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Meichser&Dennerlein – das letzte Konzert

Unser Buchladen ist in Rente. Jedenfalls die beiden Buchhändler, die uns so viele Welten bestellt und empfohlen, so viel Lesestoff zum Träumen, Finden und Verlieren vergeben haben. Die beiden waren 40 Jahre ein Team. Super gemacht!

Immer die Ruhe selbst. Erst auf der einen Straßenseite, dann auf der andern. Der alte Laden im Altbau – das war der Klassiker. Wie aus einem Film. Man ging rein und war weg. Die Welt, sie blieb draußen. Dunkel wars da, dunkles Holz, hohe Regale. Damals war’n wir noch jung. 30 Jahre her. Als ich dort zum ersten Mal kaufte hatte der zweite Buchhändler im Bunde gerade Auszeit. Ich verbrachte Stunden dort, guckte hier, las dort zwei Seiten an, bekam was empfohlen, was mir nicht gefiel oder sehr. Und ging womöglich ohne. OMG, diese Kundin?! Was er sich wohl gedacht hat, der Herr Meichsner? Nie hat er groß was rausgelassen, immer nur leise gelächelt. Ich kam auf jeden Fall wieder. Und alle Bücher die es zu Geburtstagen, Weihnachten und Urlauben gab: Nix Amazon. Haben wir da geholt.

Das haben offenbar auch viele andere so gehalten. Dennerlein kam nach seiner Auszeit wieder, dann machte der Kollege mal ne Pause. Dann nach der Übersiedlung auf die andere Straßenseite wurde es kleiner, aber luftiger und heller. „100 Prozent mehr Umsatz auf einen Schlag“, haben sie damals erzählt. Einfach weil sie jetzt zwischen Supermarkt, Drogerie und Apotheke Laufkundschaft hatten. Das Einmaleins der Aufmerksamkeit. Außer Büchern waren immer Bilder im Schaufenster. Schaufensterausstellungen von Fotografen aus dem Leserkreis. Auch von uns – den Abschluss hat Chet Baker begleitet. Ein SW von Pat, letztes Konzert.

So: Jetzt für jedes Jahr, das sie den Kiez bereichert haben ein Buch aus unsrem Schrank. Könnte man alle nochmal lesen. Ratet mal – was ist von wem?

Im Unterland – Serotonin — Karte und Gebiet — Karte der Wildnis — Die Tür
Tiere ordnen — Der Heimatinstinkt — Von Bach zum Bakterium und zurück — Die Stille — Alte Wege
Die Frau im Blauen Mantel — Nicht hier, nicht dort — Das Buch der Illusionen — Tipps für die Wildnis — Das blindgeweinte Jahrhundert
Spiel mir ein Lied — Einfache Gewitter — Die Straße — Kapital und Ideologie — Weltschatten — Traumsammlerin
Was habe ich gelacht — Lebhafte Materie – Der Pilz am Ende der Welt — Der Feind im Schatten
Die Wurzeln der Welt — Wasser und Zeit — Ich selbst, auch ich tanze — Bis zum Ende der Zeit — Rituale
Du stirbst nicht — Die Selbstgerechten — Der Weiße Berg — Ein so junger Hund — Jazz
Schurken — Vom Schlafen und Verschwinden – Traumsammlerin — Singe ich, tanzen die Berge — Der Passagier

Danke Klaus und Hanns, Meichsner und Dennerlein, und mögen die Neuen die Flamme weiter tragen.

PS: Die beiden Fotos mit den Buchhändlern (von Marvin Fuchs) und das Arno Schmidt-Zitat sind aus ihrem Danke-für-40-Jahre-Postkartensatz, den wir zum Abschied bekommen haben.

Gegen die Entzauberung

Weihnachten. Weihnachten begann bei uns immer mit der Krippe im Wald. Jedes Jahr schon die Vorfreude, wenn in der Nähe der Hütte am Kesselbruchweiher die Baumstämme sich zu bewegen schienen. Wenn Zunderschwämme, Farne und Hölzer zusammenrückten.
Dann: Zum Ersten Advent, spätestens Nikolaus, wandelten sich die ersten Stämme in Ochs und Esel, mit Futterkrippe davor. Mit jedem weiteren Adventssonntag kam etwas hinzu: Engel, Maria und Josef, der Heiligen-Zunderschwamm fürs Kind ins Stroh.

Ein Ritual: Wir drehten unsere Weihnachtsrunde. Zu Fuß mit meiner Mutter, wir mit dem Fahrrad. Hängten wie andere Wald- und Krippenbesucher Dankeskärtchen auf. Die Krippe wurde umgeworfen, das Jesuskind geraubt, doch der italienische Krippenbauer Gaetano hat immer wieder losgelegt. Viele, viele, viele Jahre.

Bis letzes Jahr er als Krippenbauer in Rente ging. Sich verabschiedete. Aber dann: Eine Familie übernahm – wie schön! – und baute eine Waldkrippe.
Aber dieses Jahr nichts. Kein Zusammenrücken, keine Vorfreude, kein Weihnachtskrippenwunder. Vorbei. Die Zeit, sie ist entzaubert. Ist sie? Fragt unser Sohn, Muss nicht jeder selbst seinen Zauber einbringen?
Ich schau neu auf die Feuerstelle. Eine Einladung. Zum Zusammenkommen, sich verbinden, Dank sagen.

Russland und die Ukraine

Am Schluss Ihres Vortrags fordert Gabriele Krone-Schmalz dazu auf, kontrovers aber respektvoll zu streiten.
In seiner Unaufgeregtheit und Argumentationskraft immer noch sehenswert für alle, die sich wünschen, dass ein sofortiger Waffenstillstand ausgehandelt wird und endlich das Sterben von täglich rund 1000 ukrainischen und russischen Menschen endet.

Respekt für die Reutlinger VHS, diesen Vortrag ermöglicht zu haben. Trotzdem sie vorher aufgefordert wurde, Krone-Schmalz wieder auszuladen, und danach von einem “Sturm medialen Interesses” überrollt wurde.

Am 14.12. spricht Gabriele Krone-Schmalz im RNZ-Forum im Heidelberger Theater mit dem Chefredakteur der Rhein-Neckar-Zeitung Klaus Welzel

Mastjahr

Überlebensfluss

Des Anglers Zelt ein Schild: Bleibt weg.
Hinterm Weg beginnts Jäger- und Wildschweinland
Wo im Frühjahr erst Wasser stand, dann Eis
Jetzt Wurzeln, Pilzduft, Erde und Bein
schieb mich durchs Laub, halte ein
ewig rauscht das Autoband
Zu Füßen starren Zähne
mich an.

Wasser ging. Ließ zurück den Ballast
Anthropozäne Mitschwemmsel
Auswurf, unrottbar
Der Fluss im Mittelbett, am Rand eine
tanzende Kugel

Schaum des Autags: Defrown!
Sieh: die Biberrutschen, angenagte Buchen,
und wie das Mastjahr nährt
Eicheln zuhauf
Sogar Pilze werfen Arme aus
tasten Licht und Laub und
träumen von Netzen
so rot.