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Schottland – Reiselogbuch #1

Cut and go


 

Katzennetz in unseren Balkongarten gefummelt. Letzte Infos für die Katzensitterinnen. Süßes für die Postfach-Bestücker. Das noch erledigt, und das und das. Pffff. Aber gut, wir werden immerhin fast vier Wochen weg sein. Endlich starten wir. Los. Fahrn. Losfahrn.

Ich sitze ruhig da, aber in mir rüttelts und ruckelts. Die letzten Stunden, Tage, Wochen der Vorbereitung in den Knochen. Das Abgehake der Listen. Das Packen. Zwei Lenker-, neun Fahrradpacktaschen. Zelt, Isomatten, Schlafsäcke, Hänger. Klamotten, Campingküche, Fotoausrüstung, Strom, Bücher, Trackingkram, Waschkram, Klammern sogar – und, klar, Proviant für on the Road.

Check, check: die letzen Emails. Läuft alles? Wie, Bankverbindung habt ihr nicht? Was will der denn noch. Wieso hat der denn den Anhang nicht gekriegt? Zur Hö… Also gut, nochmal raus damit, gesendet von meinem Handy. Fertig. Aus. Urlaub.

Und dann – O Mann! Adrenalin schießt auf: Die Buchungsbestätigung für die Fähre – wo ist die?!? Wollt ich doch noch in die Dropbox laden. Hab ich nicht. Die Mail zu alt, komm nicht ran mit dem Handy. Ach du Kacke. War das mein Part? Wie kommen wir da im Zweifelsfall dran? Nervt mich bis kurz vorm Fährhafen Ijmuiden. Schnapp, Schnapp, Aus. Ein. Atmen. Pat hat sie gedruckt. Hat den Ausdruck dabei. PFFFF. Alles gut.

Einchecken



 

Eigentlich wollten wir noch Pommes essen im Hafen von Ijmuiden, doch auf einmal sind wir eingereiht, als hätte uns ein Magnet erfasst. Gigantisch. Eine Riesin diese Fähre. Fast 163 Meter lang, fast 30 breit. Elf Decks mit Platz für 1250 Menschen, 600 Autos. Ganz oben die Sky Bar. Himmelsraum mit Hubschrauberlandeplatz für Notfälle, aber das sehen wir erst später. Noch stehn wir an. Natürlich dürfen immer die neben uns fahren. Also, weiter Schlangestehn, Fähre gucken, Fotos machen. Wie alle andern. Und Warten. Warten. Warten. Autos, Trucks und Camper in allen Größen. Motorräder, Biker, Ordner, Einweiser, Männer und Frauen zur See.

Endlich auch wir. Drin. Hektisch greifen wir, was wir auf der Fähre brauchen, raus aus dem Auto und hoch die Treppen. Eine der 478 Kabinen auf Deck sieben ist unsere. Minischlafkiste für zwei. Ohne Meerblick, mit Etagenbett. Für das obere braucht man einen Yoga-Ausweis – ist also meins. Hi Princess. Da sind wir, endlich auf Deck! Die Sonne scheint, der Himmel ist blau, die See atmet wie ein schlafender Hund. Fühlt sich alles verdammt gut an.

Noch sind wir im Hafen: Eine Dreimastbark umspielt surreal die Hafenkräne. Wind bläht das Leinen, Sonne malt Schatten drauf. Am Ende sieht es aus, als sei die Bark per Photoshop einmontiert. Ein Werbegag. Auch gegenüber das Spiel zwischen pittoresk und grotesk. Strandbad vor Windrad. Energie für die Schornsteine von Tatta Steel. Die „Tankerkette von Antifer“ fällt mir ein (Sommer 1980 von Marguerite Duras).

Im Hafenbecken Seehunde. Wir schaukeln sanft. Jetzt legt sie ab, unsere Princess. Die autogroßen Luftkissen, Yokohama-Fender, platschen wuchtig zurück ins Wasser. Die Möwen auf Zack, stürzen sich auf alles Fressbare, das die Princess-Motoren aus sechs Metern Tiefe emporwirbeln.

An Bord



 
Auf den Outdoor-Decks gibts vier, fünf Dinge, mit denen du dich beschäftigen kannst: Meer gucken, Menschen gucken, Essen, Trinken, Reden oder Lesen. Indoors dasselbe, plus Shoppen, Geld wechseln (Deck 6) oder Spielen im Kasino und Kinogucken (Deck 8).

Außer Kino und Kasino machen wir alles. Überwiegend aber gehören wir zu denen, die sich draußen den Wind um die Ohren wehen und die Sonne auf die Nase brennen lassen. Darunter auch zwei Papas. Einer mit einer rothaarigen Teenie-Tochter, der andere mit vier (!) Mädchen (drei Schwestern, eine Freundin, schätze ich). Was auch immer passiert, der Mann bleibt tiefenentspannt. Chapeau! Er fotografiert die Damen auf Wunsch. Die jüngste, sieben oder acht, immer und sofort am Posen. Dann sind die Großen weg und sie sagt: „Papa, zeichne mich.“ Okay. Papa zückt Zeichenbuch und Bleistift und sie steht an der Reling Modell.

Steht, wartet. Versinkt in meditativer Starre. Die Mundwinkel sinken ab. Anders als beim Foto steht sie da. Plötzlich nicht mehr als Bild eines Kindes, als süße Maus. Sondern als Bild ihrer selbst. Ich sehe ein Schnutenmädchen beim Ichwerden. Ganz richtig sieht das alles aus. Still. Ganz still hält sie. Ohne Knöttern. Bis Papa fertig ist.

Nachts in der Wiege der See. Die U-20jährigen im Hochspannungsmodus. Checken rum, als würden sie gleich die letzte Chance verpassen etwas Aufregendes zu erleben. Einer schreit nachts nach seinem Kumpel. Zweimal, dreimal. Still. Frühmorgens: Anstehn im Café. Wir balancieren Milchkaffee, Croissants und Obst an Deck und frühstücken in der Sonne. Perfektes Timing – denn vor Englands Küste liegt eine Nebelbank. Wie eine Augenschleuse, ein Licht- und Wolkenbad, das uns vorbereitet auf Neues.

England, North Shields


 
An Land erstmal anhalten, sortieren, Karte gucken. Und von den Deutschen, die vor uns dasselbe tun, erlauschen, dass Stornoway ein „Scheißkaff“ sei, „verrammelt und vernagelt“. Abends würden die Bordsteine hochgeklappt. Tot und stinkelangweilig. „Nach drei Tagen sind wir geflohen“, schildert eine Frau anderen Reisenden ihren Eindruck. Pat guckt etwas entsetzt: genau da wollen wir ja hin, nach Stornoway.

Er war zuletzt vor fast 40 Jahren da. Damals war sonntags alles dicht, wegen der streng calvinistischen Grundhaltung. Daran erinnert er sich. Ansonsten aber fand er es wunderbar – deswegen sind wir ja hier.

Schottland, wie er es auf den Inseln der Äußeren Hebriden erlebte, lockt mich, seitdem wir uns kennen. Also seit 35 Jahren. Ich sah Schottland zuerst auf seinen Bildern. Schwarz und weiß. Steinkreuze, Wolken, Steine und Wiesen. Schafe und Ruinen und Meer. Markante Landschaften voller Weite und Extreme, die Pat unter der Trockenpresse in glänzende Baryt-Abzüge verwandelte. Jedes ein Unikat.

Jetzt, wo sie vor meinem inneren Auge liegen, möchte ich an der Gelatine lecken und mit den Fingerkuppen die schimmernde Schwärze fühlen. Schsch! Nur ruhig, sie liegen im Archiv ganz sicher in ihren Pappschachteln. Nur eines fehlt. Ein Mann im Mantel am Strand. Verschenkt.

Der Nächste, der fand, ich müsse un-be-dingt nach Schottland, war unser Sohn. Der war vor ein paar Jahren mit drei seiner besten Kumpels da. Immer seine Kunstfell-Ohrenklappenmütze auf dem Kopf. Wie ein durchgeknallter Freak aus einem Film. Sie sind auf Berge gekraxelt, durch Wasser gewatet. Wurden durchgeregnet, sind gewandert und Bus gefahren. Haben Äpfel und Bohnen aus der Dose und Bohnen und Äpfel gegessen… Der Junge kam zurück wie neu geboren. Entspannt wie wir ihn seit Kindertagen nicht erlebt haben.

Fáilte gu Alba*




 
Wie werden wir es finden? Erst mal müssen wir hinfinden. Einer fährt, eine navigiert. Die 500 Kilometer bis zur schottischen Westküste, wo wir die Fähre nach Lewis nehmen wollen, fahren wir in einem Rutsch.

Mittendrin würde ich am liebsten aus dem Auto springen. Das In-der-Kiste-sitzen ist mir ein Gräuel. Anhalten! Brüllt es in mir, Anhalten! Guck doch mal, Fahrer, wie schön es hier ist… Aber, es ist ja überall schön, wo sollen wir anhalten? Und, was tun, außer einem Pausenkaffee trinken? Wir merken uns einen Ort – Pitlochry – hier bleiben wir, wenn es passt, auf der Rückreise und gucken uns um.

Die Landschaft dort am Tay Forest National Park – grandios. Was ich beim Rasten und aus dem Autofenster sehe ist angenehm neu und fremd. Andere Pflanzen, andere Landschaftsformationen, und sogar andere Lebensmittel an der Tanke und im Café. Ich muss daran denken, wie ich als 13-Jährige zum ersten Mal in England war und kaum fassen konnte, dass es dort auch Milky Way gab, und Bäume, wie hier bei uns. Die erwartete, totale Fremdheit blieb aus.

Radreise ahoi


 
Nächster Halt Ullapool. Wir finden den Campingplatz, schlagen zum ersten Mal unser Zelt auf, und bekommen einen glutroten Sonnenuntergang mit springenden Fischlein zum Empfang. Das Absackerbier trinken wir in einer Café-Bar, die nur wegen der Fußball WM noch auf hat. Auf dem Schiff war die übrigens kein Thema, nirgends. Als Deutschland verlor, wurde dort ein belgisches Radrennen übertragen.

Das ist also Schottland: trocken und 32 Grad heiß. Wir haben Handschuhe mit, aber keine Sonnencreme… Die kaufe ich nach einem grandiosen Frühstück im Café „The Frigate“. Danach erstehen wir noch regionale Landkarten im Buchladen und retten uns in den Schatten eines Parks am Stadtrand und Ufer des Loch Broom. Abends kommen wir mit unseren Zelt-Nachbarn ins Gespräch. Gibts das? Sie kommen aus Offenbach. Seit sechs Jahren ziehe es sie immer wieder hierher. Backpacker. Sie planen vom Nordatlantik an die Nordsee zu laufen.

Wie feucht auch immer alles sein mag, du musst trockene Socken haben! – Diesen Rat nehme ich von der Offenbacherin mit. Schaun‘mer mal – Morgen gehts bei uns richtig los. Das Auto bekommt einen Platz für drei Wochen, und dann sind wir endlich Reiseradler: Lewis wir kommen. By bike!
 



 

* Gälisch für Willkommen in Schottland

 
 

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