Mein angepisstes Gegenüber liest mir aus der SZ am Wochenende (Buch Zwei vor zwei Wochen) vor: „Die ersten Apparate für den Hausgebrauch… mussten mit kurzen aber sehr teuren Filmen bespannt werden, die man anschließend zum Drogisten trug.“ Was? Achso, es geht um analoge Fotografie. „Bespannt.“ Putzig. Der Mann hat also noch nie einen Film eingelegt.
Mir kommt der eine oder andere selbst gemachte Fehler in den Sinn, daher nehme ich den Schreiber Hannes Vollmuth in Schutz – und ernte erst vernichtendes Augenrollen, dann die Aufhänger für den Artikel gesteckt: Magnum (die Agentur!) hat Geburtstag und Josef Koudelka (der Magnum-Fotograf!) hatte eine Ausstellung. Okay. Das schreit eigentlich nach einem, der Ahnung hat. Mein Mann, sonst kein Freund der Vorleserei, zwickt sich noch einen Satz raus: „Dann erstand (Koudelka) eine zweiäugige Spiegelreflexkamera, Sucher oben, von dort schaute man in den Apparat.“
Normalerweise hätte Pat spätestens jetzt den Artikel weggelegt, aber wenn es in unserer Abo-Zeitung schon mal um Fotografie geht… Und zwar über drei Seiten, vollgepackt mit Magnumfotos. Und auch wenn sie irgendwie konzeptlos zusammengeschustert wirken: Was für Bilder! Als Aufmacher-Hingucker wurde ein Foto von Martin Parr ausgewählt, so irre, dass man es kaum fassen kann: Menschen, die allesamt dieselbe Pose einnehmen. Sie geben vor, den Turm von Pisa, der hinter ihnen steht, zu stützen. Großartig. Also habe auch ich den Artikel gelesen.
Und fast etwas über Josef Koudelka erfahren. Oder Lucina – was macht die eigentlich genau, was für einen Beruf hat sie, außer Tochter? Kurz zieht der Text an, wird dynamisch, persönlich… Gleich erfahre ich was Besonderes, denke ich, und dann kommt es nicht.
Dafür ein bisschen Fotogeschichte in pseudocoolem aber getragenen Magazin-Ton. So schreiben aktuell ja viele (in Film-Dokus wird sogar so gesprochen von möglichst tiefstimmigen Männern). Gruselig, womöglich gruppendynamisch induziert, auf jeden Fall nicht unser Geschmack. Auffällig langweilig wird dieser Handbremsenton immer da, wo der Autor innerlich weit weg vom Thema ist. Dass man etwa Filme in Schwarz-weiß oder Chamois hat entwickeln lassen können, und das auch noch mit oder ohne Büttenrand. Wow. Das ist schon mehr als knapp daneben.
Aber geschenkt, nähme sich der Artikel der Fotografie so an, wie es die Agentur Magnum seit 70 Jahren tut. Ein Blick auf deren Homepage und man ist gepackt. Ein Klick und man hat die die Wahl zwischen Theorie und Praxis, zwischen Herzblutprojekten und jüngsten Veröffentlichungen.
Natürlich kommt die Geschichte der Geburtstagsagentur im Artikel vor, aber irgendwie doch eher als Reminiszenz an eine listige Vertreterin einer ausgestorbenen Art. Und die Fotografie selbst als Gemischtwarenladen. Geradezu impertinent aber ist Hannes Vollmuths zeitgenossenkritische Aussage: „Wir kommunizieren in Bildern, als sei es eine Art Sprache.“
Da schmerzt der Dorn im Fotografen-Fleisch. Einer der schon lange steckt und nicht erst von Vollmuth reingerammt wurde. Die vokabelreiche Sprache der Bilder ist vielen so unverständlich wie vertraut. Und mit ihr, von ihr, durch sie leben Foto-Agenturen, lebt nicht zuletzt Magnum. Davon, dass Bilder Inhalte transportieren, dass sie berühren, dass sie, wenn die Autorenfotografen den richtigen Blick haben, den richtigen Nerv treffen, sogar Geschichte machen können… Davon kann natürlich nur erzählen, wer diese Sprache zumindest gebrochen beherrscht.
Wie viele Millionen Fotos auf Instagram hochgeladen oder geteilt werden, ist in diesem Zusammenhang völlig irrelevant. Zumal, wenn der, der darüber schreibt, den Kanal mit einem Selfie-Portal verwechselt. Auf der Magnum Website erzählen zwei Magnum-Fotografen, warum sie gerne Instagram nutzen und geben Tipps dazu.
Die Fotografie sei im freien Fall, schreibt der SZ-Autor, Magnum habe neue Wege suchen und gehen müssen – und junge Fotografen gefunden, darunter Bieke Depoorter, die Fotografie neu denke. Kurz: Moderne Zeiten = Ramsch-Fotografie mit Selfiesticks.
Schade, aber auch nicht wirklich überraschend, dass damit im Medium Zeitung eine Legende fortgeschrieben wird, die A von den (Print-)Medien selbst mit hervorgerufen wurde – und B nicht stimmt. Die Fotografie sei am Ende, liest und hört man ja oft. Dabei ist die Fotografie – fern von derart unkenden Medien – so lebendig wie je. In einem Interview vor gut zwei Jahren sagte der ehemalige Präsident von Magnum Thomas Höpker zu dem (in Vollmuths Artikel ebenfalls zitierten Fotografie-Experten) Hans-Michael Kötzle: Fotografie sei immer wichtiger geworden und keineswegs verdrängt. „Aber die Medien haben sich verändert. Sie sind heute nicht mehr die Auftraggeber.“ Oder jedenfalls nur noch in geringem Maß.
Glücklicherweise gebe es nun einen neuen Markt und neue Geldgeber fern dieser Medien. Und die Formen und Möglichkeiten der Fotografie würden immer breiter. „Magnum hat sich verändert, jetzt kommen die Künstler.“ Künstler wie Bieke Depoorter. Sie hat beeindruckende Projekte gemacht und auch die Fotos, von denen eines gezeigt wird, gehört zu einem aufwändigen Projekt – aber komplett neu gedacht ist das gezeigte Bild nicht. Das aber kann nur wissen, wer nicht andächtig einen Satz schreibt wie „Sie sieht manchmal 1000 Bilder am Tag.“ Wir sehen manchmal das Doppelte. Gute Bildredakteure das Drei- bis Sechsfache.
Der Autor ist übrigens ein Ausgezeichneter, den prämierten Artikel über einen der letzten Freifunker habe ich gelesen – super. Aber für dieses Thema sollte es saure Gurken prasseln, wegen unpassender Wortbilder, einigen echt zu blödsinnig falschen Stellen. Aber vor allem ist es auch ein frei-von-Lektorat-Text. Sonst hätte man den Hingucker-Anfang mit der Pointe des Autors verknüpfen und ändern müssen, damit da nicht vom Kuba-Projekt, sondern von jenem in Europa gesprochen wird, oder wo liegt Pisa nochmal? Damit blitzt am Schluss das Desinteresse der Redaktion am Thema Fotografie auf. Sehr schade.