Alle Artikel mit dem Schlagwort: Fotografie

Sammeln, Sehen, Komponieren
Der Architekturfotograf Swen Bernitz im Interview

  Im Rahmen des Schömberger Fotoherbsts haben wir zum ersten Mal Swen Bernitz‘ grandiose Serie Landmarken gesehen – und mit dem 51jährigen Fotografen, der in Zossen lebt, ein Interview via zoom geführt. meise&meise Warum bist du Fotograf geworden – war das dein Traumberuf? Swen Bernitz Ja, es ist mein Traumberuf, aber es ist nicht mein einziger. Ursprünglich hab ich BWL studiert, in einer Bank gearbeitet, mich danach als Unternehmensberater selbstständig gemacht. Danach kam die Fotografie dazu. Mit Mitte zwanzig hab ich angefangen, mich für Fotografie zu interessieren. Damals habe ich Fotoausstellungen besucht und auch angefangen, Fotografien zu sammeln. Erst dachte ich gar nicht daran, selbst zu fotografieren – doch irgendwann hatte ich konkrete, eigene Ideen, die ich umsetzen wollte. Das erste Projekt waren 2008 die „Fahrzeughallen“. m&m Du hast als Erstes Fotografien gesammelt? SB Ich sammle immer noch – und zwar Fotografien von ostdeutschen Fotografen: Sibylle Bergemann, Arno Fischer, Harald Hauswald, Ulrich Wüst…. Fotografen, die zu DDR-Zeiten schon fotografiert haben. Es gibt von ihnen auch Aktuelles, aber ich sammle hauptsächlich Arbeiten aus der DDR-Zeit. Ich …

Vierzig Findlinge

  Jetzt. Sollten sie Mosaik werden. Zusammenfinden. Wieder und wieder. Die Orte dafür würden mich ansprechen, dann ein Zeitfenster sich öffnen, ein stilles Atmen und: Flow! Zarteste Blüten, Teil einer Tasse, die ich gern in Händen hielte, grobe Keramikstücke, feinst abgeschmirgelt von Wetter und so. Manche mit einseitigen Glasurresten. Fragmentiertes Grün, Rot und Gelb. Auch ein ostseegeschrubbtes Kachelfragment aus Lubmin, ein knallbuntes Porzellanfragment aus Essen und sogar hessisch-blaues Steingut dabei. Zu Guter Letzt ein gläsernes Mundstück als Kontrapunkt aus Heidelberg. Voilá, die Fundscherben-Collection aus 44 Jahren, aufgelesen auf meinen Lebenswegen. Zeit, sie ein Jahr lang in Szene zu setzen, dachte ich im Dezember 2019. Ich schnürte ein Beutelchen, in dem erst 37, am Ende 40 Bruchstücke klimperten, um sie zu allen geplanten Reisen mitzunehmen. So sollten Bilder entstehen und durch sie dieses Jahr als eines für alle stehen.   Startschuss war in Nordholland zur Jahreswende 2019/20. Weiter gehen sollte es wieder in Holland im Frühling und auf den Äußeren Hebriden im Sommer. Sicher käme noch inlands die ein oder andere Tour hinzu… Sicher? Von Pandemie …

Lost in Hohenlohe

  Der Corona-Zufallsgenerator hat uns im letzten Jahr auf die Hohenloher Hochebene geweht. Aufs Land, far from Sachsenhausen. Wo von morgens bis abends, im Sommer auch des nachts, Bauern oder ihre Billiglöhner mit Traktoren rackern. Wo seit Jahrhunderten Landwege gegangen werden. Manche unverändert, dem Absterben nah. Manche in der jüngsten Generation, lebendig wie je. Wir als Reingeschmeckte verstehen dieses gut, anderes gar nicht. Sehen dieses idyllisch, jenes schaudernd.   Um das nicht „nur“ abzubilden, sondern dem körnig-erdig Gefühlten Ausdruck zu verleihen, haben wir das Kallitypie-Verfahren gewählt. Diese Fototechnik stammt ursprünglich aus den 1850er Jahren. Wir wenden sie hier in moderner Mischform an: digital und analog. Genau damit spiegelt sie das Grundthema „Industrialisierte Landwirtschaft“ und lässt durch die Verfremdung umso genauer hinsehen. Sie offenbart dieses rurale Industriegebiet auf eigene Weise. Ohne den eingeborenen Weichzeichner. Die verweilenden Städteraugen sehen das Verfallsdatum, die Überfälligkeit von Strukturen und (Land-)Wirtschaftssystemen, sind dabei Fremde all over – und bekommen doch mit dem Trecker die Eier geliefert. Was kann, was muss verändert werden, ohne Funktionierendes, ohne soziale Netze zu zerstören? Was ist …

Hey Insta, Offboooom!

  Sieben Jahre her, mein erstes Bild auf Insta: Schneckenbaby auf Finger. Mein Finger. Ohne Hash ohne Tag. Wusste ich noch nix von. Auch nicht, dass, wie oder warum man Follower sammelt. Irgendwann kapierte ich und klinkte mich ein: #25bluehours #streetphotography #ifyouleave #myfeatureshoot #rebelsnature #saveourplanet #takemagazine #lucecurated #makeseemag #minimal #streethoney #thisaintartschool #mindtheminimal #kinfolk #paperjournal #onbooooooom #visualsgang…. Alles, damit Bilder gesehen werden. Bewundert, geteilt, gefeatured und gelikt. Und so ne Taschengalerie hat schon Charme. Verführerischer Zeitvertreib das. Und so wird ein Geschäft draus. Nicht meins. Bin eher für l’art pur l’art. Echt cool aber, und das hat mich lange gehalten, war dieses Weltgefühl. Kommentare und Austausch mit Menschen aus Venezuela oder Kalifornien, Schottland, den Niederlanden – oder … Stadtallendorf. Brüder und Schwester-Ansichten einer visuellen Welt, ach wie schön (wär das). Letztlich gehört man ja nirgends dazu, es sei denn man kommuniziert vor allem mit der eigenen Peergroup. Also alles wie immer als Journalistin. Aber nochmal zurückgespult. Da war vor allem Neugier: Wie ticken die anderen? Was sehen sie, was heben sie heraus? Impliziert ja auch Nachdenken. …

Buchkritik – Hiltrud Enders: Freude am Sehen

  Sollte man das Buch lesen? Ja. Bringt es neue Erkenntnisse? Nein, aber das muss es ja auch nicht. Impulse sind immer gut – ganz gleich, ob sie aus dem Archiv eines Wissenspools stammen oder ob dieses Wissen neu und mit eigenen Erkenntnissen aufbereitet wird. Das mal ultrakurz vorweg. „Freude am Sehen“ vermittelt altes Wissen, gepaart praxiserprobter eigener Erfahrung. Entstanden ist das Buch aus Workshops heraus, in denen Hiltrud Enders die Praxisanwendung von Miksang (tibetisch für gereinigtes Auge) vermittelt. Diese noch junge Schule kontemplativer Fotografie steht für eine Mischung aus Meditation plus Achtsamkeit plus Kamera. Bücher über Foto-Technik oder Bildgestaltung gibt es viele. Aber nur sehr wenige über die Auseinandersetzung mit dem Medium an sich und der Haltung, der persönlichen Einstellung, die Menschen voran bringen kann beim Fotografieren. Wenige wie dieses also. Wir waren neugierig. Hier erstmml ein Dankeschön an den dpunkt.Verlag, denn der macht immer wieder solche Bücher. Pluspunkte bekommt das neue auf jeden Fall, weil es (uns) Stoff zur Diskussion liefert. Zwei Menschen, zwei Lesarten = eine Rezension: P: (bevor das Buch bei …

Ausstellung: Die B-Klasse im Städel

Fesselnd, trotz des emotionslosen Blicks, dieses Bubikopfmädchen auf dem Plakat „Fotografien werden Bilder / Die Becher-Klasse“. Dem Titel entsprechend sind Hilla und Bernd Becher nicht im Fokus dieser Ausstellung. Die Grafik an der Foyerwand des modernen Städelzweigs ähnelt einem Stammbaum, zackig zur Matrix werdend: Die Bechers an der Spitze. Begründer einer Dynastie. Die abzweigenden Linien führen zu neun wohlgehabten SchülerInnen. In der Ausstellung zwar kein Wasserturm nirgends, aber dennoch frühe Becher’sche Leitplanken: Papierabzüge von Industrietoren, Fachwerkhäusern, Kohlesilos. Sehr schwarzweiß, sehr analog und auch sehr klein. Die Bilder ihrer Schüler anfangs noch ebenso analog, schwarzweiß – doch der bald kommt der erste Sprung ins Farbige und der nächste ins Digitale. Der noch gar nicht so lange her ist. Damit beginnt das Spiel mit der Wahrheit, dem Verschwinden der Doku, dem Dehnen und Größer- und Nochgrößerwerden. Viel Langweiliges dabei, unter diesen berühmten Fotografien, die „international prägend“ waren, wie Kuratorin Jana Bergmann emotionslos vermerkt. Ein Großteil wirkt enttäuschend flach. Ob klein oder groß, schwarzweiß oder bunt spiegeln die meisten – über die Vorsätzlichkeit hinaus und in einfache Bildsprache …

Fotografie als Waffe? Neues Canon-Makro im Test

Im Test: Canon EF-S 35mm f2,8 Makro – featuring Roland Günter und Andreas Feininger Dem überraschten Fotohändler diktierte Pat eine Objektivbestellung. “Gibts doch noch gar nicht”, wandte der ein. Egal, bitte vorbestellen, insistierte Pat – damit wir dann auch wirklich eins kriegen. Brandneu! Einige Wochen vorher fiel mein Blick eher zufällig auf einige uralte Bücher, schon so lange im Regal, dass man sie gar nicht mehr sieht. “Die neue Fotolehre” von Andreas Feininger – Pat packte sich ein zweites obendrauf: “Fotografie als Waffe” von Roland Günter. Staubalt. Hier Pats Lese-Funde und Makro-Befunde: Andreas Feininger: Schöpferische Fotografen sind Künstler im wahrem Sinne des Wortes. … Sie bilden die Avantgarde der Fotografie. Sie sind gewöhnlich zäh, hartnäckig und eigensinnig. Ihre Arbeit ist stets anregend, oft zum Widerspruch reizend und für Leute mit konservativen Einstellungen gelegentlich schockierend. Sie folgen keinen “Regeln” und respektieren keine “Tabus”. (1)   Die Optik ist klein, leicht, handlich und gut verarbeitet. Es gibt ein cooles LED Hilfslicht in zwei Helligkeitsstufen und einen Bildstabilisator. Der Preis liegt bei 430 Euro. Roland Günter: Gerade Arbeiter …

Rezension: Vogelfotografie, die zweite

  Wir waren ziemlich nah dran dieses Jahr: der GDT Wettbewerb um den Preis für den Europäischen Naturfotografen ist wie jedes Jahr die Herausforderung – und der Katalog wie jedes Jahr die Sammlung atemberaubender Fotos. Leider ohne uns. Aber, wir waren immerhin nominiert – und Wettbewerbsleiter Marc Hesse hat jenen aus dieser in der Leider-im-Finale-ausgeschieden-Mail versichert, darauf könnt ihr durchaus stolz sein. Sind wir. Und haben den Katalog geordert, wo wir neidlos Bilder bewundern wie das vom „Tanz unter den Sternen“ der Maifliege an der Donau (Imre Potyó), das von der schützenden Hand der Affenmutter auf dem Kopf ihres Babys “Schutz” (Alain Mafart Renodier) oder vom „Atemzug“ in der Polarnacht von Audun Rikardsen, dem Gesamtsieger. Auch dieses Jahr zeugt die Auswahl vom kreativen Potenzial der Tier- und Naturfotografie – und von der Offenheit der Jury. Auch politisch anklagende Bilder sind wieder darin. Eine wie ans Kreuz genagelte Rabenkrähe brennt in mir nach, zum Luftholen die Wildwechselbrücke. Und dann wieder zum Verrücktwerden ein mit der Säge abgetrenntes Nashorn, diesmal von Bence Máté festgehalten, den wir als …

Graffiti gegen Fremdenhass

Jogger machen Selfies, Spaziergänger können den Blick nicht wenden, Mütter und Väter, die kinderwagenschiebend am Main flanieren, stoppen für ein Handyfoto – das neue Graffiti an der Frankfurter Osthafenmole (hier das vorherige) ist schon von weitem sichtbar und lässt niemanden kalt. Zu bekannt ist das Bild des ertrunkenen Flüchtlingskinds Aylan, das die Vorlage war. Nach dem Interview, das die beiden Frankfurter Graffiti-Künstler Justus Becker alias COR und Oğuz Şen alias Bobby Borderline der Hessenschau gegeben haben, war genau das ihr Ziel: die Menschen zu bewegen und dazu beizutragen, dass das Elend der Flüchtlinge nicht vergessen wird. Die Hafeninsel habe sich angeboten, weil sie vom Wasser umspült an die türkische Küste erinnert – und genau gegenüber der EZB gelegen ist, die somit sehr passend das eingeigelte Europa vertritt. Cor hält es für wichtig, das Bild genau “hierherzubringen, weil es die Leute erst interessiert, wenn es vor ihrer Haustür passiert.“ Es gab einen medialen Wirbel vor einem halben Jahr: Darf man dieses Foto zeigen? Muss man? Manche haben sich um die Antwort gedrückt und den Jungen verpixelt. …