Gesellschaft
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Mach mal müßig

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Null. Kein brauchbarer Gedanke nichts. In solchen Notfällen muss ich weg vom Bildschirm. Zum Glück habe ich einen Balkon. Wind schuckelt zartgrünes Blattgefieder, Bienen beschwirren Blüte um Blüte und Sonne blitzt Schattenmuster. Langsam rutsche ich auf Standby. Hups?! Bin sofort … will eben noch… muss gleich… Ach, was! Ich lehne mich zurück, schau ins kondensverschleierte Blau. Wolkenzug, Vogelflug… Mal eben nichts wollen, nichts müssen, nur sein. Ja.

Bis das Telefon heult und ich – mit tanzenden Sonnenflecken vor Augen – hineingurre: „Nein, nein. Sie stören nicht.“ Wie bitte? Auftrag hin, guter Kunde her. Ist doch glatt gelogen, kräht im Hirnkastel mein Lazy-Ich; feixt und lässt die Worte holpern. „Ja klar. Mail Ihnen. Äh. Gleich. Ihnen was. Tschühüss.“ Und jetzt? Weiter im Text oder noch mal kurz abdöseln? Ja. Schön wär’s. Doch: Nein. Die Deadline drängt.

Also zurück zum PC, wo mit einem Pling diese Email ankommt: „Schreiben Sie uns was über Müßiggang?“ Was? „Müßiggang“… Hört sich nicht gerade topaktuell an. Was heißt das denn überhaupt? „Aah! Sommerferien! Weißt du noch?“ Eine Freundin kommt allein beim Aussprechen dieses Worts ins Schwärmen und fügt genießerisch dehnend hinzu: „Lange-Wei-le…“ Macht aber gleich klar: aktuell könne sie das leider nicht. „So richtig gelassen sein. Nee.“ Die nächste Befragte denkt an Müßiggehen im wahrsten Wortsinn: „Im Rosengarten. Das würd ich zu gern mal wieder machen.“ Und wir kommen überein: Muße haben oder Müßiggehen bedarf der Freiheit.

Fand schon Cicero übrigens: „Der ist kein freier Mensch, der sich nicht auch einmal dem Nichtstun hingeben kann.“ Zwar täte ich als Freiberuflerin lieber mal sorgenfrei null und nichts, als auch noch darüber zu schreiben – doch da habe ich auch schon zugesagt. Man will ja nichts verpassen. Außerdem kann eine kleine Lektion in Sachen Müßiggang sicher nicht schaden. Denn: so einfach ist es ja offenbar nicht, wenn schon meine kleine Umfrage immer im Konjunktiv mündet: wollte, hätte, könnte…

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Die weitere Recherche ergibt wie so oft, dass dies nicht mal ein besonderes Phänomen unserer so gefühlt hyperaktiven Zeit ist. Schin Aristoteles mahnte, man müsse zum „würdigen Genuss der Muße“ erst erzogen werden. Wann und wie sonst sollten Erkenntnisse reifen? Viel später haben wir wohl noch immer keine gescheite Lehre des Besinnens geschaffen, dafür aber eine Menge Bonmots. Darunter dies von Oscar Wilde: “Nichts tun, ist die allerschwierigste Beschäftigung und zugleich diejenige, die am meisten Geist voraussetzt.”

Auf englisch mutet die Sache ja auch gleich viel hipper an: “How to be idle” würde ich diesen Text dann nennen. Genau das interessiert die Briten offenbar schon seit 21 Jahren. Solange jedenfalls gibt es das Magazin the idler. Das Thema Slow travelling war eines seiner jüngsten Hits. Doch Müßiggang ist wohl nicht nur als Vokabel vergessen, sondern gleich ganz aus unserer Kultur gefallen. Arbeit, Leistung, wenig Zeit – damit kann man imponieren. Aber Rumliegen. Nachdenken. Nichts vorhaben? Erfolg=Geldwert=Leistung. Nichtstun kommt in dieser Gleichung nicht vor. Möglicherweise auch, weil Männer wie Martin Luther die „größte Plage auf Erden“ darin sahen. In alten Redewendungen haftet ihr denn auch nur Negatives an: „Wer rastet, der rostet“, „Müßiggang bringt Schand’ und Not, Fleiß dagegen Ehr’ und Brot“ oder der Klassiker: „Müßiggang ist aller Laster Anfang.“ So wurden bei uns die Chaplinschen Modern Times eingeleitet. Dazu passt perfekt, dass „Fleiß“, dieses urdeutsche Attribut, bei den Lateinern industria heißt. Schon vor der Befleißigung, nein, Industrialisierung der Welt galt: Sich Regen bringt Segen. (Mehr Schönes hier bei otium bremen.de). Bloß nicht untätig sein.

Nachdenken im Park? Womöglich am helllichten Werktag, wenn andere hämmern, fräsen, mähen. Wie sieht das denn aus? Genau. Nutzlos. Als hätte man nichts zu tun. Blödsinn, aber es steckt einem in den Knochen. Aber ich arbeite daran. Täglich. Rolle auf meinem Fahrrad dahin, den Blick auf unscharf, Hände vom Lenker und ab durchs flatternde Blättergrün wie Kate Winslet am Bug der Titanic… Oder noch einfacher: mich auf den Liegestuhl gießen, in den Himmel blinzeln. Funktioniert aber nur, wenn man es nicht als neuen Wellnesstrick betrachtet, um an der Marke Ich zu feilen. Merke: Müßiggang klappt nur, wenn hinten nichts rauskommen muss. Selbstbestimmtes Tun. Ohne Druck. Ungeschminkt, unplugged, an und für mich.

Damit gehören gleich zwei der schwierigsten Dinge überhaupt dazu: Freiheit und Selbstreflexion. Manche kommen ja am besten zurecht, wenn Vorgaben klar und berechenbar sind. Andere haben entsetzliche Angst vor dem Nichtstun, weil sie dann in einen Abgrund der Leere schauen. Doch eine Arbeitswelt – und zunehmend auch eine Lebenswelt –, in der alle Schritte, eng getaktet und breiig vorgekaut sind, hindert am Nachdenken. Auch über sich selbst. Wer bin ich? Warum mach ich? Was soll bleiben? „Die großen Fragen“, sagte mir vor kurzem Professor Niels van Quaquebeke zum Thema Respekt, „wurden lange nicht mehr gestellt.“

Vielleicht ein Fehler in unserer Matrix. Das Menschenhirn kann einfach nicht nichts tun. Tagsüber registriert es alle Vorkommnisse, sortiert nach gewöhnlich, ungewöhnlich, bemerkenswert – übernacht wird verarbeitet. So läuft Wertung, Erinnerung, Verhalten. Wir lernen permanent, können gar nicht anders, sagen Hirnforscher wie Manfred Spitzer oder Gerald Hüther. Sogar in der Schule übrigens. Und auf was wir Menschen besonders gut vorbereitet sind, ist Troubleshooting. Alarm!! funkt das Hirn, noch bevor wir richtig erfassen, was los ist. Mist gebaut? Ärger provoziert? Bei Breaking News bringt uns das Hirn umgehend in Fahrt. Schüttet alles vorhandene Dopingzeug ins Blut und während wir noch überlegen, was wir tun sollen, rast schon das Herz und der Körper ist zu Angriff oder Flucht bereit.

Am anderen Ende dieser Drucksäule müsste ja, nach gelungener Gefahrenabwehr, das Glück warten. Es soll die Maßeinheit der Muße sein. „Aktives Nichtstun“ nannte Siegfried Lenz diesen Zustand vor 52 Jahren (im Vorwort zu Ben Witters Tagebuch eines Müßiggängers). Mit Langeweile oder gar Faulheit habe das nichts zu tun, betonte er: „Dem Müßiggang hingegen liegt eine definitive Entscheidung zugrunde: Man ist bereit, das Nichtstun auszukosten, auszubeuten, auf absichtslose Weise aktiv zu sein. Somit ist Müßiggang alles andere als eine Ermattung des Geistes.“ Das Nichtstun ausbeuten. Genial. Allerdings kannte er ja weder Handy noch Whatsapp oder das Pling neuer Emails, das ein gut gedrilltes Wahrnehmungssystem sogar durch geschlossene Türen vernimmt… Es soll Leute geben, die können privat wie beruflich die Finger nicht von ihrem Handy lassen, weil es da immerzu brummt, piepst und blinkt. Tut sich mal nichts auf ihrem Handy, kriegen sie glatt Phantomvibrationen. Oder klappen zusammen. Es gibt die These, dass wir vor lauter Bereitschaftsgepiepse in einer Art Daueralarm leben – und daher verlernt haben zu entspannen. Ja-ha, sowas kenn ich. Wenn gerade ein Projekt geschafft ist. Dann bin ich zwar platt, aber mein Hirn kreiselt. Statt auszuruhen und aufzutanken werde ich immer hibbeliger, finde keine … Muße.

Yoga? Oder Tai-Chi? Machen sie in China ja zu Dutzenden im Park. Aber, ist sowas denn schon Müßiggang? Nein, eher das Vorspiel dafür… Und dazu gehört im Grunde alles, was von Wiederholungen lebt, und uns abtauchen lässt ohne den Verstand zu verlieren. Brotbacken, Bügeln, Spülen. Mir persönlich hilft Radfahren, Spazierengehen oder Gartenarbeit. Regelmäßig. Ich leere damit gewisse rumorende Kanäle im Hirn, beseitige das unerwünschte Hintergrundrauschen. Vorher nichts Neues. Denn (Franz Kafka schießt mir den Schlussvogel): „Müßiggang ist aller Laster Anfang und aller Tugenden Krönung.“

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(Geschrieben für das Online-Mag von Kulturmanagement Network: KM Magazin Nr. 90, Schwerpunktthema war Freizeit)

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