Bücher
Schreibe einen Kommentar

Gelesen: Das ermordete Herz

Ein Frankfurt Krimi! Die zentrale Figur ist ein Ex-Kommissar, der nicht freiwillig in Rente ist, sondern wegen eines speziellen Zwischenfalls. Seine Frau ist krank, er befürchtet das Schlimmste, oder hofft er drauf? Wochenlang hat er sie versorgt und gepflegt – beide sind am Ende. Aufgrund der vorher über Monate hinweg durchlittenen Behandlung weigerte sie sich ins Krankenhaus zu gehen. Schließlich geht sie doch. An diesem Punkt werden die Fäden ausgeworfen, die Ulrich Mannsfeldt gelungen vertüdelt und wieder entwirrt. „Eine Ermittlung im Jahr 2040“ lautet der Untertitel, auf der Innenklappe gibts eine Zeitchronik zur Orientierung. Kleiner Auszug: 2028 – Impfstoffresistente Corona-Virusvariante. Bürgerkriegsähnliche Unruhen … 2029 – Populistische Regimes in Europa, Zerfall der EU …2032 Katastrophale Dürren und Hungersnöte in Afrika, Errichtung von Gettos… 2036 KI-Fahndungscomputer. DNA-Transplantationen … 2037 Erste Große Hitze …

Ein weites und attraktives Spielfeld für einen Krimi, das Setting wirft reichlich Fragen auf. Letztlich geht es um Ethik und – was sonst – Liebe und Tod. Der Autor beschreibt eine emotional wie physikalisch aufgeheizte Zukunft, in der die Sonne nicht länger eine ersehnte Lichtquelle ist, sondern als „Bunsenbrenner“ beschrieben wird. Trampelpfade an den Häusern zeigen die Schattenlinien an. Als Oase hält der Spessart her – sofort möchte man da hin. Sofort!

Doch langsam. Zunächst wird man mit der neuen Technik vertraut gemacht – dem komplett digitalen Personalausweisgerät etwa, ohne den man nirgendwo hingehen kann. Einen täglichen Virustest nimmt der ebenfalls. Dient der Sicherheit. Weigert man sich mitzumachen, wird man abgeholt und ins Krankenhaus verfrachtet. Dieser Taschen-Big Brother ist bedrückend gut vorstellbar beschrieben – ebenso wie andere völlig alltägliche Dinge im Buchjahr 2040. Etwa das vollautomatisierte Fahren oder die Überwachung auf Schritt und Tritt. Die KI “Eugen” leitet die Fahndungen, denn schneller als dieser Computer kann sonst niemand Daten vergleichen und DNAs checken. Zwischendurch erinnert Eugen ein wenig an HAL, den bösen Bordcomputer aus dem Odyssee 2001-Film. Trotz all dieser Super-Technik braucht es jetzt offenbar einen unerschrockenen und selbstständig denkenden Old-School-Menschen. Murtiker, alias „M“, den Ex-Kommissar. Er wird „reaktiviert“, denn die KI erscheint einem Teil des Führungspersonal nicht mehr vertrauenswürdig. Es gibt eine mysteriöse Mordserie, die nicht aufgeklärt werden kann.

Aufgeklärt werden will. Geschäftemachen war und ist für fast alle Menschen fast immer eine Option – warum sollte das in Zukunft anders sein. Kaum ist der Ex- und Wieder-Kommissar angeworben gehts ab. Er bringt sich selbst in die Bredouille, landet zwecks Recherche im Getto, erlebt dort blanken Hass – und spiegelt so unbewusst oder absichtlich, wie superhartnäckig Vorurteile und Voreinstellungen sind. Womöglich gar zeitlos? Und: Wird hier im Getto wegen Organen für alte Leute gemordet? Zum Subtext gehört auch, dass in künftigen Jahren noch krasser als heute alt auf jung treffen wird. Und das nicht unbedingt friedvoll. In der Geschichte wird das fest im Griff gehalten durch die Big-Brother-Politik einer Großen Koalition, die wie ein KI-Gesellschaftscomputer alles kontrolliert. Nun, nicht alles… Lest selbst.

Das Buch ist schön gemacht, das Cover schick illustriert. Zudem hat der Autor und Ex-Rechtsanwalt drauf, was der geniale Cees Nooteboom jedem schreibenden Menschen empfohlen hat: Bloß den Anfang nicht versemmeln (und den Schluss auch nicht), sonst bist du deine Leserschaft gleich quitt. Stelle mir vor, dass M blendende Plädoyers gehalten hat. Fesseln kann er. Vom Anfang weg. So muss es auch sein damit ich einen Krimi kaufe, dessen Autor ich nicht kenne. Bin eigentlich kein Serienfan. Nur bei so Krimis. Also: @Mannsfeldt: Gehts weiter? @Krimifans: Lesen. Es ist ein Frankfurt Krimi!

Ulrich Mannsfeldt: Das ermordete Herz.
Eine Ermittlung im Jahr 2040
edition winterwork, Borsdorf 2023

Schreibe einen Kommentar