschine. Geht die? Ich suche einen Zettel, darf man hier doch, oder? Da, ein kreisrunder Aufkleber mit miniklein gedrucktem Satz drauf. „If you read this, your child will die from cancer.“ Ich dreh den Aufkleber um und schreib: no!
Zurechtsuchen. Finden. Finden! Aboriginee-Unmut. Gemalt von Richard Bell mit großer Klarheit: Give us Land, not Hand-Outs. Oder Wandbehänge, oder die Dokumentation eines Projekts: Gehandicapte Kinder und Farbe! Spritzen, Manschen und den in blaue Farbe getauchten Kopf aufs Papier drücken. Sinngabe, Fokus, Erleben. Diese nach innen gekehrten Blicke. Die Farbe, man kann sie riechen. Die entstandenen Bilder daneben im Regal: Bitte nicht berühren.
Die Kraft der Archive. Der Kollektive. Sie wissen, wie man sich ausbreitet, sie müssten nur noch mehr Mut finden. Anderer Raum. Teppiche und Kissen. Filme aus West-Syrien. Rojawa. Gesang. Eine Frau im farbenfrohen Kleid. Strahlend vor der rauen Kargheit ihrer Landschaft. Eine Pracht. Sie singt von Schönheit, vom weißen Pferd, darauf die Braut. Wir singen unsere Lieder, sagt sie dann. Wir singen, solange wir können. Wenn wir sterben, sterben unsere Lieder mit uns.
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Diesen Gesang nehme ich mit. Und die blank gewetzten Messer auf Ketten. Die Schwebenden, eingehüllt in vergangene Bänder. Gewalt, die Fischen und Menschen das Maul stopft. Eine Lunge aus Erdbeeren. Gewalt, die die Welt teilt, die wir Beschützten nicht zu spüren bekommen. Aber vielleicht den bunten, den kollektiven Gegenzug: „We are the paradigm shift in art education simultaneously dismantling systemic barriers.” Muss da nochmal hin.