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Stay, Yahye stay! Lasst ihn endlich sein Leben starten

 

Das Ausländergesetz ist nicht für die Menschen da, es regelt nur den Umgang mit ihnen durch die Behörde.
Chef der Frankfurter Ausländerbehörde, 2003.

Wir treffen den Ex-Kindersoldaten, Flüchtling, Rapper, wir treffen Yahye (spricht man Yachje) bei sich zuhause. Er checkt die Deutsch-Hausaufgaben in seinem knallrot gestrichenen WG-Zimmer unterm Dach. Betroffenheitsgetue und Winkelzüge von Anwälten sind nicht sein Ding. Flucht soll vorbei sein, die Zukunft beginnnen – er will ein Bleiberecht für dieses Land, dafür arbeitet er mit aller Kraft. Er blättert in seinem Heft. Alles erledigt? Der ebenfalls tiefrote Teppichboden schlägt eine trotzige Falte, der Junge mit den starken Oberarmen, dem runden Gesicht und der männlichen Stimme hat ihn selbst verlegt.

Mit 13 ist er aus Somalia nach Polen geflohen. Allein. Letzten Sommer, mit 17, flieht er von dort nach Frankfurt – und wird kurze Zeit später aufgefordert, „freiwillig“ wieder auszureisen. „Fliegen oder Knast“, so schätzt er die Alternative ein. „Dann doch lieber sehen, was mir in Polen einfällt“, entscheidet er, packt und stellt um auf Überleben. Am nächsten Morgen um acht würde er am Flughafen sein. „Then, Anna gave me a call.“ Anna vom Verein für Jugend und Erziehungshilfe. Übers Handy fragt sie, „Willst du wirklich gehen?“ Nein, natürlich nicht. Aber wie soll er den Behördenton finden? Überzeugen, dass er bleiben muss? Weil er das alleine nicht schaffen würde, steht die Tasche an der Tür – aber jetzt… Sie redet und redet, plötzlich erkennt er eine Chance. „Ich hab ja immer irgendwelche Risiken auf mich genommen. Ich habe Anna vertraut.“ Er zählt glücklich auf, was dieser Wendetag, an dem er ausreisen sollte, alles verändert hat: Anna hat Emails an Bekannte geschrieben, die sich mit Asylverfahren auskennen, die Leute aus dem Stadtteil haben Unterschriften für eine Petition gesammelt, Aufrufe an Zeitungen geschickt, auf Facebook eine Gruppe gegründet…

 

Er berät sich mit Leuten, die mehr und mehr zu seinen Freunden werden. „Weil ich nicht zurück gegangen bin, musste ich aus dem Wohnheim der Jugendhilfe raus.“ Er zieht in eine WG-Wohnung der Frankfurter Stadtteilinitiative SIKS, beantragt Hartz IV, geht zur Schule. Er macht Musik, wird 18 – irgendwie alles gleichzeitig. Als Rapper und Sänger lernt er im Viertel schnell Leute kennen, die ebenfalls Musik machen. Sein Handy klingelt, „Hi Basti. Ja, wir können uns in einer halben Stunde treffen – im Musikstudio, klar“. Vorm Mikro muss er keine unmöglichen Lösungen suchen, vorm Mikro kennt er sich selber aus, ist als Rapper Yaxie Yax längst angekommen. „Musik ist mein Leben“, sagt er. Natürlich interessieren mich seine Texte – welcher ist sein eigener Favorit? Er schiebt die Kappe zurück, überlegt, „Thankful.“ Hier ein paar Auszüge aus dem Lied:

Back in the days when I didnt know where I was, where to go where to sleep and what to eat, life gave me a limit Lord helped me to suvive..
as I served in the military at the age of 13 as a soldier child!
I thank the Lord for getting from around the devil and living life like a penitentiary with AK47 in my hand!
troubles went away! my life in way! now who is to say that I cant fly when I came closer to my final destination!
I walked in this planet as a loner child and took the most dangerous way to come from mogadishu to frankfurt!
I never thought I would reach 18 but life goes on and I believe that I could reach 80!
alhamdulillah am so thankful!
(Thankful, Yaxie Yax 2011)

Songtexte schreibt auf Englisch oder auf Somali, seit er elf ist. Es sind seine zwei Muttersprachen, weil er zwei Mütter hat. „Meine Mom, die mich geboren, und meine Tante, die mich in Kenia aufgezogen hat.“ Jetzt kann er sie nur noch via Telefon erreichen, seine Mom in Somalia und die Tante in den USA. Deren ältester Sohn ist dorthin ausgewandert und hat eine Familienzusammenführung erwirkt. Yahyes Gedanken taumeln durch die Zeit, die Finger verhaken sich. Seine Kindheit endet mit zwölf, als das Militär ihn holt und zum Kindersoldaten macht. Als die Tante davon erfährt, schickt sie Geld, er soll fliehen. „Sie hat gesagt, ich soll nach Holland gehen.“ Ein Schleuser bringt Yahye zuerst nach Russland, alles andere sei zu gefährlich. „Hier sind wir“, heißt es irgendwann. Er springt vom LKW, ist auf sich allein gestellt, und beantragt Asyl. Das bekommt er auch und begreift, dass man ihn betrogen hat, dass „Poland“ nicht Holland heißt, in keiner der vier Sprachen, die er beherrscht. Zu somali, suaheli, englisch und arabisch kommt jetzt noch polnisch.

Seine Mitbewohner sind krass drauf. Sie nennen den 13-Jährigen „Affe“, klauen sein Essen, seine Kleidung, sein Geld. Interessiert niemanden. „Hier kannst du nicht bleiben“ – sagt der Überlebensinstinkt. „Ich bin nach Warschau gegangen und habe dort auf der Straße gelebt und gesungen. Ein Musikproduzent hört und entdeckt ihn für sich. Plötzlich wendet sich das Blatt: Ein Vertrag, ein Zimmer, Auftritte, Reisen… Er tritt bei einem Rap-Contest an und gewinnt. Die Frauen mögen ihn – er grinst – sie haben für ihn gestimmt. Hey, da ist es ja, das Glück!

 

Doch die hässliche Seite Europas wischt es fort: „Mach deine schwarze Musik in Afrika. Das hier ist Polen. Hau ab, sonst töten wir dich.“ Polnische Neonazis schlagen ihn zusammen, drohen mit Mord, wenn er nicht abhaut. Und sein Produzent? Lässt ihn fallen. Dass bloß die Polizei nicht kommt, ist seine Sorge. Yahye hat er nur zehn Prozent des Verdienstes ausbezahlt – und den Rest wohl ohne Steuern zu zahlen selbst eingesackt. Yahye erinnert sich gut an die Antwort: „‚Tja, das ist Polen. Wenn sie dich umbringen wollen, will ich nichts damit zu tun haben. Geh. Wenn du mein Studio nicht sofort verlässt, töte ich dich, bevor jemand anderes dich töten kann.’ Damals bin ich dann aufgewacht. Brrr.“

Irgendwer rät ihm, nach Paris, London, Amsterdam oder Frankfurt zu gehen. Warschau-Frankfurt ist das realistischste Ziel. Er nimmt einen Zug, meldet sich als Flüchtling – und darf in Frankfurt in ein Wohnheim für Minderjährige einziehen. Das Jugendamt schickt Anna. Yahye ist einer von vielen Flüchtlingen. Zu vielen, wie zu viele europäische Ämter und Deutschland-den-Deutschen-Denker finden. Die Frankfurter Ausländerbehörde fordert ihn auf, “freiwillig” zu verschwinden. Nur da, wo ein Flüchtling zuerst europäischen Boden betritt, darf er um Asyl bitten – und bleiben. So haben es die EU-Länder unter dem Kürzel „Dublin II“ verabredet, um „Asyl-Shopping“ zu verhindern. Könnte ja jeder sonst kommen und sich die europäischen Rosinen rauspicken.

 

Rosinen. Frankfurt steht bei Yahye nicht für süße Zutaten, sondern für Zukunft. Für den Ort, an dem mehr drin sein könnte, als reines Überleben. Er will bleiben – und die Leute im Viertel wollen das auch. Das muss man erst mal hinkriegen, von einem Tag auf den anderen in einem fremden Land in einer fremden Kultur. Und dort Menschen für sich gewinnen. Es muss Yahyes Art sein, sich zu öffnen, einen anzulachen. Zu sagen: hier bin ich, wer bist du? Lass uns was auf die Beine stellen. Das sagenhafte Multikulti Frankfurts ja doch meist eher ein Nebeneinander, das schnell in Clübchen und Grüppchen zerfällt. Und doch. Gibts Menschen, die herz- und weltoffen sind, Netzwerke wie SIKS. Dieser Ruf eilt der Stadt sogar voraus: eine der ausländerfreundlichsten Metropolen Europas zu sein. Ich erinnere mich an einen glückstrunkenen Iraner, der von Frankfurt genauso begeistert war wie Yahye, der unbedingt bleiben wollte, weil hier alle Leute soooo nett seien, soooo zuvorkommend. “Wonderful!” Und ich dachte früher immer „Bankfurt“ – stehe mehr für durchgestylte Geld- und Werbeperformance, denn für alternatives Leben. Andererseits gibt es nirgendwo in der Republik ein so großes und so lange geduldes Occupy-Camp.

 

Hier also soll Zukunft sein! Wünschen sich große braune Augen, die schon verdammt viel gesehen haben. Musik ist sein Puffer, sein Medium, “mein Leben”. bei Auftritten kommen die somalischen Lieder am besten an. Er singt seine Geschichte, aber nicht nur. „Ich will, dass die Leute Spaß haben, tanzen – wie früher auf der Straße in Somalia.“ Das Schicksal mag hart sein, aber Yahye drückt es nicht durch einen Aggrostil á la Ich-fick-das-Leben aus. Warum? Yahye schaut nach innen, reibt die Finger aneinander. „Weil das keinen Sinn macht. Im Wohnheim gab es einen Typ, dem ging es ähnlich wie mir. Aber statt sich anzustrengen, sein Leben in den Griff zu kriegen, hat er sich mit allen angelegt. Hat alles immer noch schlimmer gemacht.“ Er schüttelt den Kopf, Aber es hat ihn zu einem Song inspiriert.

Yahye denkt in Lyrics, Papier und Stift immer griffbereit. Ein patenter Kerl. Nicht nur beim Teppich verlegen – er lernt, bügelt, kocht, geht ins Fitnessstudio. Zusammenschlagen lassen will er sich nie mehr. Einer aus der jungen Generation von Flüchtlingen, die ihren Platz selbst finden wollen. Das habe ich bei der Jugendliche ohne Grenzen Gala zum ersten Mal kapiert: Party, Leute! Auch wir wollen Spaß haben! Damit zeigen sie der Gesellschaft ein verwirrendes Bild: Flüchtlinge? Das sind doch Opfer. Geknechtete, arme Menschen, die rumgescheucht werden. Betroffene, denen man (vielleicht, wenn genug Platz ist) helfen muss. Aber die jungen Flüchtlinge sagen: Almosen, Opfer? Nein Danke! Wehren sich gegen Vereinnahmung und Abschiebung aufs Wartegleis, werden selbst aktiv. Sie wissen, wie Überleben geht.

Überleben ist gut, Zukunft planen besser. Yahye erklärt, was jetzt ansteht: „Damit ich bleiben kann, muss ich die Schule fertig machen und einen Ausbildungsplatz finden – oder Arbeit.“ Aussuchen kann er sich nicht viel. Ob er eine weiter führende Schule besuchen will, schon gar nicht. Das Ausländergesetz ist halt nicht für junge Menschen gemacht. Damit er jetzt seine Spezialklasse, die Jugendliche ohne Abschluss in die Arbeitswelt eingliedern soll, bis zum Hauptschulabschluss im Juni fertig machen kann, hat er zusammen mit Anna und den Leuten von SIKS die Petition eingereicht. Dass die abgelehnt wird, steht fest – „aber so habe ich Zeit gewonnen.“ Nach der Ablehnung wird er die Härtefallkommission bitten, aus „humanitären Gründen“ bleiben zu dürfen.

Bis dahin muss er 1. gut deutsch können, 2. integriert sein und 3. eigenes Geld verdienen, damit er dem Staat nicht auf der Tasche liegt. Knackpunkt ist Nummer 3. „Ich muss lernen, lernen, lernen“ – Bewerbungen schreiben, wie Arbeitsleben ist… Spaß ist was anderes, verrät sein Blick. Doch, wenn er dann bleiben kann… Letzten Herbst hat er bei einem Konzertveranstalter sein erstes Praktikum gemacht – „Das war gut, nur gab es leider keinen freien Platz.“ Veranstaltungstechniker, würde er gerne werden. „Ich könnte mir auch vorstellen als Dolmetscher zu arbeiten, im Hotel, mit Flüchtlingen – überall wo Sprachkenntnisse gebraucht werden. Schön wäre irgendwas mit Musik. Aber ich nehme auch jede körperliche Arbeit…“ Er sucht einen Arbeitgeber, der ihn nicht erst einstellt, wenn er Arbeitserlaubnis hat, die er erst kriegt, wenn er eine Arbeitsstelle hat… Einen mit Mut zum Risiko. Und Herz. so wie Yahye.

Dringend Gesucht: Mutige Leute aus der Gastro-, Hotel- oder Veranstalterbranche, bitte hier melden.

Die Petition und ein Video über Yahye auf: www.siks-ffm.de

 

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