Alle Artikel mit dem Schlagwort: Erinnerung

Im Familientakt – Tante Maria

  Familienchronik, die Zweite. Nachdem wir unser Familienprojekt im Frühjahr 2004 mit dem Ältesten aus Sylvias engerer Familie, ihrem Opa, begonnen hatten, setzten wir es im darauffolgenden Herbst mit der Ältesten aus Pats Familie fort: Tante Maria. Als wir die damals 97-Jährige besuchten, lebte sie noch in ihrer eigenen Wohnung in Essen. Wir haben sie wie schon Sylvias Opa nach Kindheitserlebnissen und besonderen Erinnerungen gefragt. Zum Glück gibt es Fotoalben! Die lagen als Gedächtnisstütze auf dem Wohnzimmertisch. Außerdem war Pats Mutter dabei, die auch noch die eine oder andere Erinnerung beisteuerte. Als wir Kinder waren Kaffee war fertig – und alle sehr gespannt. Also die Einstiegsfrage: Wie war für dich das Leben als Kind? Sie antwortete mit blitzenden Augen: „Unser Spielplatz war das Treppenhaus. Das Haus war dreistöckig – in der untersten Etage lag die Werkstatt meines Vaters. Die Mitte unseres Hauses, das Treppenhaus war der Treffpunkt von uns Kindern. Zwar gab es keine Fenster aber oben war Glas darüber, so dass es doch schön hell war. Die Großen haben die Kleinen im Wäschekorb die …

„Wo wart ihr im Krieg?“ – Ein Nachruf, ein Porträt: mein Opa

Wie er am Grab seines Vaters stand – daran konnte sich mein Großvater noch gut erinnern. Er war fünf, sein Vater ist nur 33 Jahre alt geworden. Tuberkulose. Wir hörten diesen Teil meiner Familiengeschichte zum ersten Mal, als wir meinen Großvater für unser Familienchronik-Projekt besuchten. Im Gegensatz zu anderen Geschehnissen sei ihm diese Erinnerung noch sehr präsent, sagte er uns vor 14 Jahren. Damals hatten wir noch nicht an so vielen Gräbern gestanden wie heute. Seine damalige Frau Angelika ist tot, mein Vater, Pats Großtante Maria, seine Tante, seine Mutter… Vaterloses Kind. Wie mag das wohl für einen kleinen Jungen wie ihn 1920 gewesen sein? Danach fragten wir erstmal nicht, wir ließen ihn erzählen. Ich erinnere ihn wie auf dem Foto, das Pat gemacht hat: die Augen klein geworden, 88 Jahre Licht blinzelnd, der hoch erhobenen Kopf – und sein zurückhaltendes Lächeln. Er war ein großer Mann. Ich hatte ihn gemocht. Als ich erfuhr, wie brutal er als junger Vater meine Mutter geschlagen und gedemütigt hatte, war ich entsetzt. Es war nicht zur Deckung zu …

doc 13: Zeit, die es braucht

Vier Menschen, 13×13 Kunstwerke (und noch ein paar mehr)… Es duftet nach Lindenblüten, als wir frühmorgens in den Zug nach Kassel steigen. Unser Ziel- und Startpunkt dort: Kulturbahnhof. Charmant niedergerockt. Unübersichtliches, dabei doch klar gegliedertes Gelände, dessen ungeschönte Präsenz uns bereits kunstsinnlich macht. Einen Tag lang stürzten wir uns in den „Tanz“ der documenta 13. So nämlich fasst die Kuratorin Carolyn Christov-Bakargiev (CCB) die Kunstschau unschlagbar in diesem Satz: „Der Tanz war sehr frenetisch, lebendig, rasselnd, scheppernd, walzend, gewunden in Schlangenlinien und dauerte eine lange Zeit.“ Natürlich auf Englisch. So wie hier fast alle Bildinfos, Videos und Filme, was ziemlich arrogant gegenüber den Gastgebern ist. Unser erster Knoten in der Kasseler Tanzlinie war die Taschenabgabe an einem weißen Container. Ein immer wieder kehrenden Ritual, das uns fortan Knotenpunkt um Knotenpunkt begleitet. Die Containerfrauen tragen Seidenschals in petrol mit rötlichen Streifen. Daran soll man alle documenta-13-Helfer erkennen. Ticketverkäufer, Ticketprüfer, Eckensteher, Publikumszähler, Mahner und Aufseher tragen sie um den Hals, im Haar, um Hüften oder Handgelenke gewunden. Schlicht schön. Wenn ich dagegen an die Jugendkirchentagsspaghetti in grün …