Gesellschaft, Reportage
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Meine Stadt, mein (Strick-)Zeichen – mach’s selbst!

Stricken ist? … Nein, Handarbeit ist nicht die gesuchte Antwort. Kommunikation? Ja! Deswegen gab’s den Strickworkshop im Museum für Kommunikation. Hands on im Rahmen der Ausstellung Do it yourself. Strickwork- shop mag sich ja seltsam anhören und Freunde von Frauen, die da waren und Spaß hatten, winkten wohl auch ab, wollten nicht mit. Tja Leute, was verpasst. Was wir erlebt haben: Neues lernen, Ermutigung, Schütteln von Vorurteilen, Netze knüpfen, Belustigung auch, und – wir haben die Stadt neu gesehen. Schließlich gehörten wir damit – Rahmen im Rahmen – auch zur Schirn-Kunsthallen-Kampagne „Playing the City – Kunst, wo du sie nicht erwartest“.

Zum Workshop gerufen hatte das „Kommando Agnes Richter“. Die drei Münchener Strickaktivist_innen Klaus Dietl, Stephanie Müller und Fabian Zweck haben sich diesen Namen ausgesucht um an eine Psychiatriepatientin zu erinnern, die vor 100 Jahren einsaß. Faszinierend finden die drei an ihr, dass sie, fast aller Ausdrucksmöglichkeiten beraubt, kurzerhand ihre Anstaltsjacke, fremdes Eigentum, für sich nutzte. Sie bestickte die Jacke über und über mit Worten. Darunter oft „meine Jacke“ oder ihr eigener Name. Stephanie Müller deutet das als „Besitz ergreifen“, „sich ausdrücken“ und erläuterte während der Workshops, dass in den Psychiatrien der damaligen Zeit ausschließlich Männer Pinsel, Stifte und Farbe erhielten – Frauen dagegen? Ja: Handarbeitszeug. Durften Strümpfe stopfen, sowas. Der freischaffende Maler Klaus Dietl erinnert, dass die Arbeiten der psychisch kranken Männer Berühmtheit erlangten, und sogar als Vorläufer des Surrealismus gelobt wurden. Die Sammlung Prinzhorn, in der auch die Jacke von Agnes Richter aufbewahrt wird, ist legendär.

Sich die Stadt aneignen, war also das Ziel. Und das auf eher sanfte Weise. Für Menschen, die sich nicht mit aggressivem Protest anfreunden können, einen eigenen Weg ihres Aus- drucks suchen, und den durchaus auf die Straße tragen wollen. Mit Spaß, aber nicht just für fun. die Münchener gaben überraschende Denkanstöße, wie sich Zeichen deuten und gestalten und und Städträume nutzen lassen. Eine Erinnerung, dass Räume für alle da sind. Eigentlich. Am Laptop Bilder von Münchener Aktionen: eine mit jugendliche Flüchtlingen, die zu zehnt als Qualifizierungsmaßnahme Nähen lernten, und zwar in einem Mini-Raum, der kaum mehr Platz bot als zwei Telefonzellen. Um darauf aufmerksam zu machen wurde mit diesen Jugendlichen nach dem Kommando Agnes Richter Prinzip, ohne Nadeln! eine Hülle für eine Doppelzelle gestrickt. Genial auch die Idee, gitterne Wartesitze des Öffentlichen Nahverkehrs mit Strichbündeln zu besticken (wie auf dem Bierdeckel vier gerade Striche, einer quer durch = 5). Müller hat eine Nachbusschicht dafür zugebracht und „drei Sitze geschafft“.

Auch die Frankfurter wollten sie anregen, über ihren Stadtraum nachzudenken – und zeigten uns, wie man sich in simpelster Stricklieselform einmischen kann. Eines unserer mächtigsten Zeichen war schnell ausgemacht: „Bulle und Bär“ auf dem Börsenplatz. Geübt haben wir schon ein paar Tage früher, direkt vor der Museumshaustür. Und dabei gelernt, wie man mit nichts als den Fingern strickt oder aus Menschen kollektive Stricklieseln macht.

So sieht Do it yourself nicht mal selbstgestrickt aus, sondern grobmaschig und flatterhaft. Stephanie Müller, Textilaktivistin, Soziologin und Sozialpsychologin macht zwei Strömungen der Strick-Graffiti aus: junge Feministinnen schimpfen über Verschönerungsniedlichkeit und beschimpfen Frauen, die in aufwändiger Heimarbeit schöne Dinge für die Stadt erstellen. Das sei Selbstausbeutung und werde weder den Möglichkeiten noch dem Auftrag einer Straßenaktivistin gerecht.

Andererseits lerne sie immer wieder Frauen kennen, denen es große Freude bereitet, zu stricken. Und ebenso große Freude, das für draußen zu tun. Bei ihrer Arbeit mit Flüchtlingen hat Stephanie Müller außerdem gelernt, wie unterschiedlich die Vorstellug von gut und schön sein kann. Gerade Flüchtlinge, denen wenig Raum und noch weniger Berechtigung des Daseins zugestanden wird, legen großen Wert auf fein Genähtes und gut Gearbeitetes. Alles andere sei Lumpenkram, billig und schlecht. Ich bin ja auch eher fürs Feingestrickte. Wenn auch das grobe Netz eine gute Sache für eine gemeinschaftliche Aktion wie ein Strickflashmob ist (siehe unten).

Selbstausbeutung. In dieser theoretischen Form lange nicht gehört. Und im Zusammenhag mit Stricken wär’s mir nie eingefallen. Ich fass’ mal zusammen: Stricken, hab ich in letzter Zeit gelernt, Stricken ist Kult, Ausdruck, textiles Wohlfühlen, Mathe, verhilft auf ungewohnte Weise zu leicht erfassbarem Anschauungsmaterial, ist Beschäftigung für jene, denen die Decke auf den Kopf zu fallen droht, wendet Depressionen, stoppt Aufmerksamkeitsverlust, stärkt die Feinmotorik und – gerade hinzu gekommen – ist Kommunikation.

Der Workshop hat einen Knotenpunkt geschaffen, durch den sich Menschen kennen gelernt haben, die sich sonst weder angesprochen noch getroffen hätten. Ich habe Kirsten getroffen, die im Rahmen ihres Studiums über Stricken und Gender schreibt. Sie besitzt eine Handarbeitstasche mit anknüpfbarem Stricknadel-Etui. Als seien es Flöten, nicht zu toppen. Und habe Heike kennen gelernt, deren Strick-Graffiti die erste war, die wir je life gesehen habe – an dieser Stelle ein Hallo nach Oldenburg und Rödelheim – und nochmal: es ist wirklich kein Strickblog, sondern eines über Ideen, über Menschen – vielleicht auch eines über Zeichen.

Heike also ist die Urheberin der schicken Halteverbots- stange, die stolz ihren rot-blauen Strumpf trägt, mit einer niedlichen Drachenrückennaht. Seitdem sie die Stadt be- strickt, sieht sie öffentliche Räume mit neuen Augen: „Wenn ich was Neues habe, letzt habe ich Käfer ausge-wildert, gucke ich auch, was damit passiert.“ Setzt sich in die Nähe und beobachtet, was den Passanten dazu einfällt. „Die Leute gucken sich das an, zupfen es zurecht.“

Aber es kommt nicht nur Nettes: Ein Strickwerk wurde abgefackelt, das ging unter die Haut. Selbstausbeutung? Ich würde es Hingabe nennen. Ist ja nicht alles Ausbeutung, was unbezahlte Arbeit ist. Wo aber Ausbeutung keinen Schalter hat, den man selbst umlegen könnte, wo gestrampelt wird, nicht selbstbewusst gestrickt – da gehört gekämpft. Kampfplätze gibt’s wahrlich genug und es werden immer mehr: prekäre Praktikanten-, Freien- oder alle sonstigen Arbeitsplätze, die Billigpreis ermöglichen sollen. Zur Hölle damit.

Das Einstricken des Markenzeichens von Deutschlands ehemaligem Top-Finanzplatz war daher ein witziges Signal. Subversiv-bunte Fäden überall, Verstrickungen, Löcher im sozialen Netz… Blank gegriffene aber immer noch taugliche Metaphern und alle Journalisten packten dankbar zu. Schließlich war Schäuble, der neue Säger an den Beinen der Demokratie, angesagt. Nicht wegen uns. Wegen der Löcher in den Finanznetzen.

Es war gut. Und sah gut aus. Wenngleich ich langwierige und wohlgeplante Graffitis lieber mag. Überzeugt bin, dass diese die Menschen zum eher zum Anknüpfen reizen, als das flatterhafte Gestrick, das zu wir am ersten Workshoptag zu siebt, lernend noch, produzierten. Unser Gewebe erinnerte an ein Basketballkorbnetz. Später haben wir es über einen Stromverteilerkasten gegenüber des Museums gestülpt. Und doch. Sogar dieses Murkelnetz entfal- tete Wirkung: Als wir Frauen uns dort selbststrik- kend mit Pollern, Schildern und einer Platane be- schäftigten, kam ein Arbeiter von der Stadt (Frankfurter, Lockenhaar, Muskelshirt, Tatoos, Bier- bäuchlein), lächelte, und fragte unendlich nett: wie lange soll das denn da bleiben? Drauf antwortete Fabian, einer der Münchener: „Sie können’s morgen ruhig wegmachen.“ Aber den hat er gar nicht ernst genommen, sondern weiter mit den Frauen als vermeintliche Urheberinnen gesprochen. Ich fragte, „Geht bis Donnerstag?“ Klar doch, kein Problem. „Und dann kleben Sie doch einfach Klebeband drüber, dann können wir’s vorsichtig in der Mitte aufschneiden, wenn wir an den Kasten wollen.“ Lächelte uns an und ging. Ein Zeichen? Ein Zeichen!

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