37 Grad zeigt die Temperaturanzeige meines Tachos und die Badeseen, die wir passieren, sind rappelvoll. Nur wir (Dumme oder Helden?) lassen Walldorfer Badesee, Schnepfensee, Bornbruchsee links liegen, denn unser Ziel ist heißer: Fahrrad-Corso rund um den Flughafen Egelsbach. Die passenden Strick-Graffitis in der linken Fahrradtasche, den Proviant in der rechten, haben wir schon einige Kilometer hinter uns, als wir den Treffpunkt unter den Pappeln erreichen. Immer mehr Menschen aus Egelsbach, Erzhausen, Langen, Rödermark und auch zwei, drei aus Frankfurt treffen ein. Bis schließlich rund 150 Pedaleure startklar sind. Leider zieht es nicht mehr Leute von weiter weg an – keine Offenbacher, Mörfelder, Hofheimer… Die BIs sind zwar kreativer als die Flughafenbetreiber – aber die wiederum sind um Längen besser vernetzt.
„Zieht möglichst was Orangenes an“, schrieb im Vorfeld der veranstaltende Verein Flug-Lärm-Abwehr-Gemeinschaft-Egelsbach „flag-e“ – und die meisten haben sich dran gehalten. Warum auch nicht, es ist schließlich die Farbe der Lebenslust. Das verschossene T-Shirt vom vorletzten Indian Summer ist daher ebenso vertreten wie die nagelneuen FLAG-E-Hemden oder ein leuchtend oranges Radlertrikot. Manchem ist das wohl zu baghwanesk, der/die trägt dann halt braun oder nur ein kleines Bändchen, Ohrringe, eine Kunstblüte am Hut – in passender Farbe immerhin. Regelrechte Leuchtpunkte aber setzen die vielen Luftballons, die an den Rädern flattern. Ein wackerer Radler hat sich sogar je rechts und links einen an die Brille gehängt.
Klingelnd durchqueren wir Egelsbach und braten dann am Ortsausgang, denn die Erzhäuser Politiker haben die Route nicht genehmigt – und der Polizist hat nicht die neue Version… Irgendwann haben Polizist und Corsoleiter ausdiskutiert und endlich darf die kunterbunte Truppe losfahren. Die Kleinsten können mal so eben Radfahren und unter den Ältesten – ich schätze meinen Nachbarradler weit über siebzig – gibt’s geradezu profimäßig Durchtrainierte. Helm ab! Vorweg fährt als Corsoleiter mit wehender Fahne Norbert Frerichmann. Er gehört zu den 12 Vereinsgründer_innen. Weißbärtig, seit einem Jahr Opa, wirbelt er voran, immer wieder hört man ihn „Ordner!!“ rufen. Jede einmündende Straße nämlich wird durch seine Ordner gesichert – und die Autofahrer gucken genervt.
Für mich ein neues Erlebnis: im Pulk fahren. Dafür, dass wir alle das nicht gewohnt sind, funktioniert das Fahrradschwarmverhalten perfekt. In Erzhausen passieren wir einen brandneuen Kreisverkehr, den umfahr ich linksrum: herrlich. Wie Tour der France. Aus den Feldwegen zwischen Egelsbach und Erzhausen – und zwischen Erzhausen und dem Egelsbacher Flughafen machen wir ein munteres, orangenes Band.
37, 38, 39… noch ein paar Meter und die Temperaturanzeige meines Tachos klettert weiter auf 40! Heissa: Bei 40,4 Grad gegen Fluglärm und Flughafenausbau… Als wir am Zielpunkt Naturfreundehaus eintreffen, fühle ich mich heldinnenhafter denn je. Jetzt aber das Njet-Jets Strick-Graffiti ausgepackt – und gleich vom Lokalpresse-Fotografen eingefangen: Stellen Sie sich da mal hin! Forsch dirigiert er sich eine Modelgruppe zusammen, zu zweit halten wir das Graffiti Njet-Jets ins Bild. Es soll bisschen schnell gehn, denn gleich muss der arme Mann noch zum Fußball. Ein Hingucker, stellen wir mit Freude fest: „Darf ich Sie was fragen – ist das wirklich gestrickt?“ Aber ja. „Na! Hab ich doch gesagt. Die anderen haben es mir nicht geglaubt.“
Ein Hingucker ist aber auch die ganze Flag-E-Aktion. Die Vereinsleute machen wohl alles richtig, vor vier Jahren gegründet haben sie konstant rund 400 Mitglieder, und das bei knapp 10.000 Einwohnern – muss ihnen erst mal jemand nachmachen. Eine gelungene Aktion, habe ich gerade gelernt, lebt von den vier Bausteinen „gute Geschichte“, „pfiffige Inszenierung“, „Mitmachen“ und „Verbündete“ – die werden hier alle bravourös abgearbeitet. Und auch die Verköstigung ist gut und bestens organisiert. Derzeit sind wir beim Mitmachen, Teil zwei – von Ermattung keine Spur. Die Kinder üben sich in Papierfliegerweitwurf, tummeln sich auf dem Spielplatz oder entschwinden auf den Barfußpfad, der sich am Rand des Geländes entlang windet. Die Erwachsenen beschriften Postkarten mit – natürlich – orangener Rückseite. Damit soll augenzwinkernd, aber durchaus ernst gemeint der „Hessischen Flugplatz GmbH“ HFG die „orangene Karte“ gezeigt werden (für Nicht-Autofahrer: „orange“ heißt: fast rote Ampel). Und die Leute reden natürlich über… Fluglärm, Flughöhen, falsche Versprechen…
Und übers Radeln als der Demoform der Zukunft: „Wenn ich Fahrrad-Corso höre, springt mir das Herz auf. Das ist eine tolle Möglichkeit, viele Leute zu aktivieren und seine Stimme zu erheben“, schwärmt einer, der sich als eingefleischter ADFC-Mensch entpuppt: Werner Buthe. Er lobt das flag-e-Team: „So viele Ordner – Superorganisation!“ Buthe, der heute aus Frankfurt angeradelt ist, kann es beurteilen, denn der Vorständler des ADFC Hessen organisiert die bike-night und war auch gerade in Berlin an einem Corso mit 150.000 Leuten beteiligt, die dort per Pedal für mehr Radspuren demonstrierten.
Beim Thema Flughafen kann Buthe – wie ich – es bis heute nicht fassen, dass aus dem ehemals striktesten Waldschutz-Siegel „Bannwald“ eine verhandelbare Nullnummer geworden ist… Aber das habe ich ja alles schon mal hier aufgeschrieben. Dennoch ist es gerade wieder prekär. In Langen, zehn Fahrradminuten von hier, soll (Bann-)Wald einer Kiesgrube weichen, wird an einem Tisch geschimpft. Na Und?! Wir sind ja schon vor dem Corso von Frankfurt bis zum Egelsbacher Treffpunkt durch die Bruthitze gefahren. Da spürt man den Unterschied zwischen Feld/Stadt und Wald: 10 Grad. Im Jahrtausend des Klimawandels werden wir gerade hier im dicht besiedelten Rhein-Main-Gebiet noch jeden einzelnen Baum zur Abkühlung brauchen. Welches Problem auch immer, „Fahrrad Corso!“ sei die Antwort, findet Buthe. Bei den ganzen Charity Läufen müsse man ja mindestens Spaß am Laufen haben, „aber Radfahren – kann jeder.“ Und in der Tat: macht mehr Spaß und mehr her als eine „normale“ Demo – nur Menschenkette ist schöner.
Schließlich bittet mich noch die Vorsitzende der Naturfreunde Egelsbach-Langen, Brigitte Putz-Weller, zum Njet-Jets-Foto und erzählt, wie sie die Verlärmung erlebt „Vor 25 Jahren haben wir hier mit den Kindern Krimi-Nächte gemacht, man konnte jede einzelne Vogelstimme hören – das geht heute nicht mehr. Da ist ein ständiges Summen und Rauschen.“ Wie das Verhältnis zum Flugplatz gegenüber ist? „Die wollen sich mit uns vertragen. Kürzlich hat die HFG vorgeschlagen, wir könnten einen Fahrradweg rund um den Flugplatz anlegen. Dann könnten die Leute auch die Flieger schön starten und landen sehen.“ Sie sieht wenig erbaut aus. Hat aber was. Wie wäre dieser Deal: FLAG-E und Naturfreunde bauen den Rundradweg und im Gegenzug bleibt die HFG (!unverbrüchlich versprochen!) hinterm Zaun, baut also nicht weiter aus. Na, wie wäre das?
Wünschen weiterhin viel Erfolg bei der Bekämpfung des Fluglärmes und des weiteren Ausbaues des Flugplatzes Egelsbach. Habe als Jugendlicher des Ausbau vom Segelflieger-Flughafen zum heutigen Objekt teilweise miterlebt.
Mit solidarischen Grüssen von einem ehehm. Langener Naturfreund- jetzt schwedischer Naturfreund Manfred Scholze
Gefällt mir gut, was Du geschrieben hast. Genau so war es. Ich fühle noch den warmen Dampf der aus den Feldern aufstieg. Trotz der Hitze ein gelungener Sonntag, viel Initiative, nette Leute, gemeinsame Ziele und viel Solidarität. Selbst gemeinsam aufräumen war kein Thema und am Schluss beim gemütlichen Bier dann die Feststellung, dass sich der Aufwand wieder einmal gelohnt hat und dass es beruhigend ist, Gleichgesinnte zu haben!
Es grüßen die Naturfreunde aus Egelsbach-Erzhausen