Gesellschaft, Menschen
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Bring ma den Müll raus! Heldenmarkt in FFM


 
Kronkorken, Sand, Glas… Wo jetzt, Stadtbar? Strandleben? Nein: Stand auf dem Heldenmarkt in Frankfurt. Das Zeug – Detailaufnahme – war mal Müll. Das sieht man dem Blickfänger des Stands von Beatrice Anlauff nicht mehr an. Ihr Couchtisch ist: eine große Glasscheibe auf einem mit Sand und Kronkorken gefüllten Fahrradreifen, auf einer Wäschetrommel aus einer alten Toplader-Maschine auf einer graugestrichenen Scheibe auf Rollen. Sie nennt es Verwandlungsdesign. Supergenial. Auch das Mäppchen aus einem Stück Fahrradreifen stammt aus ihrer Werkstatt. Cooles Teil – aber – Recycling? Gebrauchter Fahrradreifen sieht anders aus. Okay, okay. Erstma downcyceln, Langsam rundgucken. Wie wir’s immer machen, nämlich so wie früher Hilde Domin bei Lesungen. Sie las ihre Gedichte immer zweimal.

Auf der Bühne beim ersten Rundgang ein Vegankoch, der 15 gerade zubereitete Portionen kostenlos verteilt, bei der zweiten ein Medienteam, das Zuschauer filmte. Interesse und Medieninteresse. Das Gefühl in den Gängen: retro. Die Pressemappe der Veranstalter: sechs zusammengeheftete Seiten – sieht nicht gut aus, aber es gibt ja ne Website mit allen Links. Die Stände bisschen wie Flohmarkt, Besucher und Aussteller ein Querschnitt durch die heutige Öko-Scene. Grau gewordene Experten in Sachen Öl, Senf und Karma, junge Idealisten, Familien im wetterfesten Outdoordress. Kurz: die GGG-Zielgruppe von GEO, Globetrotter, GLS-Bank unter sich, was sicher auch am Eintrittspreis von satten 9 Euro liegt.

Trotzdem, irgendwie nett. Die Location ist schon die halbe Miete – unser altes Bockenheimer Straßenbahn-, dann Theaterdepot ist einfach megacool, und das Viertel atmet Studentenflair . Im Unterschied zu Buch- und Biofach wird man jedenfalls nicht mit Proben, Taschen und Infomaterial zugeballert, dass einem die Affenarme baumeln, und die Knie knirschen. Dafür trägt hier jede Zweite gelbe Blümchen. Verteilt von einem Freak mit weißem Drei-Millimeter-Haarschnitt und magischem Grinsen. Fast wie einer aus der Riege der Kostümierten, die auf Frankfurts Straßen still auf Podestchen stehend um Geld bitten – so umgaukelt er uns mit seinen Moosgummiblümchen im Zylinder. Die stünden fürs Glück, dem ersten nachhaltige Produkt überhaupt. Im hier und jetzt versteht sich. Die Mädchen unter uns lockt er an seinen Stand mit lederrecycelten Blümchentaschen. Niedlich! Echt jetzt. Und – Recycling?! Kann ich denn da auch meine alte Ledersachen verarbeiten lassen? „Klar, kostet aber mehr Kohle. Weißte.“
 

Ein Held? Ich stimme Hannes vom Blog Jazzlounge zu. Dort fragte er nach der letzten Veranstaltung in Bochum: „Was für Helden?“ Ist man, weil man was ordentlich macht, schon Held? Heldenmarkt ist ein blödes Wort, genau wie Karmakonsum. Aber, geschenkt, wer möchte nicht gern ein Held sein? Und wenn es auf die Weise funktionierte, dass die Leute sich besinnten (besönnen?) – ja, warum nicht. Die Veranstalter sagen, es komme nur rein, wen sie gründlichst in Sachen Nachhaltigkeit geprüft haben. Trotzdem. Seit jetzt sind mir alle suspekt, die sich in weiß-grün, packpapier-grün oder schwarz-grün präsentieren. Gibt’s da irgendwo ein Marketingtool?

Die durchgestyltesten jedenfalls sind die, die mit Geld und Energie zu tun haben: Krankenkasse (Stand weiß-grün und zugehöriger Versicherungsvertreter in schwarz-grünem Shirt), Banken (luftiges weiß-grün) und Investment-Anbieter (holz-grün). Frankfurt übrigens, und da heult mein Herz, schießt (nicht nur) bekleidungsmäßig den Vogel ab. Schwarz-grün! Steht er da, der Grüne, mit den Cohn-Bendit-Armen, der mir wachsweich erzählt, warum der Stand so klein und das grüne Gewissen so rein ist. Rein, trotzdem Frankfurt mit seiner Bewerbung auf das Green Capital Europas gescheitert ist – und zwar an seiner wachsweichen Flughafenpolitik. Das Infomaterial: Einkaufsführer, Infoblättchen (welches Gemüse in welchem Monat Saison hat z.B. Brombeeren im Oktober) und alles ohne Zusammenhang und von magerem Design. Schließlich fällt mir noch etwas Packpapier-grünes in den Blick und auf Nachfrage bekomme ich das Give-Away geschenkt: Kressesamen! O Frankfurt, Grüne Stadt! Heldenmarkt lässt nur zertifizierte Helden rein? Bah. Jungs, hättet ihr sie mal ordentlich durchgeschüttelt. Statt sie da den Honig aus dem Stadtwald stehen haben… Ein echter Fund übrigens dieser Messe. Paar Schritte weiter nur. Ein richtig nachhaltiges Projekt und dieser Stadthonig schmeckt auch noch (bienenretter.de).


 
Am meisten Gewusel ist da, wo es jahrmarktig bunt ist. also wo man A was essen, B was selber machen, C tolle Sachen gucken und kaufen kann. Das Beste bei C – hier gibt’s Produkte mit Lebensgeschichten. Das nenn ich nachhaltig, weil man die im Kopf mitnimmt und sogar wieder erzählen kann. Etwa die von der Ex-Werbefrau Sandra Elm, die Leder und T-Shirts zu Armbändern, Knöpfen, Harrschmuck oder Buchbezügen recycelt (re-cover). Sie hat eigentlich und zuerst Schneiderin gelernt. Als Agenturfrau stolperte sie irgendwann über Berge kurzlebiger Kundengeschenke – so was wie T-Shirts, auf denen Jägermeister, Milka oder Adidas steht. Wer will die anziehen? Zum wegschmeißen sind sie aber doch zu schade… Also bezieht sie damit jetzt Knöpfe, Karten, Armbänder. Schick und sinnvoll, zumal es sie auch noch ernährt. Man sieht ihren Händen und ihrem Gesicht das Glück an, was tun zu können, wo man hinterher ein echtes, ehrliches Produkt in Händen hält. Neben ihr die Verwandlungsdesignerin (fraktali) und ein Buchbinder –alles Frankfurter, die man so in einem Durchgang nicht in der Stadt treffen würde, denn sie haben ihre Werkräume jede in einem anderen Stadtteil… Also: allein fürs zeigen kreativer Kreislauf-Vielfalt hat sich das Prinzip Heldenmarkt gelohnt.


 
Aufgefallen ist uns auch ein Projekt aus Brasilia, wo einer Frau beim Warten an der Bushaltestelle eine zündende Idee kam. Vor ihr lagen in Massen abgerissene Aludosenclips herum. Sie sammelte sie auf und bastelte damit herum. Ein paar Jahre und gute Kontakte später geben die Clipse einigen Leuten Arbeit, die vorher keine hatten: den Müllsammlern, den Clipseinkäufern, den Frauen, die die Clips waschen, schleifen und verarbeiten – und natürlich Claudia Dürr mit ihrem „Reciclage“-Geschenk-Laden, die hier die Taschen zeigt, die mal Dosenöffner waren (Film zum Projekt). Damit kann man sogar in die Oper gehen – der Preis deutet jedenfalls darauf hin. Gleich neben ihr ein Holzkistenstand, mit Tierfiguren aus Dosenblech – und Mülltüten. Genial. Ob’s nachhaltig ist? Hm. Auf jeden Fall aber eine Form von Zero Waste, die gut zu unserer Gesellschaft passt: Was ändern? Weniger konsumieren? Nein, viel besser: wir verdienen Geld damit. Müll zu Luxusproduktchen, die wir Müllverursacher uns hier aufs Kaminsims stellen.

Zum Abschied jede Menge Infomaterial zum Mitnehmen. Ich scanne Stapel um Stapel. Die Frau neben mir greift bei einem gleich mehrfach zu: Starbucks-Gutscheine! Was haben die hier zu suchen? Frage ich mich, während ich fast automatisch auch zwei nehme. Zu Hause sortier ich meine Beutetüte, lese auf den Gutscheinen die Zeitspanne der Aktion: 5. bis 19. Oktober – geht klar. Dann die nachwirkende Überraschung auf der Rückseite (wer liest denn so was?): „Wir bei Starbucks haben in Deutschland seit 2005 nicht einen Euro Gewinnsteuern gezahlt (….) Dafür nutzen wir die hiesige Infrastruktur, aber kostenfrei, denn unser Gewinne verlagern wir in Steueroasen.“ Wie bitte? „Das tut uns leid. (..) Fragen Sie in unseren Filialen nach Details! Oder besuchen Sie uns auf www.sparbucks.de“. Touché, attac. Die geheimen Helden auf’m Markt.

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