Gesellschaft, Natur und Umwelt
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Occupy Fraport: We`ll be back Monday

 

Montag 16.1.

Sachsenhausen, S-Bahn-Station Stadion, 17 Uhr 21

„Ich bring erst die junge Dame hier zum Flieger, dann stoße ich zu euch“, outet sich einer der Wartenden und kommentiert selbstironisch grinsend, „erst fliegen , denn protestieren…“ „Wir fliegen auch gerne,“ beruhigt ihn eine Frau, die gerade gegen die beißende Kälte eine Mütze auspackt. Zwischen die Beine geklemmt ein Schild, dessen Aufschrift sie als Sachsenhäuser Nachtfluggegnerin ausweist. Hab mir vorgestellt, das hier mehr Leute sind, denke ich noch, während mir grade die Finger abfrieren, dann rauscht endlich die Bahn ein – und ist rammelvoll. Da hilft nur: Lücke anpeilen, Augen zu, und rein.

 

Flughafen, Terminal 1B, 18 Uhr 16

Am Flughafen dann spuckt die Bahn Demonstranten zu Hunderten aus, und die nächste wieder, und auch die aus der Gegenrichtung. Im Viertelstundentakt kommen Leute aus: Mainz-Gustavsburg, Hanau, Rumpenheim, Offenkrach, Flörsheim, Schwabenheim…. Das jedenfalls kann man auf ihren selbst gebastelten Ortsschildern lesen. Wenn wieder ein Schwung Menschen angekommen ist, wird sich erst mal sortiert. Jee-ens?! Hallo Karlheinz! Mensch Moni, schön, dass du da bist!

Am Ende füllen 5-6000 Leute mit Kindern und Schildern das alte Flughafenterminal, und rufen im Takt: Die Bahn muss weg! Die Bahn muss weg! Die Bahn muss weg! (gemeint ist die Nordwestbahn, die am 21.10. 11 eröffnet wurde) oder Wir sind hier, wie sind laut, weil ihr uns die Ruhe klaut. Dazu wird gerasselt, getrommelt und gepfiffen…

Wer sich auskennt, trägt Ohrstöpsel oder gleich einen Ohrschutz in Kopfhörerform. Natürlich fällt mir als heimlicher Strick-Craftista als erstes ein Ohrschutz-Modell ins Auge, das geradezu entzückend ist, leider entschwindet die Trägerin zu schnell, ich kann sie nicht ansprechen und sehe sie auch kein zweites Mal. Sie trägt einen Kopfhörer mit coolem Maschenüberzug: auf der einen Seite in blau, eingestrickt sind die weißen Buchstaben OF – für Offenbach -, die andere Seite in rot. Ich nehme an, dort prangt das dem Stoppschild nachempfundene Piktogramm: weißes Flugzeug von unten, plus weiße Schrift „Stopp Fluglärm“ auf rotem Grund. Obendrauf die Krönung: ein kleiner Flieger im schwarzen Strickhemd – schick!

Dresscode sonst? Aussagekräftiges. Am Stiel oder aufgedruckt. Dementsprechend werden jetzt Plakate entfaltet, Schilder aufgeklappt oder T-Shirts übergezogen – und die sind nach Wohnort der Besitzer knallrot oder weiß und mit den Aufschriften „Rhein-Main…“ beziehungsweise „Eintracht gegen Fluglärm“.

 

Wer Zwangsleser ist wie ich – wird hier zum Zeichensurfer und permanent geflutet. Protestschilder, Leuchthinweise und Werbewände ergeben hintergründige Kommentare oder gehen paradoxe Allianzen ein. Über den Köpfen der Ankömmlinge etwa, die noch ihr Protestzubehör – Topfdeckel, Rasseln, Pfannenwender… – auspacken, leuchtet auf einem Bildschirm „Great to have you here!“ Eine wohlgestylte Nordwestbahngegnerin kontert den Willkommensgruß mit “Betriebsgenehmigung aussetzen“. Das aufgesteckte Haar schmückt eine glänzende Scheibe, ein Piktogramm des Flugverbots.

Neben den kauf-und-halt-hoch Plakaten der Initiative Gegenwind 2011 gibt es eine Menge individueller, hingabevoll selbst getexteter und gestalteter Plakate. Eine neue Lust am Zeigen und Outen, ein öffentlicher Kreativitätsschub, der schon bei den Occupy-Demos zu beobachten war. Die Aufschriften sind witzig bis böse oder sogar gereimt. Am besten gefällt mir „Fraport Foltert Flörsheim“, In Flörsheim möchte ich nun wirklich nicht wohnen, da kann man sich ja fast schon an die Räder der ausgefahrenen Fahrwerke hängen.

Hier mehr Auszüge meiner Wutbürgerschilder-Feldstudie:

getextet: Lügner, Lärm und Lobbyisten

Frankfurts momentane Pest
ist die Landebahn Nordwest
Die Therapie, die gibt’s zu Glück:
Baut die Landebahn zurück!

Fluglärm 21 (durchgestrichen á la Stuttgart 21)

und gemalt: Munchs Schrei vor einem Flugzeug.

Einer aber, ein Mann wie ein Baum, steht fürs Demonstrieren auf Höhe der Zeit. “Protest 2.0” hätte man früher gesagt: schwarz gekleidet, ruhig, aufrecht, selbstbewusst. Seine Aussage flimmert weiß auf schwarz vom tablet-computer, den er vor sich hält: Lärm ist Folter.


Das Protestieren erlange „völlig neue Akzeptanz“, beobachtet ein Mannheimer Prof, der später im Heute-Journal den wissenschaftlichen Senf dazu geben darf. Plötzlich wird ja medial rundum gestaunt. Was treibt bloß die Leute? wundern sie sich und berichten. Von HR bis ZDF, von FAZ über taz bis Zeit – sehen die Kollegen plötzlich das Stuttgart-21-Virus den Flughafen Frankfurt infizieren. Dabei bestand Übereinkunft, dass hier nix läuft. Startbahnwestoldiescheiß.

Und jetzt? Sie besuchen CDU-Wähler, die im ehemals hochpreisigsten, jetzt aber verlärmtesten Frankfurter Immobilienspeckgürtel wohnen, tranendrüsen über Familien, die ein Haus im Neubaugebiet Flörsheim besitzen und es dort auf einmal laut finden. Sogar die Zeit schaut nach Hessen, doch die Häme der Online Kommentatoren zeigt, dass 5000 Leute in Deutschland halt doch nicht so viel sind. (Und die Abstimmung mit den Füßen spricht konsumdeutsch: auf der Frankfurter Einkaufsstraße Zeil sind montags zur gleichen Zeit etwa fünf Mal so viele Menschen unterwegs wie auf dem Terminal 1B.)

Und doch. Als Fan des Peter Unfried-Spruchs „Lebe wild und emissionsfrei“, mag ich die Vorstellung, dass es anders kommt, als man denkt. Und anders als bei den Occupys gibt es hier ja klare Aussagen, echte Forderungen: Die Bahn muss weg! Man stelle sich vor, die Landebahn müsste zurückgebaut werden. Es passierte etwas, was eigentlich gar nicht geht. Spannend!

Noch also träume ich und surfe im Meer von Menschen und Zeichen. Gefühlte 7000 Männer und Frauen immerhin, die ein echtes Spektakel veranstalten. Eine irre Jam-Session mit den dollsten Instrumenten von Auflaufform und Dampfsieb über Kastagnetten, Plastikkanister und Teedose bis Weihnachtsteller und Zimbeln. Wenn geklatscht wird schüttelt die Ankunfts- und Ablugs-Anzeigetafel passend und beifällig ihre Plättchen durcheinander. Obendrüber fett der Slogan: Wherever Your’re going, we’re flying. Schätze, so wird’s kommen.

2 Kommentare

  1. Claudia sagt

    Die Häme der Online-Kommentare, die Sie beschreiben, stammt zum Großteil von Leuten, die von Fraport genau für solche Kommentare bezahlt werden. Sogenannte Spindoctors https://de.wikipedia.org/wiki/Spin-Doctor .
    Die tatsächliche Meinung der Bevölkerung kann man dem heute veröffentlichten Hessentrend entnehmen. Da zeigt sich das Bild der wirklichen Stimmung in Hessen. https://www.hr-online.de/website/rubriken/nachrichten/indexhessen34938.jsp?rubrik=71831&key=standard_document_43729049

    • Hallo Claudia,
      … ob die Stimmung aber über eine Wahl trägt und Wirtschaftsseilschaften beeinflusst? Dass Fraport meinungsmäßig bei der Zeit nachhilft, ist, glaube ich, nicht nötig. Wir verfolgen seit 15 Jahren Planung, Protest und Meinungen rund um den Ausbau. Bis vor kurzem war es nur ein Häuflein, das genau das vorausgesagt hat, was jetzt läuft – und sich von keineswegs bezahlten Menschen ignoriert fand. Sie wurden als Pessimisten abgewimmelt oder mit den Totschlagargumenten Jobvernichter, Zukunftsbremese oder hoffnungslos idealistisches Ökofreakvolk untern Waldschratteppich gekehrt. Es gab und gibt noch immer eine Menge Flughafenbefürworter, vor allem da, wo der Flughafen nicht laut ist – und viele Zeit-Leser wohnen.

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