Schon der Einband dieses Fotobuchs fasziniert: Zarte Figuren mit durchscheinenden Flügeln. Ein Schwarm Flughunde oder Fledermäuse. Kleine Ikarusse gedruckt auf grauem Leinen. Drinnen unzählige Geschichten in buntestem schwarz-weiß. Strahlende Bilder, die mal atemlos wirken, mal hechelnd geballte Lebenskraft versprühn – eingefangen vom Magnum-Fotografen Trent Parke. Ein Lichtfänger dieser Mann. Mitten unter den Menschen, Aug in Aug oder durch sie hindurch. Seine Bilder strahlen surreale Direktheit. Es geht um Liebe, Geburt, Schmerz, Tod. Was sonst wäre wichtig. Was sonst würde taugen in den Minuten bis Mitternacht. Minutes to midnight, die uns bleiben bis zum Tag X der globalen Katastrophe. Oder auch nur der persönlichen. Man erfährt nicht mehr, als das, was man in der Lage ist, selbst zu sehen. Wir haben dieses Buch zusammen mit einem der ungewöhnlichsten Ausstellungskataloge geschenkt bekommen, die wir je hatten. Kein teurer Tiefdruck, sondern billiges Faltwerk aus „Massenpapierhaltung“ für zweisechzig. Gemeinschaftswerk der Süddeutschen und Gerhard Steidl zur Ausstellung von Robert Frank in München. Mit keineswegs billigen Texten. Sie begleiten uns jetzt seit sechs Wochen. Unter anderen der von Walker Evans (über The Americans): „For the thousandth time, it must be said that pictures speak for themselves, wordlessly, visually – or they fail.” Wie das auch auf dieses Buch passt. Vielleicht, weil es auch vom Steidl-Team gemacht wurde. Ohne Seitenzahlen ohne erklärenden Text, lediglich eingangs ein kurzes Zitat (aus einer Meldung der australischen Zeitung „The Sunday Mail“), in der es um ein unerklärliches Lichtphänomen geht.
Das Buch könnte auch The Australians heißen. Ich sehe eine fotografische Leuchtspur. Eine ultimative Aufforderung das Leben zu lieben. Gerade in den letzten Minuten vor dem Tag X. Drei Minuten haben wir noch bis zwölf, sagt die Doomsday-Experten-Uhr. Ist das der Titel? Die Atmosphäre im Buch jedenfalls wie in dem Film Melancholia, allerdings in magischem Schwarz-Weiß. Darunter eine Doppelseite Nacht. Tiefschwarz. Sonst nichts. Trent Parke klinkt sich ein in Parallel-Zeiten, Parallel-Leben. Menschen. Einzeln. In Gruppen. Beim orgiastischen Feiern, beim Knutschen, beim Schlafen, im Schlamm oder nachdenklicher Zwieschau mit dem Fotografen. Tiere. Einzeln,in Schwärmen, tot. Landschaften wüst oder geheimnisvoll. Und alle streift, durch alle strömen diese Photonenschleier. Aufgeschrieben hab ich das eigentlich nur wegen Martin Gommel von kwerfeldein, der am Ende seines 5 Fotobücher des Monats-Posts auffordert, wem noch was fehlt, möge es gerne sagen. Okay. Ich sage: Trent Parke (den wir nur kennen, weil es in Berlin diesen wunderbaren Fotobuchladen 25books gibt und unseren Sohn).
Trent Parke: Minutes to Midnight
Steidl Verlag Göttingen, 2014 (2. Auflage) 96 Seiten, 38 Euro.